18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil08.11.2012

Kurzarbeit: Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann entsprechend gekürzt werdenUnionsrecht steht nationalen Rechts­vor­schriften nicht entgegen

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann bei in einem Sozialplan vereinbarter Kurzarbeit entsprechend gekürzt werden. Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen, dass ein Unternehmen und sein Betriebsrat einen Sozialplan vereinbaren, wonach der Anspruch eines Kurzarbeiters auf bezahlten Jahresurlaub im Verhältnis zur Arbeits­zeit­ver­kürzung gekürzt wird. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Das Unionsrecht* gewährt jedem Arbeitnehmer einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen. Bei Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses darf der bezahlte Mindest­jah­res­urlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

Nationales Gericht erbittet Entscheidung des EuGH zur Zulässigkeit der Kürzung des Urlaubs bei Arbeits­zeit­ver­kürzung

Das Arbeitsgericht Passau hat den Gerichtshof gefragt, ob das Unionsrecht nationalen Rechts­vor­schriften oder Gepflogenheiten – wie etwa einem von einem Unternehmen und seinem Betriebsrat vereinbarten Sozialplan – entgegensteht, nach denen sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub in der Zeit, in der sich das Unternehmen in wirtschaft­lichen Schwierigkeiten befindet, im Verhältnis zur Arbeits­zeit­ver­kürzung der Beschäftigten verringert.

Sachverhalt

Beim Arbeitsgericht Passau sind Rechtss­trei­tig­keiten zwischen Herrn Heimann und Herrn Toltschin und ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der Kaiser GmbH, einem Unternehmen der Automo­bil­zu­lie­fer­in­dustrie, anhängig über die Forderung einer finanziellen Vergütung für Jahres­ur­laubstage, die diese Arbeitnehmer in den Jahren 2009 und 2010 nicht hatten nehmen können. Kaiser hatte Herrn Heimann und Herrn Toltschin wegen wirtschaft­licher Schwierigkeiten zum Ende Juni 2009 bzw. Ende August 2009 gekündigt. Ihre Verträge waren jedoch aufgrund eines zwischen Kaiser und dem Betriebsrat vereinbarten Sozialplans förmlich um ein Jahr verlängert worden. Während dieser Zeit brauchten Herr Heimann und Herr Toltschin nicht zu arbeiten ("Kurzarbeit Null"), und Kaiser war nicht verpflichtet, ihnen Lohn zu zahlen. Sie erhielten jedoch von der Bundesagentur für Arbeit über ihren Arbeitgeber ein so genanntes "Kurza­r­bei­tergeld". Nach Ansicht von Kaiser konnten Herr Heimann und Herr Toltschin während der "Kurzarbeit Null" keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erwerben.

EuGH bejaht Zulässigkeit der Kürzung des Jahresurlaubs

Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht nationalen Rechts­vor­schriften oder Gepflogenheiten – wie etwa einem von einem Unternehmen und seinem Betriebsrat vereinbarten Sozialplan –, nach denen sich der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub im Verhältnis zur Arbeits­zeit­ver­kürzung (Pro-rata-temporis-Grundsatz) verringert, nicht entgegensteht.

Situation eines Arbeitnehmers mit Kurzarbeit unterscheidet sich von Situation eines Arbeitnehmers im Krank­heits­urlaub

Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die Situation eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitszeit im Rahmen eines Sozialplans verkürzt wurde, von der eines Arbeitnehmers im Krank­heits­urlaub, der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ebenso wie ein aktiver Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat, grundlegend unterscheidet.

Arbeitnehmer in Kurzarbeit kann freie Zeit anders als erkrankter Arbeitnehmer ausnutzen

Im Rahmen einer Arbeits­zeit­ver­kürzung sind nämlich sowohl die Pflichten des Arbeitnehmers als auch die des Arbeitgebers im Wege einer Betrie­bs­ver­ein­barung suspendiert. Außerdem kann der Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeit verkürzt wurde, anders als ein erkrankter Arbeitnehmer, der unter durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leidet, die gewonnene Zeit nutzen, um sich auszuruhen oder Freizeit­tä­tig­keiten nachzugehen. Wäre der Arbeitgeber verpflichtet, während der Kurzarbeit für den bezahlten Jahresurlaub aufzukommen, könnte dies im Übrigen dazu führen, dass er der Vereinbarung eines Sozialplans, der aus rein sozialen Gründen und somit im Interesse des Arbeitnehmers eine Verlängerung des Arbeitsvertrags vorsieht, ablehnend gegenübersteht.

Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann für Zeit der Teilzeit­be­schäf­tigung gekürzt werden

Hingegen ist die Situation eines Kurzarbeiters mit der eines Teilzeit­be­schäf­tigten vergleichbar. Der Gerichtshof weist daher auf seine Recht­spre­chung** hin, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für eine Zeit der Teilzeit­be­schäf­tigung im Verhältnis zur Arbeits­zeit­ver­kürzung gekürzt werden kann.

Erläuterungen
* Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. L 299, S. 9).

** Urteil vom 22. April 2010, Zentral­be­triebsrat der Landes­kran­ken­häuser Tirols (C-486/08).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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