23.11.2024
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Dokument-Nr. 11422

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Urteil29.03.2011Gerichtshof der Europäischen UnionC-210/09 P, C-216/09 P, C-352/09 P
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil29.03.2011

EuGH: Geldbußen gegen ThyssenKrupp und NirostaA­r­ce­lor­Mittal Luxembourg in Millionenhöhe wegen wettbe­wer­bs­widrigen Verhaltens gerechtfertigtKommission darf auch nach Auslaufen des EGKS-Vertrags Verfah­rens­vor­schriften auf Zuwider­hand­lungen gegen den EGKS-Vertrag anwenden

Der Gerichtshof der europäischen Union hat eine Entscheidungen der Kommission bestätigt, mit denen Geldbußen von 10 Mio. Euro gegen ArcelorMittal Luxembourg und 3,17 Mio. Euro gegen ThyssenKrupp Nirosta wegen ihres wettbe­wer­bs­widrigen Verhaltens verhängt wurden. Die Kommission kann nach Auslaufen des EGKS-Vertrags Verfah­rens­vor­schriften, die auf der Grundlage des EG-Vertrags erlassen wurden, auf Zuwider­hand­lungen gegen den EGKS-Vertrag anwenden.

1994 verhängte die Kommission Geldbußen gegen die an einem Kartell auf dem Stahl­trä­germarkt beteiligten Unternehmen, zu denen ArcelorMittal Luxembourg (vormals ARBED) gehörte. Die Kommission erließ ihre Entscheidung gemäß dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der für den Stahlsektor eine besondere Wettbe­wer­bs­re­gelung enthielt. Ebenfalls auf der Grundlage des EGKS-Vertrags verhängte die Kommision mit einer 1998 erlassenen Entscheidung eine Geldbuße gegen ThyssenKrupp Nirosta (vormals ThyssenKrupp Stainless) wegen ihrer Beteiligung an einem Kartell im Sektor für Flacher­zeugnisse aus rostfreiem Stahl (Legie­rungs­zu­schlag). Diese von beiden Unternehmen angefochtenen Entscheidungen wurden vom Gericht und vom Gerichtshof 2003 bzw. 2005 wegen einer Verletzung der Vertei­di­gungs­rechte für nichtig erklärt.

Kommission setzt Geldbuße in Höhe von 10 Mio. Euro gegen ArcelorMittal Luxembourg fest

Die Kommission leitete daraufhin wegen derselben Zuwider­hand­lungen gegen den EGKS-Vertrag neue Verfahren ein. Mit Entscheidung vom 8. November 2006 stellte sie fest, dass ArcelorMittal Luxembourg und ihre Tochter­ge­sell­schaften vom 1. Juli 1988 bis zum 16. Januar 1991 an einer Reihe von Vereinbarungen und verabredeten Praktiken teilgenommen hätten, die die Festsetzung von Preisen, die Zuteilung von Quoten und einen Infor­ma­ti­o­ns­aus­tausch auf dem Trägermarkt in der Gemeinschaft bezweckt oder bewirkt hätten. Aus diesem Grund setzte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 10 Mio. Euro gegen diese Unternehmen fest.

Kommission stellt Verstöße gegen die Wettbe­wer­bs­regeln seitens ThyssenKrupp fest und verhängt Geldbuße in Höhe von 3,17 Mio. Euro

Mit Entscheidung vom 20. Dezember 2006 stellte die Kommission fest, dass ThyssenKrupp durch abgestimmte Änderung der Referenzwerte der Formel zur Berechnung des Legie­rungs­zu­schlags und durch Anwendung dieser Änderung gegen die Wettbe­wer­bs­regeln verstoßen habe, und setzte gegen sie aus diesem Grund eine Geldbuße in Höhe von 3,17 Mio. Euro fest.

Kommission wendet ausgelaufene materiell-rechtliche Vorschriften des EGKS-Vertrags an

In diesen neuen Entscheidungen wandte die Kommission die am 23. Juli 2002 ausgelaufenen materiell-rechtlichen Vorschriften des EGKS-Vertrags an, soweit die tatbe­stand­lichen Handlungen vor diesem Datum erfolgt waren. Bezüglich der Verfah­rens­vor­schriften und ihrer eigenen Befugnis zur Verhängung der Sanktionen stützte sich die Kommission hingegen auf eine Regelung, die nach Auslaufen des EGKS-Vertrags auf der Grundlage des EG-Vertrags erlassen worden war.

