21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil10.05.2011

EuGH: Niedrigere Zusatz­ver­sor­gungs­bezüge bei eingetragener Leben­s­part­ner­schaft können Diskriminierung wegen sexueller Ausrichtung darstellenPflichten bei verheirateten Paaren und Paaren einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft vergleichbar – Ungleich­be­handlung bei Versor­gungs­bezügen daher unzulässig

Zusatz­ver­sor­gungs­bezüge eines in einer Leben­s­part­ner­schaft lebenden Partners, die niedriger sind als diejenigen, die bei bestehender Ehe gezahlt werden, können eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellen. Das ist der Fall, wenn die Leben­s­part­ner­schaft Personen gleichen Geschlechts vorbehalten ist und sich in einer mit der Ehe rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befindet. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Im zugrunde liegenden Fall war Jürgen Römer seit 1950 bis zum Eintritt seiner Erwer­b­s­un­fä­higkeit am 31. Mai 1990 bei der Freien und Hansestadt Hamburg als Verwal­tungs­an­ge­stellter beschäftigt. Seit 1969 lebt er ohne Unterbrechung mit seinem Partner, Herrn U., zusammen, mit dem er am 15. Oktober 2001 eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft gemäß dem Gesetz über die Eingetragene Leben­s­part­ner­schaft vom 16. Februar 2001 begründete. Jürgen Römer teilte dies seinem ehemaligen Arbeitgeber mit Schreiben vom 16. Oktober 2001 mit.

Kläger beantragt Neuberechnung der Zusatz­ver­sor­gungs­bezüge

In der Folge beantragte er die Neuberechnung seiner Zusatz­ver­sor­gungs­bezüge unter Zugrundelegung einer günstigeren, bei verheirateten Versor­gungs­emp­fängern zur Anwendung kommenden Steuerklasse. Sein monatliches Ruhegeld hätte bei einer Berechnung gemäß der günstigeren Steuerklasse im September 2001 um 590,87 DM (302,11 Euro) höher sein müssen.

Hansestadt Hamburg verweigert Anwendung der günstigeren Steuerklasse bei der Berechnung des Ruhegelds

Mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 weigerte sich die Freie und Hansestadt Hamburg, bei der Berechnung seines Ruhegelds die günstigere Steuerklasse anzuwenden, da nur nicht dauernd getrennt lebende verheiratete Versor­gungs­emp­fänger sowie Versor­gungs­emp­fänger, die Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung hätten, dies beanspruchen könnten.

ArbG Hamburg erbittet Entscheidung des EuGH zur möglichen Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf wegen der sexuellen Ausrichtung

Da Jürgen Römer der Auffassung war, dass er Anspruch darauf habe, bei der Berechnung seiner Versor­gungs­bezüge wie ein nicht dauernd getrennt lebender verheirateter Versor­gungs­emp­fänger behandelt zu werden, und dieser Anspruch aus der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf folge, rief er das Arbeitsgericht Hamburg an. Dieses befragt den Gerichtshof der Europäischen Union über die Auslegung der allgemeinen Grundsätze und der Vorschriften des Unionsrechts bezüglich der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf wegen der sexuellen Ausrichtung.

Zusatz­ver­sor­gungs­bezüge fallen in Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass Zusatz­ver­sor­gungs­bezüge – wie die in dieser Rechtssache fraglichen – in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallen. Sodann weist der Gerichtshof als Erstes darauf hin, dass die Feststellung einer Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung voraussetzt, dass die fraglichen Situationen spezifisch und konkret im Hinblick auf die betreffende Leistung vergleichbar sind.

Gericht sieht keinen ins Gewicht fallenden rechtlichen Unterschied zwischen Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft

Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass mit dem Gesetz über die Eingetragene Leben­s­part­ner­schaft für Personen gleichen Geschlechts die Leben­s­part­ner­schaft geschaffen und damit entschieden wurde, diesen Personen nicht die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen, die Personen verschiedenen Geschlechts vorbehalten bleibt. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts besteht in der deutschen Rechtsordnung infolge der schrittweisen Annäherung der für die Leben­s­part­ner­schaft geschaffenen Regelungen an die für die Ehe geltenden kein ins Gewicht fallender rechtlicher Unterschied mehr zwischen diesen beiden Personenständen. Der verbleibende Unterschied liege nämlich im Wesentlichen nur noch darin, dass die Ehe die Verschie­den­ge­schlecht­lichkeit der Partner, die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft deren Gleich­ge­schlecht­lichkeit voraussetze.

Lebenspartnern obliegen dieselben Pflichten wie verheirateten Ehepartnern

Im vorliegenden Fall setzt die Gewährung der zusätzlichen Versor­gungs­bezüge nicht nur voraus, dass der Versor­gungs­emp­fänger verheiratet ist, sondern auch, dass er von seinem Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt, da durch diese Bezüge dem Betroffenen und mittelbar auch den Personen, die mit ihm zusammenleben, ein Ersatzeinkommen verschafft werden soll. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dem Gesetz über die Eingetragene Leben­s­part­ner­schaft die Lebenspartner einander zur Fürsorge und Unterstützung sowie dazu verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die partner­schaftliche Lebens­ge­mein­schaft angemessen zu unterhalten, wie dies auch bei Ehegatten während des Zusammenlebens der Fall ist. Nach Ansicht des Gerichtshofs obliegen Lebenspartnern damit dieselben Pflichten wie verheirateten Ehepartnern. Folglich sind die beiden Situationen vergleichbar.

Familienstand hatte keinerlei Einfluss auf Beiträge für die Bezüge

Als Zweites stellt der Gerichtshof zum Kriterium einer weniger günstigen Behandlung wegen der sexuellen Ausrichtung fest, dass die Bezüge von Jürgen Römer offenbar erhöht worden wären, wenn er im Oktober 2001 geheiratet hätte, anstatt eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft mit einem Mann einzugehen. Zudem steht die günstigere Behandlung weder in einem Zusammenhang mit den Einkünften der an der Lebens­ge­mein­schaft Beteiligten noch mit der Existenz von Kindern oder mit anderen Faktoren wie diejenigen bezüglich des wirtschaft­lichen Bedarfs des Ehegatten. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass der Familienstand von Jürgen Römer keinerlei Einfluss auf seine Beiträge für die Bezüge hatte, da er sich an den Renten­auf­wen­dungen durch Zahlung eines gleich hohen Beitrags wie seine verheirateten Kollegen zu beteiligen hatte.

Recht auf Gleich­be­handlung kann erst ab Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2000/78 geltend gemacht werden

Schließlich stellt der Gerichtshof zu den Auswirkungen einer Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung zum einen fest, dass sich ein Einzelner gegenüber einer Gebiets­kör­per­schaft wegen des Vorrangs des Unionsrechts auf das Recht auf Gleich­be­handlung berufen kann, ohne abwarten zu müssen, dass der nationale Gesetzgeber diese Bestimmung mit dem Unionsrecht in Einklang bringt. Zum anderen stellt der Gerichtshof klar, dass ein Einzelner das Recht auf Gleich­be­handlung erst ab Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2000/78, also ab dem 3. Dezember 2003, geltend machen kann.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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