15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen auf azurblauem Grund die zwölf goldenen Sterne, wie sie auch in der Europaflagge zu finden sind, wobei in der Mitte ein Paragraphenzeichen zu sehen ist.

Dokument-Nr. 9925

Drucken
Urteil08.07.2010Gerichtshof der Europäischen UnionC-171/08
ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil08.07.2010

EuGH: Sonderrechte durch Vorzugsaktien an Portugal Telecom beschränken freien KapitalverkehrEinflussnahme Portugals durch „golden shares“ kann Wirtschafts­teil­nehmer anderer Mitgliedstaaten von Direk­t­in­ves­ti­tionen abhalten

Das Halten von „golden shares“ an Portugal Telecom durch den portugiesischen Staat stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar. Diese „golden shares“ verleihen dem portugiesischen Staat eine Einflussnahme auf die Entscheidungen des Unternehmens, die Wirtschafts­teil­nehmer aus anderen Mitgliedstaaten von Investitionen abhalten kann. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Portugal Telecom wurde 1994 im Zuge der Umstruk­tu­rierung des portugiesischen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­sektors gegründet. Sie wurde ab 1995 in fünf aufein­an­der­fol­genden Phasen privatisiert. Nach den portugiesischen Priva­ti­sie­rungs­vor­schriften konnten in den Satzungen der Gesellschaften, deren Privatisierung geplant war, ausnahmsweise und sofern Gründe des nationalen Interesses es erforderten, Vorzugsaktien vorgesehen werden, die Eigentum des Staates bleiben sollten. Diese Vorzugsaktien bezweckten, unabhängig von ihrer Zahl dem Staat bei Satzung­s­än­de­rungen und anderen Entscheidungen in bestimmten Bereichen ein Vetorecht einzuräumen.

Sachverhalt

Die Satzung von Portugal Telecom wurde 1995 zu einer Zeit angenommen, als der portugiesische Staat 54,2 % des Gesell­schafts­ka­pitals hielt. Nach der Satzung setzt sich das Gesell­schafts­kapital aus etwa einer Milliarde Stammaktien und 500 Vorzugsaktien („golden shares“) zusammen. Letztere müssen mehrheitlich vom Staat oder anderen öffentlichen Anteilseignern gehalten werden; mit ihnen sind bestimmte Vorrechte in Form von Sonderrechten verbunden. Am Ende der Privatisierung von PT wurden deren sämtliche staatlichen Anteile mit Ausnahme der 500 Vorzugsaktien veräußert.

Aufrecht­er­haltung von Sonderrechten sind Verstoß gegen Verpflichtungen aus freiem Kapitalverkehr

Die Kommission wendet sich mit ihrer Klage gegen die Sonderrechte, die vom portugiesischen Staat aufgrund der „golden shares“ an der Gesellschaft Portugal Telecom gehalten werden. Mit seinem Urteil erkennt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für Recht, dass Portugal dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem freien Kapitalverkehr verstoßen hat, dass es aufgrund von „golden shares“ gewährte Sonderrechte an Portugal Telecom aufrechterhält.

Genehmigung vieler wichtiger, die Portugal Telecom betreffender Entscheidungen hängt von Zustimmung des portugiesischen Staates ab

Erstens sieht der Gerichtshof die Ausübung der Sonderrechte, die Portugal aufgrund der „golden shares“ an Portugal Telecom verliehen wurden, als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs an. Die Genehmigung vieler wichtiger Portugal Telecom betreffender Entscheidungen hängt nämlich, wie der Gerichtshof feststellt, von der Zustimmung des portugiesischen Staates ab, da diese Entscheidungen nur mit der Mehrheit der mit den Vorzugsaktien verbundenen Stimmen genehmigt werden können. Überdies ist die Mehrheit der mit den Vorzugsaktien verbundenen Stimmen insbesondere für jede Entscheidung über Änderungen der Satzung von Portugal Telecom erforderlich, so dass der Einfluss des portugiesischen Staates auf Portugal Telecom nur gemindert werden kann, wenn dieser dem selbst zustimmt.

Aktionäre könnten von der Möglichkeit, Investitionen in die Gesellschaft zu tätigen, abgehalten werden

Somit verleiht der Besitz der Vorzugsaktien Portugal eine Einflussnahme auf die Verwaltung von Portugal Telecom, die nicht durch den Umfang seiner Beteiligung gerechtfertigt ist und geeignet ist, Wirtschafts­teil­nehmer aus anderen Mitgliedstaaten von Direk­t­in­ves­ti­tionen abzuhalten. Diese Wirtschafts­teil­nehmer können nämlich an der Verwaltung und der Kontrolle dieser Gesellschaft nicht entsprechend dem Wert ihrer Beteiligungen mitwirken. Außerdem kann eine Ablehnung der Zustimmung des Staates zu einer für die Gesellschaft wichtigen Entscheidung den Wert ihrer Aktien belasten und damit die Aktionäre davon abhalten, Investitionen in die Gesellschaft zu tätigen.

Nationale Regelungen zu Beschränkung des freien Kapitalverkehrs mitunter gerechtfertigt

Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass die streitige Beschränkung nicht auf der Grundlage der von Portugal angeführten Recht­fer­ti­gungs­gründe zulässig ist. Dazu weist der Gerichtshof darauf hin, dass nationale Regelungen, die den freien Kapitalverkehr beschränken, aus den im EG-Vertrag vorgesehenen Gründen (zu denen die öffentliche Sicherheit zählt) gerechtfertigt sein können, sofern sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und diesem Ziel angemessen sind.

Verhinderung einer Beein­träch­tigung der öffentlichen Sicherheit durch den Besitz der „golden shares“ nicht ausreichend begründet

So kann zwar das angeführte Ziel, die Sicherheit der Verfügbarkeit des Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­netzes im Krisen-, Kriegs- oder Terrorfall sicherzustellen, einen Grund der öffentlichen Sicherheit darstellen und eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen. Eine Berufung auf die öffentliche Sicherheit ist aber nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Insoweit stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass Portugal diesen Recht­fer­ti­gungsgrund nur angeführt hat, ohne näher darzulegen, inwieweit eine Beein­träch­tigung der öffentlichen Sicherheit durch den Besitz der „golden shares“ verhindert werden könnte. Dieser Recht­fer­ti­gungsgrund liegt somit hier nicht vor.

Ermes­sens­spielraum nationaler Behörden im Hinblick auf verfolgte Ziele unangemessen

Schließlich stellt der Gerichtshof zur Verhält­nis­mä­ßigkeit der fraglichen Beschränkung fest, dass die Ausübung der Sonderrechte durch den Staat keiner Bedingung und nicht dem Vorliegen eines konkreten objektiven Umstands unterworfen ist. Denn auch wenn die Ausgabe von Vorzugsaktien nach den Rechts­vor­schriften über die Privatisierung der Bedingung unterlag, dass Gründe des nationalen Interesses sie erfordern, sind doch weder im Gesetz noch in der Satzung von Portugal Telecom die Umstände festgelegt, unter denen diese besonderen Befugnisse ausgeübt werden können. Eine solche Unsicherheit stellt daher eine schwerwiegende Beein­träch­tigung des freien Kapitalverkehrs dar. Hierdurch wird nämlich den nationalen Behörden ein so weiter Ermes­sens­spielraum eingeräumt, dass dieser nicht als den verfolgten Zielen angemessen angesehen werden kann.

Quelle: ra-online, EuGH

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil9925

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI