21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil28.02.2013

Berufs­s­tän­dische Vertretung darf kein System von Pflicht­fort­bil­dungen vorsehen, das teilweise den Wettbewerb ausschaltetBerufs­s­tän­dische Vertretung für geprüfte Buchhalter wehrt sich erfolglos gegen Geldbuße für verursachte Wettbe­wer­bs­ver­zerrung

Nach dem Unionsrecht darf eine berufs­s­tän­dische Vertretung für ihre Mitglieder nicht ein System von Pflicht­fort­bil­dungen vorsehen, das teilweise den Wettbewerb ausschaltet und das diskri­mi­nierende Bedingungen zum Nachteil von Wettbewerbern auf dem Fortbil­dungsmarkt schafft. Dass eine berufs­s­tän­dische Vertretung gesetzlich verpflichtet ist, ein System der obligatorischen Fortbildung zu errichten, entzieht die von ihr erlassenen Normen nicht dem Anwen­dungs­bereich des Unionsrechts. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union.

Die Berufs­s­tän­dische Vertretung für geprüfte Buchhalter (Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas, OTOC) ist ein portugiesischer Berufsverband, in dem geprüfte Buchhalter Mitglied sein müssen. Die OTOC vertritt ihre beruflichen Interessen und führt die Aufsicht in allen Angelegenheiten, die mit der Wahrnehmung ihrer beruflichen Aufgaben zusammenhängen.

Fortbil­dungs­pflicht für geprüfte Buchhalter in Portugal

Nach einem Erlass der OTOC müssen geprüfte Buchhalter in Portugal im Zeitraum der jeweils letzten beiden Jahre jährlich durch­schnittlich 35 Punkte durch Fortbildungen erwerben, die von der OTOC erteilt werden oder anerkannt sind. Dabei sieht ein weiterer Erlass der OTOC über den Erwerb dieser Fortbil­dungs­punkte zwei Arten von Fortbildungen vor. Zum einen ist eine „institutionelle Fortbildung“ (mit einer Dauer von bis zu 16 Stunden) vorgesehen, mit der die Berufs­an­ge­hörigen für Geset­ze­s­i­n­i­tiativen und -änderungen sowie für Fragen ethischer und berufs­recht­licher Art sensibilisiert werden sollen. Diese Fortbildung kann nur von der OTOC erteilt werden, und jeder geprüfte Buchhalter muss in der insti­tu­ti­o­nellen Fortbildung jährlich 12 Punkte erwerben. Zum anderen ist eine „berufliche Fortbildung“ (mit einer Moduldauer von mindestens 16 Stunden) vorgesehen, die Studientagungen zu beruflichen Themen umfasst. Diese Fortbildung kann von der OTOC, aber auch von bei ihr registrierten Einrichtungen erteilt werden. Die Entscheidung darüber, ob eine Fortbil­dungs­ein­richtung von ihr registriert wird und ob von diesen registrierten Einrichtungen angebotene Fortbil­dungs­maß­nahmen jeweils anerkannt werden, trifft die OTOC nach Entrichtung einer Gebühr.

OTOC verstieß gegen Unionsrecht und verursachte Wettbe­wer­bs­ver­zerrung

Mit Entscheidung vom 7. Mai 2010 stellte die portugiesische Wettbewerbsbehörde fest, dass der Erlass über den Erwerb von Fortbil­dungs­punkten unter Verstoß gegen das Unionsrecht eine Wettbewerbsverzerrung auf dem Markt der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter im gesamten Staatsgebiet verursacht habe. Gegen die OTOC wurde daher eine Geldbuße verhängt. Dieser Markt sei künstlich segmentiert worden, indem ein Drittel des Marktes der OTOC selbst vorbehalten worden sei (12 von insgesamt 35 Punkten) und auf dem restlichen Teil des Marktes diskri­mi­nierende Bedingungen zum Nachteil der Wettbewerber dieser berufs­s­tän­dischen Vertretung vorgesehen worden seien.

OTOC wehrt sich mit Klage auf Nichti­g­er­klärung der verhängten Geldbuße

Die OTOC erhob gegen diese Entscheidung vor den portugiesischen Gerichten eine Klage auf Nichti­g­er­klärung. In diesem Zusammenhang hat das Tribunal da Relação de Lisboa (Appellationshof Lissabon), bei dem der Rechtsstreit im Rechts­mit­tel­ver­fahren anhängig ist, dem Gerichtshof Fragen zur Anwendung des Wettbe­wer­bs­rechts der Union auf berufs­s­tän­dische Vertretungen vorgelegt.

