15.11.2024
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Dokument-Nr. 25263

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Urteil29.11.2017Gerichtshof der Europäischen UnionC-214/16
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2018, 33Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2018, Seite: 33
  • NJW-Spezial 2018, 18Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2018, Seite: 18
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ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil29.11.2017

Verhinderung des Urlaubs durch Arbeitgeber führt nicht zum Verfall von Urlaubs­ansprüchenArbeitnehmer muss nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub unbegrenzt übertragen und ansammeln können

Ein Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, nicht ausgeübte Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu übertragen und anzusammeln, wenn der Arbeitgeber ihn nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben. Das Unionsrecht verbietet es, einen Arbeitnehmer dazu zu verpflichten, Urlaub zu nehmen, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

Herr Conley King arbeitete für The Sash Window Workshop (SWWL) auf der Basis eines "Selbständigen - Vertrags ausschließlich gegen Provision" von 1999 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2012. Gemäß diesem Vertrag erhielt Herr King ausschließlich Provisionen. Wenn er Jahresurlaub nahm, wurde dieser nicht bezahlt.

Kläger verlangt Vergütung für nicht genommenen Urlaub

Bei Beendigung seines Arbeits­ver­hält­nisses verlangte Herr King von seinem Arbeitgeber die Zahlung einer Vergütung sowohl für genommenen, aber nicht bezahlten, als auch für nicht genommenen Jahresurlaub für den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung. SWWL wies die Forderung von Herrn King zurück, der daraufhin Klage beim zuständigen Employment Tribunal (Arbeitsgericht, Vereinigtes Königreich) erhob.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Auslegung der Arbeits­zei­trichtlinie

Am Ende dieses Verfahrens stellte das Employment Tribunal fest, dass Herr King "Arbeitnehmer" im Sinne der britischen Rechts­vor­schriften sei, mit denen die Arbeits­zei­tricht­linie* umgesetzt wurde, und einen Anspruch auf Vergütung für bezahlten Jahresurlaub habe. Der in der Rechts­mit­te­l­instanz mit der Sache befasste Court of Appeal (England and Wales) (Berufungs­gericht von England und Wales, Vereinigtes Königreich) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Auslegung dieser Richtlinie vorgelegt. Insbesondere möchte er wissen, ob es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn der Arbeitnehmer zunächst Urlaub nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er Anspruch auf Bezahlung für diesen Urlaub hat.

Recht auf Jahresurlaub darf nicht durch nationales Regelungen beeinträchtigt werden

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen und ausdrücklich in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist. Der Gerichtshof führt aus, dass der Zweck dieses Anspruchs darin liegt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Ein Arbeitnehmer, der mit Umständen konfrontiert ist, die geeignet sind, während seines Jahresurlaubs Unsicherheit in Bezug auf das ihm geschuldete Entgelt auszulösen, ist jedoch nicht in der Lage, diesen Urlaub voll und ganz zu genießen. Solche Umstände können den Arbeitnehmer außerdem davon abhalten, seinen Jahresurlaub zu nehmen. Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die eine derartige abschreckende Wirkung haben kann, gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel verstößt.

Arbeitnehmer muss nicht unbezahlten Urlaub nehmen

Sodann steht dem Gerichtshof zufolge fest, dass die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang die Beachtung des in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleisten müssen. Im Kontext der vorliegenden Rechtssache wäre dieses Recht nicht gewährleistet, wenn in dem Fall, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur unbezahlten Urlaub gewährt, der Arbeitnehmer sich vor Gericht nicht auf seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub als solchen berufen könnte, sondern zunächst gezwungen wäre, unbezahlten Urlaub zu nehmen und dann dessen Bezahlung einzuklagen. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist dies nicht mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und der Arbeits­zei­trichtlinie vereinbar. Das Unionsrecht verbietet es also, dass der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

Arbeitnehmer muss bei nicht genehmigtem Urlaub durch Arbeitgeber Urlaubszeiten übertragen und anzusammeln können

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht einzel­staat­lichen Rechts­vor­schriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen es einem Arbeitnehmer verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufein­an­der­fol­genden Bezugs­zeit­räumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeits­ver­hält­nisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.

Der Gerichtshof weist insoweit auf seine Rechtsprechung hin, wonach ein Arbeitnehmer, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeits­ver­hält­nisses auszuüben, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat. In den dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Rechtssachen waren die betreffenden Arbeitnehmer wegen krank­heits­be­dingter Fehlzeiten an der Ausübung dieses Anspruchs gehindert.

Begrenzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub auf Übertra­gungs­zeitraum von 15 Monaten zulässig

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof, um den Arbeitgeber vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesen­heits­zeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten zu schützen, die sich daraus für die Arbeits­or­ga­ni­sation ergeben können, entschieden, dass das Unionsrecht einzel­staat­lichen Rechts­vor­schriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, die die Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub auf einen Übertra­gungs­zeitraum von 15 Monaten begrenzen, nach dessen Ablauf der Anspruch erlischt.

Arbeitgeber konnte von nicht genommenen Urlaubs­ansprüchen profitieren

Dagegen erscheint unter Umständen wie denen der vorliegenden Rechtssache ein Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht zwingend notwendig, insbesondere da die Beurteilung des Anspruchs eines Arbeitnehmers wie Herr King auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit einer Situation in Zusammenhang steht, in der sein Arbeitgeber mit Abwesen­heits­zeiten von Herrn King konfrontiert gewesen wäre. Der Arbeitgeber konnte vielmehr davon profitieren, dass Herr King seine berufliche Tätigkeit bei ihm nicht unterbrochen hat. Daher obliegt es dem Arbeitgeber, sich umfassend über seine Verpflichtungen im Bereich des bezahlten Jahresurlaubs zu informieren.

Unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers soll durch Unions­vor­schrift unterbunden werden

Der Gerichtshof entscheidet daher, dass anders als im Fall eines Arbeitnehmers, der aus Krank­heits­gründen daran gehindert war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen hat. Ließe man, wenn es keine nationale Vorschrift gibt, die eine Begrenzung der Übertragung von Urlaubs­ansprüchen im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts vorsieht, ein Erlöschen der vom Arbeitnehmer erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub zu, würde somit im Ergebnis ein Verhalten gebilligt, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führt und dem Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderläuft.

Erläuterungen
* Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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