18.10.2024
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Dokument-Nr. 32876

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss04.05.2023

Soziale Medien mit Kommen­ta­r­funktion können mitbestimmungs­pflichtige Überwachungs­einrichtungen seinBereits das Speichern von Nutzer­kom­mentaren mit verhaltens- oder leistungs­be­zogenen Angaben kann als selbstständige Überwachung angesehen werden

Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Die Deutsche Renten­ver­si­cherung Bund unterhält (teilweise zusammen mit anderen Renten­ver­si­che­rungs­trägern) im Rahmen ihrer Presse- und Öffent­lich­keits­arbeit und zur Perso­nal­ge­winnung bei Facebook, Instagram und Twitter eigene Seiten und Kanäle. Von ihr dort eingestellte Beiträge können Nutzer nach eigenem Belieben kommentieren und dabei auch Verhalten oder Leistung einzelner Beschäftigter thematisieren. Beiträge und Kommentare werden von den sozialen Medien gespeichert, aber dort nicht für die Dienststelle ausgewertet. Während das Verwal­tungs­gericht ein Mitbe­stim­mungsrecht des Personalrats bejaht hat, hat das Oberver­wal­tungs­gericht dessen Bestehen verneint.

Personalrat kann Mitbe­stim­mungsrecht haben

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat entschieden, dass die Frage, ob die Einrichtung oder Anwendung von Seiten oder Kanälen mit Kommentarfunktion, die eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien unterhält, der Mitbestimmung durch den Personalrat unterliegen, nicht generell, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beantwortet werden kann. Nach der einschlägigen Regelung des Bundes­per­so­na­l­ver­tre­tungs­ge­setzes (BPersVG) hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Einrichtung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen (§ 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG in der bis zum 14. Juni 2021 und inhaltsgleich nunmehr § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG in der seither geltenden Fassung). Dieses Mitbe­stim­mungsrecht dient dem Schutz der Persönlichkeit der Beschäftigten am Arbeitsplatz und soll gewährleisten, dass Beschäftigte nicht durch eine technische Einrichtung eine ständige Überwachung befürchten müssen und dadurch unter einen Überwachungsdruck geraten.

Speichern von Kommentaren führt zu Überwa­chungsdruck

Dieser Schutzzweck gebietet es entgegen der Ansicht des Oberver­wal­tungs­ge­richts, bereits das Speichern von Nutzer­kom­mentaren mit verhaltens- oder leistungs­be­zogenen Angaben als selbstständige (Überwachungs-)Leistung einer technischen Einrichtung anzusehen. Denn es birgt grundsätzlich die Gefahr in sich, dass die Dienststelle diese Daten auch auswertet, wodurch ein Überwa­chungsdruck bei den Beschäftigten erzeugt werden kann. Das Speichern der in Rede stehenden Kommentare kann zudem zur Überwachung der Beschäftigten "bestimmt" sein. Für ein solches Bestimmt sein reicht es aus, dass die Daten­spei­cherung objektiv zur Überwachung geeignet ist. Ob das der Fall ist, hängt beim Betreiben der in Rede stehenden sozialen Medien wegen der ungewissen, nur möglichen Eingabe entsprechender Verhaltens- oder Leistungsdaten durch Dritte in tatsächlicher Hinsicht davon ab, ob bei objektiver Betrachtung im konkreten Fall eine nach Maßgabe des Schutzzwecks des Mitbe­stim­mung­s­tat­be­standes hinreichende Wahrschein­lichkeit für das Einstellen entsprechender Nutzer­kom­mentare gegeben ist.

Individueller Online-Auftritt kann Wahrschein­lichkeit für Kommentare erhöhen

Hierfür ist zunächst die Konzeption des von der Dienst­stel­len­leitung verantworteten Auftritts der Dienststelle in den sozialen Medien von Bedeutung. Berichtet die Dienst­stel­len­leitung beispielsweise selbst über konkrete Beschäftigte und ihr Tätigkeitsfeld und lenkt damit den Blick des Publikums auf das dienstliche Verhalten und die Leistung von Beschäftigten, können hierauf bezogene Nutzer­kom­mentare erwartet werden. Demgegenüber wird von einer hinreichenden Wahrschein­lichkeit für die Anbringung entsprechender Kommentare in der Regel nicht auszugehen sein, wenn Auftritte der Dienststelle in sozialen Medien sachbezogen in allgemeiner Form lediglich über Aufgaben der Dienststelle oder etwa ohne Bezüge zu bestimmten Beschäftigten in Form von Presse­mit­tei­lungen über die Tätigkeit der Dienststelle informieren. Darüber hinaus ist das tatsächliche Verhalten der Nutzer in eine Gesamt­be­trachtung einzubeziehen. Kommt es insbesondere erst im Verlaufe des Betriebs zu einer nennenswerten Zahl verhaltens- oder leistungs­be­zogener Nutzer­kom­mentare, kann die Überwa­chungs­eignung eine gegenüber der ursprünglichen Prognose andere Relevanz erhalten und zu bejahen sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters das Entstehen eines Überwa­chungs­drucks deshalb nicht anzunehmen ist, weil die Dienst­stel­len­leitung derartige Kommentare ohne vorherige Auswertung schnellst­möglich löscht.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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