Dokument-Nr. 2951
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Bundesverwaltungsgericht Urteil05.09.2006
Rückwirkender Verlust der durch Geburt erworbenen deutschen StaatsangehörigkeitZu den Anforderungen an die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Rücknahme der durch Täuschung erlangten Aufenthaltserlaubnis einer aus der Ukraine stammenden Ausländerin aufgehoben, weil es an der erforderlichen Ermessensentscheidung fehlte. Damit war nicht zu entscheiden, ob eine mit ausreichenden Ermessensgründen versehene Rücknahme zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ihres Sohnes geführt hätte.
Die aus der Ukraine stammende Klägerin erhielt 1992 in dem besonderen Verfahren der Aufnahme jüdischer Emigranten aus der früheren Sowjetunion in Deutschland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ihr im Jahr 2000 geborener Sohn erwarb nach § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch seine Geburt im Inland aufgrund des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin seit acht Jahren und ihres Besitzes der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Oktober 2001 nahm die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin mit Wirkung für die Vergangenheit mit der Begründung zurück, sie habe die Aufenthaltserlaubnis durch falsche Angaben über ihre angeblich jüdische Herkunft erschlichen. Nach der von einer ukrainischen Behörde amtlich übersandten Urkunde sei sie russischer Herkunft. Gleichzeitig wurde die Klägerin ausgewiesen. Auch wurde ihr und ihrem Sohn die Abschiebung in die Ukraine angedroht. Das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben die Klagen der Mutter und des Kindes abgewiesen. Die Klägerin habe die Aufenthaltserlaubnis durch die Vorlage einer unrichtigen Geburtsurkunde erschlichen. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit führe zum rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ihres Sohnes.
Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht beschränkt zugelassenen Revision wenden sich die Kläger nur noch gegen die rückwirkende Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis der Mutter und die Abschiebungsandrohung gegenüber dem Sohn. Sie machen u.a. unter Berufung auf Art. 16 Grundgesetz und die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen geltend, wegen eines Fehlverhaltens der Eltern könne den Kindern die einmal durch Geburt kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis der Mutter für die Vergangenheit sowie die Abschiebungsandrohung gegen den Sohn aufgehoben. Es hat entschieden, dass die Aufenthaltserlaubnis zwar rechtswidrig erteilt wurde und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Rücknahme vorliegen, die Ausländerbehörde aber das gesetzlich vorgeschriebene Ermessen nicht ausgeübt hat. Dem angegriffenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass sie sich des Erfordernisses einer Ermessensentscheidung bei der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis überhaupt bewusst war, auch wenn diese erschlichen war. Hier fehlte es an der notwendigen Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den schutzwürdigen privaten Belangen, namentlich im Hinblick auf den minderjährigen Sohn, vor allem wegen der Auswirkung der Entscheidung auf dessen deutsche Staatsangehörigkeit. Da die Rücknahmeentscheidung aufgehoben wurde, besteht die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes fort. Die gegen diesen gerichtete Abschiebungsandrohung konnte folglich keinen Bestand haben.
Damit konnte offen bleiben, was im Falle einer mit ausreichenden Ermessensgründen versehenen Rücknahmeentscheidung gegolten hätte, insbesondere ob und gegebenenfalls welche verfassungsrechtlichen Grenzen für die Rückgängigmachung des gesetzlichen Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines Kindes durch rückwirkende Aufhebung der Aufenthaltstitels des Elternteils bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 dem Gesetzgeber nahe gelegt, Auswirkungen eines Fehlverhaltens im Einbürgerungsverfahren auf den Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter, die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt waren, gesetzlich zu regeln. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts könnte es sich für den Gesetzgeber empfehlen, auch die vorliegende Fallkonstellation bei der bevorstehenden Befassung mit staatsangehörigkeitsrechtlichen Fragen mit zu bedenken.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.09.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 49/06 des BVerwG vom 05.09.2006
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