15.11.2024
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Dokument-Nr. 15374

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Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss14.04.2004

Keine Beleidigung: Bezeichnung eines zivilen Polizeibeamten als Spitzel von Meinungs­freiheit gedecktKeine Strafbarkeit wegen Beleidigung (§ 185 StGB)

Wird im Zusammenhang mit einer Versammlung ein ziviler Polizeibeamter als Spitzel bezeichnet, so fällt diese Äußerung unter dem Schutz der Meinungs­freiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). Der sich Äußernde macht sich daher nicht wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar. Dies geht aus einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts hervor.

In dem zu Grunde liegenden Fall fand im November 2002 eine Demonstration gegen einen Naziaufmarsch statt. Nachdem die Versammlung gegen 11.10 Uhr verboten wurde, stand eine Gruppe von drei Personen gegen 11.25 Uhr immer noch auf dem Platz. Sie hatten Plakate und Fahnen bei sich. Ein ziviler Polizeibeamter trat auf die Gruppe zu und fragte, ohne sich als Polizeibeamter erkennen zu geben, ob es sich bei der Gruppe um eine neue Versammlung handele. Daraufhin antwortete einer aus der Gruppe: "Mit Spitzeln rede ich nicht!". Diese Äußerung wiederholte er nachdem sich der Polizist als Polizeibeamter ausgewiesen hatte. Er wurde aufgrund dessen wegen Beleidigung angeklagt. Das Amtsgericht verurteilte den Mann zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20 €. Auf Berufung des Angeklagten verurteilte das Landgericht ihn zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 €. Dagegen richtete sich seine Revision.

Freispruch für Angeklagten

Das Bayerische Oberste Landesgericht sprach den Angeklagten vom Tatvorwurf der Beleidigung frei. Seine Äußerung sei vom Recht der freien Meinung­s­äu­ßerung gedeckt gewesen.

Bezeichnung stellte Meinung­s­äu­ßerung dar

Nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgericht habe das Landgericht die Bezeichnung des Polizisten als "Spitzel" zutreffend als wertende Meinung­s­äu­ßerung und nicht als Tatsa­chen­be­hauptung gewertet. Zwar liege in der Äußerung die Tatsa­chen­be­hauptung, dass eine Beobachtung stattgefunden habe. Der Angeklagte habe sich jedoch mit der Formulierung vor allem abwertend geäußert.

Äußerung unterfiel dem Recht der freien Meinung­s­äu­ßerung

Die grundrechtlich geschützte Meinungs­freiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gewährleiste jedermann das Recht seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten, so das Gericht weiter. Dabei unterfallen selbst scharfe und übersteigerte Äußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungs­freiheit. Erforderlich sei jedoch immer eine einzel­fa­ll­be­zogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungs­freiheit und dem Rang des durch die Meinung­s­äu­ßerung beein­träch­tigten Rechtsguts. Dabei sei in der Regel unerheblich, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil richtig ist. Ein Kritiker dürfe seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn andere sie für falsch oder ungerecht halten. Im vorliegenden Fall sei zwischen der Meinungs­freiheit und Ehrenschutz abzuwägen gewesen. Eine die Meinungs­freiheit ausschließender Angriff auf die Menschenwürde des Polizisten oder Schmähkritik habe nicht vorgelegen.

Abwägung erfolgte zu Gunsten des Angeklagten

Aus Sicht der Richter habe hier der Ehrenschutz zurücktreten müssen. Die Äußerung sei im Zusammenhang mit dem Anlass der Ausein­an­der­setzung zu beurteilen gewesen. Der Angeklagte war Teilnehmer einer Versammlung, die sich gegen die Gefahr der Wiederbelebung natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts wendete. Eine viertel Stunde nach Beendigung der Versammlung trat der Polizist auf den Angeklagten zu und wurde von ihm anlässlich der Situation provozierend mit der Frage angesprochen, ob es sich um eine Versammlung handele. Dabei offenbarte er nicht seine Eigenschaft als Polizeibeamter. In der Frage des Polizisten habe der unausgesprochen Vorwurf gelegen, dass der Angeklagte eine unangemeldete Versammlung durchführe und sich damit im Zusammenhang mit dem Protest gegen "rechtes" Gedankengut rechtswidrig verhalte. Darauf reagierte der Angeklagte emotional und spontan. Es sei also der Polizeibeamte gewesen, der durch sein Verhalten begründeten Anlass zur Erhebung des Vorwurfs eines "Spitzels" gegeben hat. Der Angeklagte habe daher unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Gegenschlags starke Worte gebrauchen dürfen.

Quelle: Bayerisches Oberstes Landgericht, ra-online (zt/NStZ 2005, 215/rb)

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