Der Vertrag sichert jedem Unionsbürger und jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Die Verordnung über den Zugang zu Dokumenten sieht jedoch vor, dass die Organe der Union den Zugang zu einem Dokument verweigern, wenn durch die Verbreitung den Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigt werden könnte.
Im Dezember 1998 notifizierte Deutschland der Kommission verschiedene Maßnahmen zur finanziellen Konsolidierung der Technischen Glaswerke Ilmenau (TGI), darunter einen teilweisen Zahlungsverzicht und ein Bankdarlehen. Mit Entscheidung vom 12. Juni 2001 erklärte die Kommission, dass der Zahlungsverzicht eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe darstelle. Die von TGI gegen diese Entscheidung erhobene Nichtigkeitsklage wurde von den Gerichten der Union abgewiesen. Im Juli 2001 eröffnete die Kommission ein zweites förmliches Verfahren zur Prüfung der von Deutschland an TGI gewährten Beihilfen, das u. a. das Bankdarlehen betraf. Im März 2002 beantragte TGI Zugang zu allen Dokumenten in den Akten der Kommission in den sie betreffenden Beihilfesachen. Mit Entscheidung vom 28. Mai 2002 lehnte die Kommission den Zugangsantrag mit der Begründung ab, dass durch die Verbreitung dieser Dokumente der Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigt werden könnte. TGI erhob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung der Kommission. Mit Urteil vom 14. Dezember 20062 erklärte das Gericht die Entscheidung für nichtig, wobei es der Kommission u. a. vorwarf, sie habe die im Antrag auf Zugang bezeichneten Dokumente nicht konkret und individuell geprüft. Die Kommission hat beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Rechtsmittel gegen dieses Urteil des Gerichts eingelegt.
Mit seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Rechtsvorschriften der Union der Öffentlichkeit ein größtmögliches Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe gewähren sollen. Allerdings unterliegt dieses Zugangsrecht bestimmten Grenzen aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses.
Im vorliegenden Fall hatte die Kommission unter Berufung auf die Ausnahme vom Zugangsrecht zum Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten TGI die Übermittlung von Dokumenten verweigert, die die Verfahren zur Kontrolle der staatlichen Beihilfen betrafen, die TGI gewährt worden waren. Der Gerichtshof bestätigt, dass die Dokumente, deren Verbreitung beantragt wurde, tatsächlich im Zusammenhang mit einer „Untersuchungstätigkeit“ im Sinne der Verordnung über den Zugang zu Dokumenten stehen.
Sodann hebt der Gerichtshof hervor, dass es, um die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument zu rechtfertigen, grundsätzlich nicht genügt, dass dieses Dokument in Zusammenhang mit einer Tätigkeit steht, für die nach der Verordnung eine Ausnahme gilt. Das betroffene Organ muss auch erläutern, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument eine solche Tätigkeit konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte.
Der Gerichtshof verweist aber auf seine Rechtsprechung, in der er bereits anerkannt hat, dass es dem betroffenen Organ der Union freisteht, sich hierbei auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, da für Anträge auf Verbreitung von Dokumenten gleicher Art vergleichbare allgemeine Erwägungen gelten können.
In Bezug auf Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen kann sich eine solche allgemeine Vermutung daraus ergeben, dass diese Verfahren nur gegenüber dem für die Gewährung der Beihilfe verantwortlichen Mitgliedstaat eröffnet werden. Mit Ausnahme des für die Gewährung der Beihilfe verantwortlichen Mitgliedstaats verfügen die Beteiligten im Rahmen dieser Verfahren nämlich nicht über das Recht, die Dokumente der Verwaltungsakte der Kommission einzusehen. Der Gerichtshof kommt daher zu dem Schluss, dass das Gericht die Verordnung über den Zugang zu Dokumenten falsch ausgelegt hat, indem es nicht anerkannt hat, dass im vorliegenden Fall eine allgemeine Vermutung dafür besteht, dass durch die Verbreitung der Dokumente der Verwaltungsakte grundsätzlich der Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigt würde.
Folglich hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf und weist, indem er den Rechtsstreit selbst entscheidet, die von TGI vor dem Gericht erhobene Nichtigkeitsklage ab.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.06.2010
Quelle: ra-online, EuGH