23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.12.2010

EuGH: Touristen kann Besuch in nieder­län­dischen "Coffeeshops" untersagt werdenBeschränkungen zur Bekämpfung des Drogentourismus mit Unionsrecht vereinbar

Das Verbot, Gebietsfremden den Zutritt zu nieder­län­dischen „Coffeeshops“ zu gestatten, steht mit dem Unionsrecht im Einklang. Diese Beschränkung ist durch das Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen gerechtfertigt, das sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf Unionsebene mit der Aufrecht­er­haltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der Gesundheit der Bürger im Zusammenhang steht. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Nach dem Gesetz über Betäu­bungs­mittel von 1976 (Opiumwet 1976) sind der Besitz, der Vertrieb, der Anbau, der Transport, die Herstellung, die Einfuhr und die Ausfuhr von Betäu­bungs­mitteln einschließlich von Cannabis und seiner Derivate in den Niederlanden verboten. Die Niederlande verfolgen jedoch eine Politik der Toleranz gegenüber Cannabis. Diese Politik kommt insbesondere in der Einrichtung von Coffeeshops zum Ausdruck, die hauptsächlich auf den Verkauf und Konsum dieser so genannten „weichen“ Droge ausgerichtet sind. Die örtlichen Behörden können solche Einrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen genehmigen. In vielen Coffeeshops werden auch alkoholfreie Getränke und Esswaren verkauft.

Drogentourismus soll eingeschränkt werden

Um den Drogentourismus einzuschränken oder sogar zu unterbinden, hat der Gemeinderat von Maastricht mit Beschluss vom 20. Dezember 2005 ein Ansäs­sig­keits­kri­terium in die Allgemeine Gemein­de­ver­ordnung aufgenommen und den Inhabern von Coffeeshops damit verboten, Personen, die ihren tatsächlichen Wohnsitz nicht in den Niederlanden haben, den Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten.

Coffeeshop-Besitzer gestattet nichtansässigen Personen Zutritt – Bürgermeister lässt Geschäft schließen

Herr Josemans betreibt in Maastricht den Coffeeshop „Easy Going“. Nachdem zweimal festgestellt wurde, dass nicht in den Niederlanden ansässigen Personen der Zutritt zu dem Coffeeshop gestattet worden war, erklärte der Burgemeester van Maastricht (Bürgermeister von Maastricht) diese Einrichtung mit Bescheid vom 7. September 2006 für vorübergehend geschlossen.

Coffeeshop-Besitzer hält nationale Regelung für ungerecht­fertigte Ungleich­be­handlung von Unionsbürgern

Herr Josemans legte Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Nach seiner Ansicht enthält die fragliche Regelung eine ungerecht­fertigte Ungleich­be­handlung von Unionsbürgern, insbesondere werde nicht in den Niederlanden ansässigen Personen unter Verstoß gegen das Unionsrecht die Möglichkeit versagt, in Coffeeshops alkoholfreie Getränke und Esswaren zu kaufen. Vor diesem Hintergrund hat sich der mit dem Rechtsstreit befasste Raad van State (Staatsrat) an den Gerichtshof der Europäischen Union gewandt.

Regelung steht mit Unionsrecht im Einklang

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Schädlichkeit von Betäu­bungs­mitteln, einschließlich derjenigen auf Hanfbasis, allgemein anerkannt ist und dass ihr Inver­kehr­bringen in allen Mitgliedstaaten verboten ist; lediglich ein streng überwachter Handel, der der Verwendung für medizinische und wissen­schaftliche Zwecke dient, ist davon ausgenommen. Diese Rechtslage steht mit verschiedenen völker­recht­lichen Übereinkünften, insbesondere einigen Übereinkommen der Vereinten Nationen, an denen die Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind, und mit dem Unionsrecht im Einklang.

Inhaber eines Coffeeshops kann sich nicht auf Verkehrs­frei­heiten oder Diskri­mi­nie­rungs­verbot berufen

Da die Einführung von Betäu­bungs­mitteln in den Wirtschafts- und Handelsverkehr der Union verboten ist, kann sich der Inhaber eines Coffeeshops hinsichtlich des Verkaufs von Cannabis nicht auf die Verkehrs­frei­heiten oder das Diskri­mi­nie­rungs­verbot berufen.

Regierung: Verkauf von alkoholfreien Getränken und Esswaren spielt in Coffeeshops nur untergeordnete Rolle

Der Bürgermeister von Maastricht sowie die niederländische, die belgische und die französische Regierung meinen, dass der Verkauf von alkoholfreien Getränken und von Esswaren in diesen Einrichtungen im Vergleich zum Verkauf von Cannabis nur eine untergeordnete Rolle spiele und daher keinen Einfluss auf das Ergebnis des Rechtsstreits haben könne.

