22.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil14.08.2023

Gesetzliche Verpflichtung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­an­bieter zur Vorratsspei­cherung von Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten unions­rechts­widrig

Die in § 175 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 176 TKG (§ 113 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 b TKG a.F.) geregelte Verpflichtung der Anbieter öffentlich zugänglicher Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­dienste zur Speicherung der dort genannten Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten ist in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 15 Abs. 1 der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) und daher nicht anwendbar. Dies hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig in zwei Verfahren entschieden.

Die Klägerinnen, zwei Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­un­ter­nehmen, wenden sich gegen die ihnen zuerst durch § 113 a Abs. 1 i.V.m. § 113 b TKG in der Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 auferlegte und nunmehr inhaltlich weitestgehend unverändert in § 175 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 176 TKG geregelte Verpflichtung, Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Die für eine Dauer von zehn Wochen zu speichernden Daten umfassen u.a. die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung oder der Internetnutzung bzw. die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs einer Kurznachricht, zugewiesene Inter­net­pro­tokoll-Adressen und Benut­zer­ken­nungen sowie Kennungen der Anschlüsse und Endgeräte. Für eine Dauer von vier Wochen zu speichern sind zudem Standortdaten, d.h. im Wesentlichen die Bezeichnung der bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzelle.

Das Verwal­tungs­gericht Köln hatte auf die Klagen festgestellt, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, die im Gesetz genannten Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang bzw. den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermitteln, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher in den Fällen der Klägerinnen unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) geklärt. Auf die Sprungrevision der Beklagten, vertreten durch die Bundes­netz­agentur, hatte das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die Verfahren ausgesetzt und eine Vorab­ent­scheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV eingeholt.

Nachdem der EuGH die Vorlagefragen mit Urteil vom 20. September 2022 (verbundene Rechtssachen C-793/19 und C-794/19, Space Net u.a.), berichtigt durch Beschluss vom 27. Oktober 2022, beantwortet hatte, hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die Revisionen der Beklagten zurückgewiesen. Dabei hat es die auf § 113 a Abs. 1 i.V.m. § 113 b TKG a.F. bezogenen Feststel­lungs­aus­sprüche des Verwal­tungs­ge­richts an die nunmehr geltenden Vorschriften in § 175 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 176 TKG angepasst.

Unter Berück­sich­tigung der Entscheidung des EuGH ist das Bundes­ver­wal­tungs­gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Regelung im Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz eine anlasslose, flächendeckende und personell, zeitlich und geografisch undif­fe­ren­zierte Vorratsspei­cherung eines Großteils der Verkehrs- und Standortdaten vorschreibt. Diese genügt schon deshalb nicht den unions­recht­lichen Anforderungen, weil keine objektiven Kriterien bestimmt werden, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen. Da die Vorratsspei­cherung der genannten Daten und der Zugang zu ihnen unter­schiedliche Eingriffe in die betroffenen Grundrechte darstellen, die eine gesonderte Rechtfertigung erfordern, ist die Begrenzung der Verwen­dungs­zwecke in § 177 Abs. 1 TKG (§ 113 c Abs. 1 TKG a.F.) von vornherein nicht geeignet, die unions­rechtliche Anforderung klarer und präziser Regeln für die vorgelagerte Maßnahme der Speicherung der Daten zu erfüllen.

Soweit die gesetzliche Regelung die Erbringung von Telefondiensten und in diesem Zusammenhang insbesondere die Daten betrifft, die erforderlich sind, um die Quelle und den Adressaten einer Nachricht, Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung oder - im Fall der Übermittlung von Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachrichten - die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht sowie, im Fall der mobilen Nutzung, die Bezeichnung der Funkzellen, die vom Anrufer und vom Angerufenen bei Beginn der Verbindung genutzt wurden, zu identifizieren, fehlt es außerdem an der vom EuGH geforderten strikten Begrenzung der allgemeinen und unter­schiedslosen Vorratsspei­cherung von Verkehrs- und Standortdaten auf den Zweck des Schutzes der nationalen Sicherheit.

Soweit sich die Pflicht zur allgemeinen und unter­schiedslosen Vorratsspei­cherung auf die Bereitstellung von Inter­net­zu­gangs­diensten und in diesem Rahmen u.a. auf die dem Teilnehmer zugewiesene IP-Adresse bezieht, umfassen die unionsrechtlich zulässigen Zwecke nach der Entscheidung des EuGH zwar auch die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit. Eine entsprechende Beschränkung der Speiche­rungs­zwecke sieht die Regelung im Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz jedoch nicht vor. Die für die Ermittlung der Speicherzwecke maßgebliche Regelung der Verwen­dungs­zwecke im Rahmen einer Bestands­da­te­n­auskunft geht deutlich über den unions­recht­lichen Rahmen hinaus. Dies gilt nicht nur für die frühere Rechtslage nach § 113 c Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG a.F., sondern auch für die nunmehr geltende Regelung in § 177 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 174 Abs. 1 Satz 3 TKG, die die Vorgaben aus der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts berücksichtigen soll.

Da eine unions­rechts­konforme Auslegung wegen des vom EuGH hervorgehobenen Grundsatzes der Bestimmtheit und Normenklarheit nicht in Betracht kommt, darf die Regelung im Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz wegen des Anwen­dungs­vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/pt)

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