21.11.2024
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Dokument-Nr. 32194

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil20.09.2022

Keine präventive Vorrats­daten­speicherung zur Bekämpfung von Insider­ge­schäftenAnlasslose Vorrats­daten­speicherung grundsätzlich unzulässig

Es ist nicht zulässig, dass die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Markt­miss­brauchs, u. a. von Insider­ge­schäften, präventiv ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern. Ein nationales Gericht kann die Feststellung, dass innerstaatliche Rechts­vor­schriften, die eine solche Vorratsspei­cherung der Verkehrsdaten vorsehen, ungültig sind, nicht in ihren zeitlichen Wirkungen beschränken, entschied der Gerichtshof der Europäischen Union. der Verkehrsdaten vorsehen, ungültig sind, nicht in ihren zeitlichen Wirkungen beschränken

Gegen die Kläger im Ausgangs­ver­fahren laufen in Frankreich Strafverfahren wegen Insiderhandels, Hehlerei im Zusammenhang mit Insiderhandel, Beihilfe, Bestechung und Geldwäsche. Ausgangspunkt der Ermittlungen waren im Rahmen der Bereitstellung von Diensten der elektronischen Kommunikation generierte perso­nen­be­zogene Daten betreffend Telefon­ge­spräche von VD und SR, die dem Ermitt­lungs­richter von der Finan­z­auf­sichts­behörde (Autorité des marchés financiers, AMF) nach entsprechenden Ermittlungen zur Verfügung gestellt worden waren. VD und SR haben bei der Cour de cassation (Kassa­ti­o­ns­ge­richtshof, Frankreich) gegen zwei Urteile der Cour d’appel de Paris (Berufungs­gericht Paris) Kassa­ti­o­ns­be­schwerden eingelegt. Sie wenden sich dagegen, dass sich die AMF bei der Erhebung der Daten auf innerstaatliche Rechts­vor­schriften gestützt habe, die, soweit sie eine allgemeine und unter­schiedslose Vorrats­da­ten­spei­cherung der Verbin­dungsdaten vorsähen, unions­rechts­widrig seien und in denen die Befugnis der Ermittler der AMF zur Anforderung gespeicherter Daten nicht begrenzt werde. Sie berufen sich insoweit auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs1. Die Vorlagefragen der Cour de cassation betreffen innerstaatliche Rechts­vor­schriften, nach denen die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Markt­miss­brauchs, u. a. von Insider­ge­schäften, präventiv ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern. Es geht im Wesentlichen um das Zusammenspiel der einschlägigen Vorschriften der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation2 im Lichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden Charta)3 und der einschlägigen Vorschriften der Markt­miss­brauchs­richt­linie4 und der Markt­miss­brauchs­ver­ordnung5. Für den Fall, dass die betreffenden inner­staat­lichen Rechts­vor­schriften unions­rechts­widrig sein sollten, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ihre Wirkungen vorläufig aufrecht­er­halten werden können, um Rechts­un­si­cherheit zu vermeiden und es zu ermöglichen, dass die auf ihrer Grundlage auf Vorrat gespeicherten Daten zur Aufdeckung und Verfolgung von Insider­ge­schäften verwendet werden.

EuGH: Vorrats­da­ten­spei­cherung zur Bekämpfung von Straftaten des Markt­miss­brauchs unzulässig

Der Gerichtshof hat nun festgestellt, dass weder die Markt­miss­brauchs­richtlinie noch die Markt­miss­brauchs­ver­ordnung im Hinblick auf die Ausübung der den zuständigen Finan­z­auf­sichts­be­hörden durch sie übertragenen Befugnisse eine Rechtsgrundlage für eine allgemeine Verpflichtung zur Aufbewahrung der Daten­ver­kehr­s­auf­zeich­nungen im Besitz der Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation bilden können. Weiterhin weist der Gerichtshof darauf hin, dass es sich bei der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation um den Referenz­rechtsakt im Bereich der Speicherung und allgemein der Verarbeitung perso­nen­be­zogener Daten in der elektronischen Kommunikation handelt. Die Daten­schutz­richtlinie ist daher auch für die Daten­ver­kehr­s­auf­zeich­nungen im Besitz der Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation maßgeblich, die die zuständigen Finan­z­auf­sichts­be­hörden im Sinne der Markt­miss­brauchs­richtlinie und der Markt­miss­brauchs­ver­ordnung bei Letzteren anfordern können. Für die Beurteilung der Frage, ob die Verarbeitung der Aufzeichnungen im Besitz der Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation zulässig ist, sind mithin die Voraussetzungen gemäß der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation in der Auslegung durch den Gerichtshof maßgeblich. Der Gerichtshof gelangt deshalb zu dem Schluss, dass es nach der Markt­miss­brauchs­richtlinie und der Markt­miss­brauchs­ver­ordnung in Verbindung mit der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation und im Lichte der Charta nicht zulässig ist, dass die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Markt­miss­brauchs, u.a. von Insider­ge­schäften, ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern. Der Gerichtshof hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht die nach nationalem Recht zu treffende Feststellung, dass innerstaatliche Rechts­vor­schriften, mit denen die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation zur allgemeinen und unter­schiedslosen Vorratsspei­cherung der Verkehrs- und Standortdaten verpflichtet werden, wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation ungültig sind, in ihren zeitlichen Wirkungen beschränkt.

Rechtswidrig erhobene Daten dürfen nicht als Beweismittel verwendet werden

Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass die Verwertbarkeit von Beweismitteln, die aufgrund einer solchen Vorratsspei­cherung von Daten erlangt wurden, nach dem Grundsatz der Verfah­rens­au­tonomie der Mitgliedstaaten dem nationalen Recht unterliegt – vorbehaltlich der Beachtung u. a. der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität. Letzterer verpflichtet ein nationales Strafgericht dazu, Informationen und Beweise, die durch eine mit dem Unionsrecht unvereinbare allgemeine und unter­schiedslose Vorratsspei­cherung erlangt wurden, auszuschließen, sofern die betreffenden Personen nicht in der Lage sind, sachgerecht zu den Informationen und Beweisen Stellung zu nehmen, die einem Bereich entstammen, in dem das Gericht nicht über Sachkenntnis verfügt, und geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union, ra-online (pm/ab)

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