EuGH: Coffeeshops hinsichtlich des Verkaufs von alkoholfreien Getränken und Essware mit Erfolg auf Verkehrs­frei­heiten berufen

Der Gerichtshof teilt diese Auffassung nicht. Nach seiner Ansicht können sich Inhaber von Coffeeshops in diesem Zusammenhang mit Erfolg auf die Verkehrs­frei­heiten berufen. Der Verkauf von alkoholfreien Getränken und von Esswaren in den Coffeeshops stellt eine Bewir­tung­s­tä­tigkeit dar. Daher ist die fragliche Regelung im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit zu prüfen.

Beschränkung ist durch Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus gerechtfertigt

Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Beschränkung dieser Freiheit vorliegt, soweit Inhaber von Coffeeshops legale Erzeugnisse an Personen, die ihren Wohnsitz in anderen Mitgliedstaaten haben, nicht verkaufen dürfen und diese Personen von solchen Dienst­leis­tungen ausgeschlossen sind. Diese Beschränkung ist jedoch durch das Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen gerechtfertigt.

Regelung sollen Belästigungen durch große Zahl an Touristen unterbinden

Mit der fraglichen Regelung sollen nämlich die Belästigungen unterbunden werden, die durch die große Zahl an Touristen verursacht werden, die in den Coffeeshops in der Gemeinde Maastricht Cannabis kaufen oder konsumieren wollen. Nach den Informationen, die der Bürgermeister von Maastricht vorgelegt hat, ziehen die 14 Coffeeshops in Maastricht pro Tag etwa 10 000 und im Jahr etwas über 3,9 Millionen Besucher an. Von diesen Besuchern wohnen 70 % nicht in den Niederlanden.

Drogentourismus hat Belästigungen, Kriminalität und steigende Zahl illegaler Drogen­ver­kauf­splätze zur Folge

Der Bürgermeister von Maastricht und die niederländische Regierung machen geltend, dass in Maastricht die mit dem Verkauf „weicher“ Drogen verbundenen Probleme – wie etwa die verschiedenen Formen von Belästigungen und Kriminalität sowie die steigende Zahl illegaler Drogen­ver­kauf­splätze – durch den Drogentourismus zugenommen hätten. Die belgische, die deutsche und die französische Regierung weisen auf die Störungen der öffentlichen Ordnung hin, die dieses Phänomen, mit dem auch die unerlaubte Ausfuhr von Cannabis einhergehe, in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich der Niederlande, insbesondere in den angrenzenden Staaten, verursache.

Ziele der Regelung rechtfertigen auch Beschränkung der Dienst­leis­tungs­freiheit

Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen Teil der Drogen­be­kämpfung ist. Sie steht im Zusammenhang mit der Aufrecht­er­haltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der Gesundheit der Bürger sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf Unionsebene. Diese Ziele stellen ein berechtigtes Interesse dar, das eine Beschränkung der Pflichten, die sich aus dem Unionsrecht, sogar aus einer Grundfreiheit wie der Dienst­leis­tungs­freiheit ergeben, grundsätzlich rechtfertigen kann.

Verbot bewirkt erhebliche Begrenzung des Drogentourismus

Ein Verbot, Gebietsfremden den Zutritt zu Coffeeshops zu gestatten, stellt eine Maßnahme dar, die geeignet ist, den Drogentourismus in erheblicher Weise zu begrenzen und damit die Probleme, die er verursacht, zu verringern.

Maßnahmen, die Dienst­leis­tungs­freiheit weniger einschränken, erweisen sich als ungenügend und ineffizient

Zur Möglichkeit, Maßnahmen zu erlassen, die die Dienst­leis­tungs­freiheit weniger einschränken, stellt der Gerichtshof fest, dass sich andere Maßnahmen, die zur Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen getroffen wurden, nach den Angaben des Bürgermeisters von Maastricht und der nieder­län­dischen Regierung im Hinblick auf das angestrebte Ziel als ungenügend und ineffizient erwiesen haben. Was die Möglichkeit betrifft, Gebietsfremden den Zutritt zu Coffeeshops zu gestatten, den Verkauf von Cannabis an diese jedoch zu verbieten, so ist es nicht einfach, genau zu kontrollieren und zu überwachen, dass Cannabis weder an Gebietsfremde abgegeben noch von ihnen konsumiert wird. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass eine solche Regelung den unerlaubten Handel mit Cannabis oder seinen Weiterverkauf durch Gebiets­an­sässige an Gebietsfremde in den Coffeeshops fördern würde.

Konsum von alkoholfreien Getränke und Esswaren in zahlreichen anderen Bewir­tungs­be­trieben in Maastricht möglich

Im Übrigen hindert die fragliche Regelung eine nicht in den Niederlanden wohnhafte Person keineswegs daran, in anderen Bewir­tungs­be­trieben in Maastricht alkoholfreie Getränke und Esswaren zu konsumieren. Der nieder­län­dischen Regierung zufolge beläuft sich die Zahl derartiger Betriebe auf über 500.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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