21.11.2024
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Dokument-Nr. 32918

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Bundesverwaltungsgericht Urteil16.05.2023

Schließung von Gastronomie­betrieben Ende Oktober 2020 auf der Grundlage der infek­ti­o­ns­schutz­rechtlichen Generalklausel möglichGastro-Schließungen in zweiter Corona-Welle waren rechtmäßig

Die Schließung von Gastronomie­betrieben, die Ende Oktober 2020 zur Bekämpfung der "zweiten Welle" der Corona-Pandemie in einer saarländischen Rechts­ver­ordnung angeordnet wurde, konnte auf die Generalklausel in § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Satz 1 des Infek­ti­o­ns­schutz­gesetzes (IfSG) gestützt werden. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Die Antragstellerin des Verfahrens 3 CN 4.22 betreibt ein spanisches Restaurant, der Antragsteller des Verfahrens 3 CN 5.22 ein Gourme­t­re­staurant. Die Antragsteller wenden sich mit ihren Normen­kon­trol­lan­trägen gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 der bis zum 15. November 2020 geltenden saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 30. Oktober 2020. Mit der angegriffenen Vorschrift wurde landesweit der Betrieb von Gaststätten verboten.

OVG hält Regelungen für unwirksam

Das Oberver­wal­tungs­gericht des Saarlandes hat festgestellt, dass § 7 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung unwirksam war. Die Regelung habe nicht auf einer den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Ermäch­ti­gungs­grundlage beruht. § 32 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, die den Verord­nungsgeber ermächtigten, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich sei, hätten nicht den Anforderungen des Bestimmt­heits­gebotes und des Parla­ments­vor­behalts entsprochen. Die Übergangszeit, in der aus Gründen des Gemeinwohls noch ein Rückgriff auf diese Generalklausel möglich gewesen sei, sei im Oktober/November 2020 abgelaufen gewesen. Die "zweite Corona-Welle" sei schon im Sommer 2020 vorhersehbar gewesen; anders als im März sei der Bundes­ge­setzgeber vom Anstieg der Corona-Infektionen im Herbst nicht überrascht worden. Ihm wäre es möglich gewesen, jedenfalls bis zur parla­men­ta­rischen Sommerpause oder spätestens unmittelbar danach die erforderliche parla­ments­ge­setzliche Grundlage für die pande­mie­be­dingte Schließung von Gastro­no­mie­be­trieben zu erlassen. Der Gesetzgeber habe das Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz aber erst auf Antrag der Regie­rungs­frak­tionen vom 3. November 2020 durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 um einen Beispiels­katalog von Schutzmaßnahmen (§ 28 a IfSG) ergänzt.

BVerwG hebt OVG-Urteile auf

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Urteile aufgehoben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen. Die der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit dienende Schließung von Gastro­no­mie­be­trieben konnte - wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 22. November 2022 (3 CN 1.21) entschieden hat - unabhängig von einem Krankheits- oder Anste­ckungs­verdacht in der betroffenen Gaststätte eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein. Entgegen der Auffassung des Oberver­wal­tungs­ge­richts war die infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Generalklausel in dieser Auslegung bei Erlass der Verordnung und auch während ihrer Geltungsdauer eine verfas­sungs­gemäße Grundlage für die Schließung von Gastro­no­mie­be­trieben im Wege der Rechts­ver­ordnung. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine landesweite Schließung von Gastro­no­mie­be­trieben angeordnet werden kann, ist eine wesentliche Frage, die der parla­men­ta­rische Gesetzgeber selbst regeln muss. Das hatte er durch die Generalklausel in einer Weise getan, die auch im genannten Zeitraum noch den Anforderungen des Bestimmt­heits­gebots und des Demokratie- und Rechts­s­taats­gebots entsprach.

Ausdrückliche Regelung noch nicht für erforderlich

Die Erfahrungen mit der "ersten Welle" der COVID-19-Pandemie hätten zwar Anlass geben können, ausdrücklich zu regeln, ob die Schließung von Gastro­no­mie­be­trieben unabhängig von einem Krankheits- oder Anste­ckungs­verdacht zulässig sein soll. Dass der Gesetzgeber dies mit Blick auf die Generalklausel und ihre Anwendung in der Pandemie nicht für erforderlich hielt, überschritt den ihm zukommenden Spielraum nicht. Klarer begrenzen können hätte er die Zulässigkeit der Schließung von Gastro­no­mie­be­trieben nur durch die Festlegung einer Eingriffs­schwelle. Dass er die Erfahrungen mit dem Erreger SARS-CoV-2 und der Dynamik des Pande­mie­ge­schehens noch nicht für ausreichend hielt, um hinreichend konkret jedenfalls für eine gewisse Dauer zu regeln, unter welchen Voraussetzungen Gastro­no­mie­be­triebe zur Bekämpfung von COVID-19 geschlossen werden dürfen, ist für den hier zu betrachtenden Zeitraum bis Mitte November nicht zu beanstanden. Auch insoweit hatte der Gesetzgeber einen Spielraum.

Sache zur weiteren Feststellung an die Vorinstanz zurück­zu­ver­weisen

Zur Frage, ob die angegriffene Regelung mit dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz und dem Gleich­be­hand­lungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war, hat das Oberver­wal­tungs­gericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die Sachen waren daher an die Vorinstanz zurück­zu­ver­weisen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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