Dokument-Nr. 6345
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil10.07.2008
Genehmigung zur Fusion von Sony und BMG doch nicht fehlerhaftEuGH hebt vorinstanzliches Urteil auf
Das Europäische Gericht erster Instanz hat Rechtsfehler begangen, indem es feststellte, dass die Entscheidung der Kommission, mit der das Gemeinschaftsunternehmen genehmigt worden war, offensichtliche Beurteilungsfehler aufweise und unzureichend begründet sei.
Am 19. Juli 2004 genehmigte die Kommission die Zusammenlegung des weltweiten Tonträgergeschäfts der Bertelsmann AG und von Sony (ausgenommen das Japan-Geschäft von Sony) in drei neue, unter dem Namen Sony BMG gemeinsam geführte Unternehmen.
EuG hob Genehmigung der Fusion auf
Auf Klage von Impala, einer Vereinigung unabhängiger Musikproduktionsunternehmen, erklärte das Gericht erster Instanz diese Entscheidung für nichtig, weil sie offensichtliche Beurteilungsfehler aufweise und unzureichend begründet sei. Nach dieser Nichtigerklärung führte die Kommission in dieser Sache ein weiteres Fusionskontrollverfahren durch und genehmigte die Gründung von Sony BMG am 3. Oktober 2007 erneut, wiederum ohne Bedingungen oder Auflagen.
Parallel zu diesem Verfahren legten Bertelsmann und Sony beim Gerichtshof gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz Rechtsmittel ein, weil sie der Auffassung waren, das Gericht habe die rechtlichen Anforderungen an eine Genehmigungsentscheidung der Kommission und an ihre gerichtliche Kontrolle überzogen.
Der Gerichtshof weist zunächst die Auffassung von Bertelsmann und Sony zurück, es gelte eine allgemeine Vermutung der Vereinbarkeit eines angemeldeten Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt, der zufolge die Kommission bei Entscheidungen über die Genehmigung von Zusammenschlüssen weniger hohe Beweisanforderungen einhalten müsste als bei Entscheidungen über die Untersagung von Zusammenschlüssen.
EuGH: Urteil des EuG enthält mehrere Rechtsfehler
Er stellt jedoch fest, dass das Urteil des Gerichts mehrere Rechtsfehler enthält. An erster Stelle nennt der Gerichtshof, dass das Gericht sich nicht damit begnügt hat, die Mitteilung der Beschwerdepunkte als Instrument zur Überprüfung der Richtigkeit, Vollständigkeit und Belastbarkeit der Tatsachenbasis der streitigen Entscheidung heranzuziehen, sondern bestimmte Kategorien von Feststellungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, obwohl sie nur als vorläufig angesehen werden können, als nachgewiesen eingestuft hat.
EuGH: EuG verlangte von der Kommission zu hohe Anforderungen an die Kontrolle
Sodann hat das Gericht einen Fehler begangen, indem es im Wesentlichen verlangt, dass die Kommission an die Überzeugungskraft der Beweismittel und des Vorbringens von Bertelsmann und Sony in der Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte besonders hohe Ansprüche stellt, und daraus schließt, dass, wenn die Kommission, ohne nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte weitere Marktuntersuchungen durchzuführen, das Verteidigungsvorbringen dieser beiden Unternehmen übernimmt, dies einer rechtswidrigen Delegation der Untersuchung an die Beteiligten des Zusammenschlusses gleichkommt.
Einen weiteren Fehler des Gerichts sieht der Gerichtshof darin, dass es sich auf von Impala vertraulich vorgelegte Schriftstücke gestützt hat, da die Kommission diese wegen ihres vertraulichen Charakters selbst nicht für den Erlass der streitigen Entscheidung hätte heranziehen dürfen.
Zudem hat das Gericht die rechtlichen Kriterien für eine kollektive beherrschende Stellung, die sich aus einer stillschweigenden Koordinierung ergibt, missachtet. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die insoweit einschlägigen Kriterien, darunter die Transparenz des betroffenen Marktes, nicht isoliert und abstrakt, sondern in Bezug auf einen Mechanismus einer unterstellten stillschweigenden Koordinierung beurteilt werden müssten. Das Gericht hat jedoch die Markttransparenz nicht im Licht einer plausiblen Theorie der stillschweigenden Koordinierung analysiert.
Schließlich weist der Gerichtshof das Vorbringen von Bertelsmann und Sony zurück, eine Entscheidung der Kommission, mit der ein Zusammenschluss genehmigt werde, könne keinesfalls wegen unzureichender Begründung für nichtig erklärt werden. Er stellt jedoch fest, dass das Gericht nicht annehmen durfte, dass die Kommission im vorliegenden Fall die Verpflichtung zur hinreichenden Begründung der Entscheidung verletzt habe. Der Gerichtshof weist hierzu darauf hin, dass sich die Argumentation der Kommission der Entscheidung entnehmen ließ, so dass deren Begründetheit später angefochten werden konnte, wie Impala dies vor dem zuständigen Gericht getan hat. Überdies kannte das Gericht die Gründe für die Entscheidung der Kommission, den Zusammenschluss zu genehmigen, und hat in zahlreichen Randnummern seines Urteils die Stichhaltigkeit dieser Gründe untersucht. Daher kann nicht behauptet werden, es sei dem Gericht unmöglich gewesen, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen.
EuGH hebt EuG-Urteil auf und verweist die Sache zurück
Aus diesen Gründen hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf. Da das Gericht lediglich zwei der fünf von Impala vorgetragenen Klagegründe geprüft hat, hält der Gerichtshof den vorliegenden Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif. Er verweist deshalb die Sache an das Gericht zurück.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.07.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 49/08 des EuGH vom 10.07.2008
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