23.11.2024
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Dokument-Nr. 32261

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Urteil11.10.2022Bundesverwaltungsgericht1 C 9.21
Vorinstanzen:
  • Verwaltungsgericht Hannover, Urteil20.05.2020, 12 A 2452/19
  • Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil18.03.2021, 8 LB 97/20
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil11.10.2022

Unzumutbarkeit der Passbeschaffung bei Erfordernis einer "Reueerklärung"„Reueerklärung“ als Voraussetzung für Passbeschaffung unzumutbar

Einem subsidiär schutz­be­rech­tigten Ausländer darf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden, er könne einen Pass seines Herkunfts­s­taates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer "Reueerklärung" knüpft, die mit der Selbst­be­zich­tigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Der Kläger ist eritreischer Staats­an­ge­höriger. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährte ihm subsidiären Schutz, weil ihm aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Eritrea bei einer Rückkehr eine Inhaftierung drohe, die mit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbunden sei. Die Auslän­der­behörde lehnte seinen Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab, weil es dem Kläger zuzumuten sei, bei der Botschaft Eritreas einen Passantrag zu stellen. Die darauf erhobene Verpflich­tungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberver­wal­tungs­gericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises seien nicht erfüllt.

OVG: Zahlung einer Steuer und Abgabe einer "Reueerklärung zumutbar

Anders als Flüchtlingen sei es subsidiär Schutz­be­rech­tigten grundsätzlich zumutbar, sich bei der Auslands­ver­tretung ihres Herkunfts­s­taates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 der Aufent­halts­ver­ordnung bestehe daher auch dann, wenn dem Betroffenen ernsthafter Schaden durch staatliche Behörden drohe, nur bei Hinzutreten weiterer, hier nicht vorliegender Umstände, wie etwa der begründeten Furcht vor einer Gefährdung der im Heimatland lebenden Verwandten. Bemühungen um die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses seien dem Kläger nicht deshalb unzumutbar, weil in diesem Zusammenhang eine "Aufbau-" oder "Diasporasteuer" von 2 % seines Einkommens zu entrichten sei. Zumutbar sei auch die vom eritreischen Konsulat verlangte Abgabe einer "Reueerklärung", in der der Erklärende bedauere, seiner "nationalen Pflicht" nicht nachgekommen zu sein, und erkläre, auch eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren.

BVerwG: Abgabe einer "Reueerklärung" nicht zumutbar

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts geändert und das erstin­sta­nzliche Urteil wieder­her­ge­stellt. Der Kläger kann die Ausstellung eines Reiseausweises beanspruchen, weil er einen eritreischen Pass nicht zumutbar erlangen kann und auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Zwar ist es einem subsidiär Schutz­be­rech­tigten anders als einem Flüchtling grundsätzlich zumutbar, einen Passantrag bei den Behörden des Herkunfts­s­taates zu stellen. Ob etwas Anderes schon dann gilt, wenn der subsidiäre Schutz dem Ausländer wegen eines von staatlichen Stellen gezielt drohenden ernsthaften Schadens zuerkannt worden ist, bedurfte keiner Entscheidung. Denn jedenfalls ist dem Kläger nicht zuzumuten, die beschriebene Reueerklärung abzugeben.

Selbst­be­zich­tigung einer Straftat nicht zumutbar

Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen seinen Grundrechten und den staatlichen Interessen, die auf die Personalhoheit des Herkunfts­s­taates Rücksicht zu nehmen haben, geht hier zu seinen Gunsten aus. Die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat darf ihm gegen seinen plausibel bekundeten Willen auch dann nicht abverlangt werden, wenn sich – wie vom Berufungs­gericht festgestellt – die Wahrschein­lichkeit einer Bestrafung dadurch nicht erhöht und das Strafmaß gegebenenfalls sogar verringert.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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