15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen auf azurblauem Grund die zwölf goldenen Sterne, wie sie auch in der Europaflagge zu finden sind, wobei in der Mitte ein Paragraphenzeichen zu sehen ist.

Dokument-Nr. 6347

Drucken
Urteil10.07.2008Gerichtshof der Europäischen UnionC-33/07
ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil10.07.2008

EuGH zur Beschränkung der Freizügigkeit zur Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit

Nationale Beschränkungen des Rechts auf Freizügigkeit müssen auf das persönliche Verhalten der Bürger gestützt sein und den Grundsätzen der Verhält­nis­mä­ßigkeit wahren. Dieses persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Herr Jipa verließ Rumänien am 10. September 2006, um sich nach Belgien zu begeben. Am 26. November 2006 wurde er wegen "unbefugten Aufenthalts" in Belgien auf der Grundlage eines zwischen Belgien und Rumänien geschlossenen Rückübernahme-Übereinkommens nach Rumänien zurückgeführt.

Das Ministerul Administratiei si Internelor - Directia Generala de Pasapoarte Bucuresti (Ministerium für Verwaltung und Inneres - Genera­l­di­rektion Passwesen Bukarest) reichte beim Tribunalul Dâmbovita eine Klage ein, mit der eine Verfügung erwirkt werden soll, durch die es Herrn Jipa für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren untersagt würde, sich nach Belgien zu begeben.

Vorlage des rumänischen Gerichts Tribunalul Dâmbovita an den EuGH

Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Dâmbovita dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob das Gemein­schaftsrecht und insbesondere die Richtlinie über das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten, der rumänischen Regelung entgegenstehen, nach der das Recht eines rumänischen Staats­an­ge­hörigen, sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, insbesondere deshalb beschränkt werden darf, weil er zuvor von dort wegen "unbefugten Aufenthalts" zurückgeführt wurde.

Erläuterung des rechtlichen Umfangs der Freizügigkeit

Der Gerichtshof hebt zunächst hervor, dass Herr Jipa als rumänischer Staats­an­ge­höriger Unionsbürger ist und sich daher auch gegenüber seinem Herkunfts­mit­gliedstaat auf die mit der Unions­bür­ger­schaft verbundenen Rechte berufen kann, insbesondere auf das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Der Gerichtshof erinnert daran, dass das Recht auf Freizügigkeit für die Unionsbürger, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, sowohl das Recht umfasst, sich in einen anderen Mitgliedstaat als ihren Herkunfts­mit­gliedstaat zu begeben, als auch das Recht, ihren Herkunfts­mit­gliedstaat zu verlassen.

EuGH: Freizügigkeit kann unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden

Jedoch besteht dieses Recht nicht uneingeschränkt, sondern darf insbesondere aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit den im Vertrag vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterworfen werden. Zwar steht es den Mitgliedstaaten frei, weiterhin nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern. Im Kontext der Gemeinschaft sind diese Anforderungen jedoch eng zu verstehen, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Kontrolle durch die Organe der Europäischen Gemeinschaft bestimmt werden kann.

Persönliches Verhalten des Betroffenen muss öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden

Der Gerichtshof fügt hinzu, dass eine solche Eingrenzung der Ausnahmen vom Prinzip der Freizügigkeit impliziert, dass Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nur gerechtfertigt sind, wenn für sie ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend ist, während nicht unmittelbar auf den Einzelfall bezogene Recht­fer­ti­gungen oder Gründe der Genera­l­prä­vention nicht zulässig sind. Eine beschränkende Maßnahme muss im Licht von Erwägungen erlassen werden, die sich auf den Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit des Mitgliedstaats beziehen, der die Maßnahme erlässt. Eine solche Maßnahme darf deshalb nicht ausschließlich auf Gründe gestützt sein, die ein anderer Mitgliedstaat geltend macht, um die Entscheidung über die Entfernung eines Gemein­schafts­an­ge­hörigen aus seinem Hoheitsgebiet zu rechtfertigen. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass solche Gründe im Rahmen der Beurteilung durch die nationale Behörde, die für den Erlass der die Freizügigkeit beschränkenden Maßnahme zuständig ist, berücksichtigt werden.

Der Gerichtshof betont, dass es zwar Sache des nationalen Gerichts ist, die nötigen Feststellungen zu treffen, hebt aber für den vorliegenden Fall hervor, dass sich die rumänischen Behörden offenbar ausschließlich auf die Rückfüh­rungs­maßnahme gestützt haben, ohne dass eine spezielle Beurteilung des persönlichen Verhaltens von Herrn Jipa stattgefunden hätte oder auf irgendeine von seiner Person ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit Bezug genommen worden wäre.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass das Gemein­schaftsrecht nicht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Recht eines Staats­an­ge­hörigen eines Mitgliedstaats, sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, insbesondere deshalb beschränkt werden darf, weil er zuvor von dort wegen "unbefugten Aufenthalts" zurückgeführt wurde, sofern diese Beschränkung bestimmten Anforderungen genügt. Zum einen muss das persönliche Verhalten dieses Staats­an­ge­hörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und zum anderen muss die vorgesehene beschränkende Maßnahme geeignet sein, die Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Der Gerichtshof fügt hinzu, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, ob dies bei dem Sachverhalt, mit dem es befasst ist, der Fall ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 51/08 des EuGH vom 10.07.2008

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil6347

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI