18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil22.11.2012

Bahnreisende haben Anspruch auf genaue Informationen über Bahnver­spä­tungen oder ZugausfälleBetreiber einer Eisen­bah­nin­fra­s­truktur muss Echtzeitdaten über Anschlusszüge an Bahnunternehmen übermitteln

Bahnreisende müssen über Verspätungen oder Ausfälle ihrer wichtigsten Anschlusszüge informiert werden – und zwar unabhängig davon, welches Eisen­bahn­un­ter­nehmen diese Züge betreibt. Der Betreiber der Eisen­bah­nin­fra­s­truktur ist verpflichtet, den Eisen­bahn­un­ter­nehmen in Echtzeit sämtliche Informationen über die von anderen Unternehmen gewährleisteten Anschluss­ver­bin­dungen zur Verfügung zu stellen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Das Eisen­bahn­un­ter­nehmen Westbahn Management GmbH erbringt in Österreich Schie­nen­per­so­nen­ver­kehrs­dienste auf der Strecke Wien – Salzburg. Die ÖBB-Infrastruktur AG ist Betreiberin der Eisen­bah­nin­fra­s­truktur in Österreich und des Großteils des öster­rei­chischen Schienennetzes einschließlich der Strecke Wien – Salzburg. Sie verfügt über Echtzeitdaten aller Züge, die auf dem von ihr betriebenen Schienennetz verkehren. Diese Daten werden den verschiedenen Eisen­bahn­un­ter­nehmen für deren eigene Züge übermittelt.

Bahnunternehmen erbittet Echtzeitdaten zu Zügen anderer Eisen­bahn­un­ter­nehmen

Westbahn Management ersuchte ÖBB-Infrastruktur, ihr Echtzeitdaten zu den Zügen anderer Eisen­bahn­un­ter­nehmen zur Verfügung zu stellen, um künftig ihre Fahrgäste über die tatsächlichen Abfahrtszeiten der Züge informieren zu können und um die Anschlüsse zu gewährleisten.

ÖBB-Infrastruktur verweigert Herausgabe der Echtzeitdaten

ÖBB-Infrastruktur verweigerte den Zugang zu diesen Daten mit der Begründung, dass sie grundsätzlich nur die dem jeweiligen Eisen­bahn­un­ter­nehmen zuzuordnenden Daten weitergebe. Sie empfahl Westbahn Management, Vereinbarungen mit den übrigen Eisen­bahn­un­ter­nehmen zu treffen, in denen sich diese mit der Weitergabe ihrer Daten einverstanden erklären.

Bahnunternehmen sieht in verweigerter Daten­über­mittlung Verstoß gegen das Unionsrecht

Zwischen Westbahn Management und den übrigen Eisen­bahn­un­ter­nehmen kam jedoch keine solche Vereinbarung zustande. Westbahn Management vertrat die Auffassung, dass die Nicht­über­mittlung dieser Daten dem Unionsrecht* zuwiderlaufe, und reichte bei der Schienen-Control Kommission, die für die Entscheidung über Rechtss­trei­tig­keiten in Bezug auf die Eisenbahnmärkte zuständig ist, Beschwerde ein.

Schienen-Control Kommission legt EuGH Frage zur Zulässigkeit der Infor­ma­ti­o­ns­über­mittlung über wichtigste Anschluss­ver­bin­dungen vor

Die Schienen-Control Kommission möchte mit ihren an den Gerichtshof gerichteten Vorlagefragen zum einen wissen, ob die Information über die wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen neben den fahrplanmäßigen Abfahrtszeiten auch die Bekanntgabe von Verspätungen oder Ausfällen der Anschlusszüge, insbesondere von anderen Eisen­bahn­un­ter­nehmen, umfassen muss. Zum anderen fragt sie den Gerichtshof, ob der Infra­s­truk­tur­be­treiber verpflichtet ist, in diskri­mi­nie­rungs­freier Weise Echtzeitdaten von Zügen anderer Eisen­bahn­un­ter­nehmen zur Verfügung zu stellen, sofern es sich bei diesen Zügen um die wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen handelt.

Fahrgäste haben Anspruch auf Übermittlung nützlicher Informationen

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass zur Wahrung der Interessen der Fahrgäste und der allgemeinen Ziele des Unionsrechts die Informationen, die den Fahrgästen gegeben werden, für sie von Nutzen sein müssen.

Echtzei­t­in­for­ma­tionen über wichtigste Anschluss­ver­bin­dungen müssen zur Verfügung gestellt werden

Insoweit stellen Informationen über Verspätungen oder Ausfälle von Anschlusszügen, von denen der Fahrgast hätte Kenntnis erlangen können, wenn er vor seiner Abfahrt die Anzeigetafeln gelesen hätte – vorausgesetzt, die Informationen waren zu diesem Zeitpunkt bekannt –, Elemente dar, die ihm auch dann mitzuteilen sind, wenn sich die Zugverspätungen oder -ausfälle nach seiner Abfahrt ereignen. Andernfalls würde der Fahrgast nur über die planmäßigen Abfahrtszeiten der wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen informiert, nicht aber über die nach seiner Abfahrt eingetretenen Änderungen, aufgrund deren die ihm mitgeteilten Informationen überholt sind. Die Eisen­bahn­un­ter­nehmen sind somit verpflichtet, Echtzei­t­in­for­ma­tionen über die wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen zu geben.

Infor­ma­ti­o­ns­pflicht besteht für Anschluss­ver­bin­dungen des betroffenen Eisen­bahn­un­ter­nehmens als auch für andere Unternehmen

Der Gerichtshof stellt fest, dass sich diese Pflicht auf alle wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen bezieht, sowohl die des betreffenden Eisen­bahn­un­ter­nehmens als auch die der anderen Unternehmen. Eine enge Auslegung der Informationen, zu denen die Fahrgäste Zugang haben müssen, würde ihr Umsteigen behindern. Sie würde das Infor­ma­ti­o­nsziel des Unionsrechts in Frage stellen, indem für die Fahrgäste ein Anreiz geschaffen würde, die großen Eisen­bahn­un­ter­nehmen zu bevorzugen, die in der Lage wären, ihnen Echtzei­t­in­for­ma­tionen über alle Teilabschnitte ihrer Fahrt zu geben.

Infor­ma­ti­o­ns­über­mittlung soll fairen Wettbewerb sichern

Zu den Pflichten des Betreibers der Eisen­bah­nin­fra­s­truktur führt der Gerichtshof aus, dass zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs auf dem Markt des Schie­nen­per­so­nen­verkehrs sicherzustellen ist, dass alle Eisen­bahn­un­ter­nehmen in der Lage sind, den Fahrgästen eine vergleichbare Dienst­leis­tungs­qualität zu bieten. Daher müssen sich die Eisen­bahn­un­ter­nehmen zum Zweck der Ausübung des Rechts auf Zugang zur Schie­ne­n­in­fra­s­truktur vom Infra­s­truk­tur­be­treiber Echtzei­t­in­for­ma­tionen über die wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen anderer Eisen­bahn­un­ter­nehmen verschaffen.

Eisen­bah­nin­fra­s­truk­tur­be­treiber ist verpflichtet, Echtzeitdaten über wichtige Anschlusszüge in diskri­mi­nie­rungs­freier Weise zu übermitteln

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Informationen, die den Anzeigetafeln verschiedener Bahnhöfe entnommen werden können, nicht als vertraulich oder sensibel angesehen werden können, was ihrer Weitergabe an die verschiedenen betroffenen Eisen­bahn­un­ter­nehmen entgegenstehen würde. Daher entscheidet der Gerichtshof, dass der Eisen­bah­nin­fra­s­truk­tur­be­treiber verpflichtet ist, den Eisen­bahn­un­ter­nehmen in diskri­mi­nie­rungs­freier Weise Echtzeitdaten der von anderen Unternehmen betriebenen Züge zur Verfügung zu stellen, sofern es sich bei diesen Zügen um die wichtigsten Anschluss­ver­bin­dungen handelt.

Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisen­bahn­verkehr (ABl. L 315, S. 14) und Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrweg­ka­pazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisen­bah­nin­fra­s­truktur (ABl. L 75, S. 29) in der durch die Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 164, S. 44, berichtigt im ABl. L 220, S. 16) geänderten Fassung.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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