Erlass der OTOC als Beschluss einer Unter­neh­mens­ver­ei­nigung anzusehen

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof erstens fest, dass ein von einer berufs­s­tän­dischen Vertretung wie der OTOC angenommener Erlass als Beschluss einer Unter­neh­mens­ver­ei­nigung im Sinne des Wettbe­wer­bs­rechts der Union anzusehen ist. Dabei kann der Umstand, dass eine berufs­s­tän­dische Vertretung wie die OTOC gesetzlich verpflichtet ist, ein System der obligatorischen Fortbildung für ihre Mitglieder zu errichten, die von ihr erlassenen Normen nicht dem Anwen­dungs­bereich des europäischen Wettbe­wer­bs­rechts entziehen, sofern diese Normen ausschließlich ihr zuzurechnen sind. Ferner berührt der Umstand, dass sich diese Normen nicht unmittelbar auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der berufs­s­tän­dischen Vertretung auswirken, die Anwendung des Wettbe­wer­bs­rechts der Union nicht, wenn der dieser berufs­s­tän­dischen Vertretung zur Last gelegte Verstoß einen Markt betrifft, auf dem sie selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Erlass stellt unionsrechtlich verbotene Wettbe­wer­bs­be­schränkung dar

Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass ein von einer berufs­s­tän­dischen Vertretung angenommener Erlass, mit dem ein System der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter errichtet wird, um die Qualität der von diesen angebotenen Dienst­leis­tungen sicherzustellen, eine unionsrechtlich verbotene Wettbewerbsbeschränkung darstellt, wenn er, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, auf einem wesentlichen Teil des relevanten Marktes zugunsten dieser berufs­s­tän­dischen Vertretung den Wettbewerb ausschaltet und auf dem restlichen Teil dieses Marktes diskri­mi­nierende Bedingungen zum Nachteil der Wettbewerber der berufs­s­tän­dischen Vertretung vorsieht.

Gericht muss prüfen, ob ein Unterschied zwischen den Fortbildungen besteht

Um die Auswirkungen des Erlasses auf den Wettbewerb zu prüfen, wird das portugiesische Gericht daher zunächst die Struktur des Marktes zu untersuchen haben, um zu ermitteln, ob die Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Fortbildungen nach ihrem Gegenstand, ihrer Dauer und den zu ihrer Erteilung befugten Einrichtungen gerechtfertigt ist. Was ihren Gegenstand betrifft, gibt es Hinweise darauf, dass diese beiden Fortbil­dungsarten zumindest teilweise als austauschbar angesehen werden können (z. B. ist nicht ausgeschlossen, dass Entwicklungen in der Gesetzgebung nicht nur Gegenstand der insti­tu­ti­o­nellen, sondern auch der beruflichen Fortbildung sein können). Zu den Einrichtungen, die diese beiden Arten von Fortbildungen erteilen dürfen, führt der Gerichtshof aus, dass der fragliche Erlass einen nicht unbedeutenden Teil des Marktes der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter der OTOC vorbehält. Bezüglich der Fortbil­dungsdauer wird das Gericht prüfen müssen, ob andere Fortbildungseinrichtungen, die Fortbil­dungs­pro­gramme von kurzer Dauer anbieten wollen, daran gehindert werden, dies zu tun, was das normale Verhältnis von Angebot und Nachfrage stören würde. Es wird auch zu untersuchen haben, ob der Umstand, dass geprüfte Buchhalter jährlich mindestens 12 Punkte in der insti­tu­ti­o­nellen Fortbildung erwerben müssen – während für die berufliche Fortbildung kein entsprechendes Erfordernis besteht –, den von der OTOC durchgeführten Fortbil­dungs­maß­nahmen einen Wettbe­wer­bs­vorteil verschaffen kann.

Von OTOC erteilte berufliche Fortbildung unterliegt keinem Anerken­nungs­ver­fahren

Sodann wird von dem portugiesischen Gericht zu klären sein, welche Markt­zu­gangs­be­din­gungen für andere Einrichtungen als die OTOC bestehen, um zu überprüfen, ob die Chancen­gleichheit der unter­schied­lichen Marktteilnehmer sichergestellt ist. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass die von der OTOC erteilte berufliche Fortbildung im Unterschied zu der anderer Fortbil­dungs­ein­rich­tungen keinem Anerken­nungs­ver­fahren unterliegt, wobei zudem die von anderen Fortbil­dungs­ein­rich­tungen zu erfüllenden Kriterien in dem Erlass wenig präzise gefasst sind. So kann die OTOC nach ihrem Erlass über die Anträge auf Registrierung oder Anerkennung einseitig entscheiden, ohne dass diese Befugnis Beschränkungen, Bindungen oder einer Kontrolle unterliegt, was dazu führen könnte, dass die OTOC den Wettbewerb verfälscht, indem sie ihre eigenen Fortbil­dungs­maß­nahmen begünstigt. Der Gerichtshof hebt auch hervor, dass das Verfahren zur Anerkennung der Fortbil­dungs­maß­nahmen, so wie es von der OTOC geregelt ist, das Angebot der anderen Fortbil­dungs­ein­rich­tungen begrenzen kann, da der Antrag auf Anerkennung mindestens drei Monate vor Beginn der Fortbildung gestellt werden muss, was diesen Einrichtungen faktisch die Möglichkeit nimmt, aktuelle Fortbil­dungs­maß­nahmen unverzüglich anzubieten.

Beschränkungen werden nicht von den im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen erfasst

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass solche Beschränkungen zum einen über das hinauszugehen scheinen, was zur Sicherstellung der Qualität der von den geprüften Buchhaltern angebotenen Dienst­leis­tungen erforderlich ist, und zum anderen nicht von den im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen erfasst werden.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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