21.11.2024
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Dokument-Nr. 29590

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Bundesverwaltungsgericht Urteil11.12.2020

Kostenbeitrag für Jugend­hil­fe­leistung aus Einkommen in Behin­der­ten­werkstatt? Jugend­hil­fe­träger kann von Kostenbeitrag behinderter Menschen absehenBundes­ver­wal­tungs­gericht zu den Grenzen der Erhebung eines jugend­hil­fe­recht­lichen Kostenbeitrags bei Tätigkeit in Behin­der­ten­werkstatt

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat entschieden, dass von der Erhebung eines Kostenbeitrags, der von Menschen, die eine Jugend­hil­fe­leistung in Anspruch nehmen, gefordert werden kann, abgesehen werden kann, wenn das Einkommen aus der Tätigkeit in einer Behin­der­ten­werkstatt stammt.

Maßgeblich für die Berechnung des Kostenbeitrags, den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe zu erbringen haben, ist das durch­schnittliche Monatseinkommen des Vorjahres. Stammt das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen, die dem Zweck der Jugend­hil­fe­leistung dient, hat der Jugend­hil­fe­träger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht. Das hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig entschieden.

Klägerin sollte 75 Prozent ihres Einkommens in Werkstatt für behinderte Menschen als Kostenbeitrag für Wohnhei­m­un­ter­bringung bezahlen

Die 1993 geborene Klägerin ist mit einem höheren Grad als schwer­be­hin­derter Mensch anerkannt. Ab Dezember 2014 arbeitete sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Hierfür erhielt sie ein monatliches Nettoentgelt von durch­schnittlich 88 €. Für die ihr gleichzeitig gewährte Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einem Wohnheim zog der beklagte Landkreis sie für den Zeitraum von Januar 2015 bis Juli 2016 zu einem monatlichen Kostenbeitrag i.H.v. 75 Prozent ihres Einkommens heran. Diesen Beitrag setzte er im Wider­spruchs­be­scheid auf durch­schnittlich 67 € im Monat fest und verlangte von der Klägerin eine Nachzahlung i.H.v. 1 373,95 €. Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg.

Kostenbeitrags berechnet sich nach durch­schnitt­lichem Monatseinkommen des Vorjahres

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Der streitige Kosten­bei­trags­be­scheid ist rechtswidrig, weil der Beklagte bei der Berechnung des Einkommens der Klägerin die gesetzliche Regelung nicht angewendet hat, wonach das durch­schnittliche Monatseinkommen maßgeblich ist, das die kosten­bei­trags­pflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung vorangeht (§ 93 Abs. 4 Satz 1 Sozial­ge­setzbuch Achtes Buch - SGB VIII -). Diese Bestimmung ist entgegen der Ansicht des Beklagten auch anzuwenden, wenn junge Menschen für vollstationäre Leistungen der Jugendhilfe zu Kostenbeiträgen i.H.v. 75 Prozent ihres Einkommens (§ 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII) herangezogen werden. Der Umstand, dass das Abstellen auf den Vorjah­res­zeitraum teilweise als rechtspolitisch verfehlt angesehen wird und in der Gesetzgebung seit längerem Änderungen geplant sind, ist für die Auslegung des geltenden Rechts nicht erheblich.

Kostenbeitrag kann erlassen werden, wenn Einkommen aus Tätigkeit zum Zweck der Jugendhilfe stammt

Der Beklagte hat außerdem zu Unrecht von dem ihm gesetzlich (§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII) eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Danach kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Jugend­hil­fe­leistung dient. Diese Voraussetzung für die Ermes­sens­ausübung war hier erfüllt. Zweck der Hilfe für junge Volljährige ist in erster Linie die Unterstützung der Persön­lich­keits­ent­wicklung und die Förderung einer selbstständigen und eigen­ver­ant­wort­lichen Lebensführung. Diesem Zweck diente auch die Tätigkeit der Klägerin in einer Werkstatt für behinderte Menschen.

Quelle: Pressemitteilung, ra-online (pm/we)

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