14.11.2024
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Dokument-Nr. 6428

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil23.09.2003

EuGH zum Aufent­haltsrecht von Familien­an­ge­hörigen in der EU

Ein mit einem Bürger der europäischen Union verheirateter Dritt­staa­tan­ge­höriger hat, sofern er sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, ein Recht auf Aufenthalt im Herkunftsstaat des Unionsbürgers, wenn dieser, nachdem er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, mit ihm zusammen dorthin zurückkehrt, um dort zu arbeiten. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Die Absichten, die ein Ehepaar dazu veranlassen, in einen anderen Mitgliedstaat zu ziehen, sind auch dann unbeachtlich, wenn mit diesem Umzug - im Hinblick auf die Rückkehr in den ersten Mitgliedstaat, in dem der Ehegatte in dem Zeitpunkt, in dem sich das Ehepaar in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, kein Aufent­haltsrecht besaß - ein Aufent­haltsrecht über das Gemein­schaftsrecht begründet werden soll.

Seit 1989 versuchte Hacene Akrich, ein marokkanischer Staats­an­ge­höriger, mehrfach, in das Vereinigte Königreich einzureisen und dort Wohnsitz zu nehmen. Seine Anträge auf Aufent­halts­ge­neh­migung wurden stets zurückgewiesen. 1992 kehrte er nach weniger als einem Monat nach seiner zweiten Ausweisung heimlich in das Vereinigte Königreich zurück. Während er sich dort unerlaubt aufhielt, heiratete er 1996 eine britische Staatsbürgerin und beantragte eine Aufent­halts­ge­neh­migung als ihr Ehegatte. Im August 1997 wurde er nach Dublin abgeschoben, wo seine Frau seit Juni 1997 wohnte und von August 1997 bis Juni 1998 einer unselbständigen Beschäftigung nachging. Ihr wurde eine Beschäftigung im Vereinigten Königreich ab August 1998 angeboten.

Anfang 1998 beantragte Herr Akrich bei den britischen Behörden eine Bescheinigung zur Einreise als Ehegatte einer im Vereinigten Königreich wohnhaften Person. Er stützte sich auf das Urteil des Gerichtshofes der EG im Fall Singh1. Der Gerichtshof hatte dort entschieden, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Berufstätigkeit im Sinne des Gemein­schafts­rechts ausgeübt hat, bei seiner Rückkehr in seineigenes Land die Möglichkeit hat, sich von seinem Ehegatten unabhängig von dessen Staats­an­ge­hö­rigkeit begleiten zu lassen. Der Ehegatte besitzt nach dem Gemein­schaftsrecht einen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt, den er gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staats­an­ge­hö­rigkeit der Arbeitnehmer besitzt, unmittelbar geltend machen kann.

Anlässlich ihres Antrags wurden Herr und Frau Akrich durch die Botschaft des Vereinigten Königreichs in Dublin angehört. Es ergab sich, dass sie die Absicht gehabt hatten, in das Vereinigte Königreich zurückzukehren, nachdem sie .von gemein­schafts­recht­lichen Rechten gehört hatten, wonach man nach einem Verbleib von sechs Monaten in das Vereinigte Königreich zurückkehren kann“.

Der Antrag wurde vom Secretary of State for the Home Department abgelehnt. Er war der Ansicht, dass der Wegzug nach Irland nur zu einer vorübergehenden Abwesenheit geführt habe und in der Absicht erfolgt sei, Herrn Akrich ein Aufent­haltsrecht zu verschaffen und die Rechts­vor­schriften des Vereinigten Königreichs zu umgehen. Herr Akrich erhob Klage gegen diesen ablehnenden Bescheid. Das schließlich mit der Sache befasste Immigration Appeal Tribunal hat dem Gerichtshof der EG die Frage vorgelegt, ob der Herkunfts­mit­gliedstaat dem Ehegatten, der Angehöriger eines Drittstaats ist, unter diesen Umständen das Recht auf Einreise verweigern und die Absicht des Ehepaars, bei ihrer Rückkehr in den Herkunfts­mit­gliedstaat gemein­schafts­rechtliche Rechte geltend zu machen, berücksichtigen darf.

Der Gerichtshof verweist auf sein Urteil Singh, nach dem das Gemein­schaftsrecht einen Mitgliedstaat verpflichtet, die Einreise in sein Hoheitsgebiet und den Aufenthalt dort dem Ehegatten eines Angehörigen dieses Staates zu gestatten, der sich mit besagtem Ehegatten in einen anderen Mitgliedstaat begeben hat, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben, und zurückkehrt, um sich in dem Staat, dem er angehört, niederzulassen. Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass das Gemein­schaftsrecht, nämlich die Verordnung Nr. 1612/68 des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, nur die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft betrifft und nichts über das Bestehen von Rechten von einem mit einem Unionsbürger verheirateten Dritt­staats­an­ge­hörigen im Hinblick auf den Zugang zum Gemein­schafts­gebiet sagt.

Um in den Genuss des Rechts zu kommen, bei dem Unionsbürger Wohnung zu nehmen, muss sich ein solcher Ehegatte nach Ansicht des Gerichtshofes rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, wenn er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, in den der Unionsbürger abwandert.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass Gleiches gilt, wenn der mit einem Dritt­staats­an­ge­hörigen verheiratete Unionsbürger in den Mitgliedstaat, dem er angehört, zurückkehrt, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben.

Was die Frage des Missbrauchs anbelangt, führt der Gerichtshof aus, dass die Absichten des Bürgers, der in einem Mitgliedstaat Arbeit suchen möchte, für die Beurteilung der Rechtslage, in der sich das Ehepaar bei der Rückkehr in den Herkunft­mit­gliedstaat befindet, unerheblich sind. Ein solches Verhalten könne selbst dann keinen Missbrauch darstellen, wenn der Ehegatte in dem Zeitpunkt, in dem sich das Ehepaar in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen habe, im Herkunftsstaat kein Aufent­haltsrecht gehabt habe. Ein Missbrauch läge vor, wenn die gemein­schafs­recht­lichen Rechte im Rahmen von Scheinehen geltend gemacht würden, die zur Umgehung der nationalen Zuwan­de­rungs­be­stim­mungen geschlossen würden.

Der Gerichtshof führt sodann auf der Grundlage dieser Erwägungen aus, dass, wenn eine Ehe keine Scheinehe ist, in dem Zeitpunkt, in dem ein mit einem Dritt­staats­an­ge­hörigen verheirateter Angehöriger eines Mitgliedstaats in seinen Herkunftsstaat zurückkehrt, in dem seinem Ehegatten keine gemein­schafs­recht­lichen Rechte zustehen, weil er sich nicht rechtmäßig in einem ander­en­Mit­gliedstaat aufgehalten hat, die Behörden des Herkunftsstaats dennoch das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention berücksichtigen müssen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 76/03 des EuGH vom 23.09.2003

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