21.11.2024
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Dokument-Nr. 10664

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Urteil01.12.2010BundesverwaltungsgerichtBVerwG 9 C 8.09
Vorinstanzen:
  • Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil23.10.2010, VGH 2 S 424/08
  • Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil08.11.2007, VG 2 K 2707/07
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Bundesverwaltungsgericht Urteil01.12.2010

BVerwG: Kommunale Eigen­ge­sell­schaft ist kein "Dritter" im Erschlie­ßungsrechtEigentümer vor überhöhten Erschlie­ßungs­bei­trägen vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht geschützt

Eine so genannte kommunale Eigen­ge­sell­schaft, d. h. eine Gesellschaft des Privatrechts, die von der Gemeinde (ganz oder mehrheitlich) beherrscht wird, ist nicht "Dritter" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB. Dies hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschieden.

Die Beklagte des Streitfalls ist eine Erschlie­ßungs­ge­sell­schaft in Gestalt einer GmbH, deren einzige Gesell­schafterin die beigeladene Gemeinde ist. In einem Erschlie­ßungs­vertrag mit dieser Gesellschaft hatte die Gemeinde ihr die Erschließung eines Neubaugebiets übertragen und die Umlegung der Erschlie­ßungs­kosten auf die Eigentümer der unbebauten Grundstücke vereinbart. Die Kläger erwarben ein solches Grundstück von der Gemeinde, verpflichteten sich im Kaufvertrag, in den Erschlie­ßungs­vertrag einzutreten, und leisteten an die Erschlie­ßungs­ge­sell­schaft Abschlagszahlungen auf die Erschlie­ßungs­kosten. Mit der Klage forderten sie diese Abschlags­zah­lungen teilweise zurück, weil sie ohne wirksamen Rechtsgrund erfolgt seien. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Erschlie­ßungs­vertrag nichtig

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat der Klage stattgegeben. Der Erschlie­ßungs­vertrag sei nichtig. Dafür waren im Wesentlichen folgende Erwägungen maßgeblich:

Die Erschließung der Grundstücke im Gemeindegebiet ist grundsätzlich Aufgabe der Gemeinde (§ 123 Abs. 1 BauGB). Zur Deckung der ihr dadurch entstandenen Kosten erhebt die Gemeinde Erschließungsbeiträge gemäß den §§ 127 ff. BauGB. Die Kosten dürfen nur für bestimmte Anlagen von den Grund­s­tücks­ei­gen­tümern gefordert werden; zudem muss die Gemeinde 10 % des beitragsfähigen Aufwandes selbst tragen. Sie kann die Erschließung aber auch durch Vertrag auf einen Dritten übertragen (§ 124 Abs. 1 BauGB). Dieser so genannte Erschlie­ßungs­träger wälzt im Rahmen eines privat­recht­lichen Rechtsgeschäfts die ihm entstandenen Kosten unter Einkalkulierung eines Gewinns auf die Eigentümer bzw. Käufer der im Erschlie­ßungs­gebiet gelegenen Grundstücke ab. Dabei ist der Erschlie­ßungs­träger von den genannten Einschränkungen des Beitragsrechts befreit.

Ausweisung und Schaffung von Bauland sollte erleichtert werden

Diese Rechtslage beruht auf einer Geset­ze­s­än­derung aus dem Jahr 1993. Ziel des Gesetzes war es, die Ausweisung und Schaffung von Bauland zu erleichtern. Deshalb wollte der Gesetzgeber vertragliche Regelungen zwischen Gemeinden und Investoren im Städtebaurecht stärken, zugleich aber die rechtlichen Grenzen solcher Verträge festlegen. Der Gesetzgeber hatte dabei einen privaten Erschlie­ßungs­un­ter­nehmer als Investor vor Augen, der seine Entscheidungen unabhängig von der Gemeinde trifft. Denn der Verzicht auf den Schutz des beitrags­recht­lichen Vorteil­s­prinzips ist allein dadurch zu rechtfertigen, dass die Bereitschaft eines Investors zur vertraglichen Übernahme der Erschließung regelmäßig nur dann bestehen wird, wenn die Nachfrage nach Baugrundstücken in der Gemeinde so hoch ist, dass die Erschließung eine über den beitrags­recht­lichen Erschlie­ßungs­vorteil hinausgehende allgemeine Wertsteigerung der Grundstücke im Erschlie­ßungs­gebiet erwarten lässt. Die vorliegende Konstellation einer gemeindlichen Eigen­ge­sell­schaft ist damit nicht vergleichbar; diese ist kein "Dritter" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB. Ihre Einschaltung würde praktisch und wirtschaftlich darauf hinauslaufen, dass die Gemeinden "im Mantel eines Privaten" vertraglich die Erschlie­ßungs­kosten auf die Eigentümer bzw. Käufer abwälzen könnten, ohne den Begrenzungen des Beitragsrechts zu unterliegen.

Auch Vertrags­ge­staltung vom Gericht beanstandet

Unabhängig von dem Vorstehenden hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht auch die konkrete Vertrags­ge­staltung im Streitfall beanstandet. Es hat den Erschlie­ßungs­vertrag auch deshalb für nichtig erachtet, weil die Gemeinde sich darin umfangreiche Befugnisse vorbehalten hatte, die praktisch auf ein unbeschränktes Recht zur Selbstvornahme hinausliefen, so dass tatsächlich keine "Übertragung" im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB vorlag.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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