Gericht weist Klagegründe von ArcelorMittal Luxembourg und ThyssenKrupp zurück

Die Gruppe ArcelorMittal und ThyssenKrupp riefen daraufhin das Gericht an, das die Entscheidung der Kommission, soweit sie die Tochter­ge­sell­schaften von ArcelorMittal Luxembourg betraf, mit der Begründung für nichtig erklärte, dass diesen Unternehmen gegenüber Verjährung eingetreten sei. Dagegen wies das Gericht sämtliche Klagegründe der Mutter­ge­sell­schaft ArcelorMittal Luxembourg und von ThyssenKrupp zurück.

EuGH bejaht Zuständigkeit der Kommission

Vor dem Gerichtshof treten diese beiden Unternehmen insbesondere der Feststellung des Gerichts entgegen, dass ihnen die Kommission nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags wegen davor begangener Zuwider­hand­lungen aufgrund einer Kombination der materiell-rechtlichen Vorschriften des EGKS-Vertrags und der später auf der Grundlage des EG-Vertrags erlassenen Verfahrens- und Zustän­dig­keits­vor­schriften eine Geldbuße habe auferlegen können. Zunächst stellt der Gerichtshof zur Zuständigkeit der Kommission fest, dass es dem Zweck und der Kohärenz der Verträge zuwiderliefe und mit der Kontinuität der Unions­rechts­ordnung unvereinbar wäre, wenn die Kommission nicht befugt wäre, eine einheitliche Anwendung der Normen sicherzustellen, die im Zusammenhang mit dem EGKS-Vertrag stehen und auch nach dessen Außer­kraft­treten Wirkungen weiterhin zeitigen.

Anwendung der materiell-rechtlichen Vorschriften des EGKS-Vertrags zurecht erfolgt

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass wegen der Erfordernisse insbesondere im Zusammenhang mit der Rechts­si­cherheit und dem Vertrau­ens­schutz im vorliegenden Fall die Anwendung der materiell-rechtlichen Vorschriften des EGKS-Vertrags geboten war. Dieser enthielt zur Tatzeit eine klare Rechtsgrundlage für die verhängten Sanktionen, so dass die Unternehmen über die Folgen ihres Verhaltens nicht in Unkenntnis sein konnten. Da die Verträge bereits vor dem Tatzeitpunkt die Zuwider­hand­lungen sowie Art und Umfang der ihretwegen verhängbaren Sanktionen klar definierten, konnte ein sorgfältiges Unternehmen zu keinem Zeitpunkt über die Folgen seines Verhaltens in Unkenntnis sein oder sich darauf verlassen, dass der Umstand, dass der rechtliche Rahmen des EG-Vertrags an die Stelle des rechtlichen Rahmens des EGKS-Vertrags trat, zur Folge haben werde, dass es jeder Ahndung entgehen werde.

Sanktionen gerechtfertigt

Zur Rechtsgrundlage für die Verhängung der Sanktionen und zu den anwendbaren Verfah­rens­vor­schriften weist der Gerichtshofs darauf hin, dass Sanktionen auf eine Rechtsgrundlage gestützt sein müssen, die zum Zeitpunkt ihrer Verhängung in Kraft ist. Verfah­rens­vor­schriften wiederum sind im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt anwendbar, zu dem sie in Kraft treten. Der Gerichtshof kommt zum einen zu dem Ergebnis, dass sich die Befugnis der Kommission zur Verhängung der Geldbußen aus den auf der Grundlage des EG-Vertrags erlassenen Vorschriften ergab und dass das Verfahren gemäß diesen Vorschriften geführt werden musste. Zum anderen stellt er fest, dass der EGKS-Vertrag das die Sanktion vorsehende anwendbare materielle Recht war. Folglich weist der Gerichtshof die Rechtsmittel von ArcelorMittal Luxembourg und ThyssenKrupp zurück und bestätigt die Urteile des Gerichts.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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