15.11.2024
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Dokument-Nr. 2951

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Bundesverwaltungsgericht Urteil05.09.2006

Rückwirkender Verlust der durch Geburt erworbenen deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeitZu den Anforderungen an die Rücknahme einer Aufent­halt­s­er­laubnis

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig hat die Rücknahme der durch Täuschung erlangten Aufent­halt­s­er­laubnis einer aus der Ukraine stammenden Ausländerin aufgehoben, weil es an der erforderlichen Ermes­sen­s­ent­scheidung fehlte. Damit war nicht zu entscheiden, ob eine mit ausreichenden Ermes­sens­gründen versehene Rücknahme zum Verlust der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit ihres Sohnes geführt hätte.

Die aus der Ukraine stammende Klägerin erhielt 1992 in dem besonderen Verfahren der Aufnahme jüdischer Emigranten aus der früheren Sowjetunion in Deutschland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ihr im Jahr 2000 geborener Sohn erwarb nach § 4 Abs. 3 des Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­setzes durch seine Geburt im Inland aufgrund des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin seit acht Jahren und ihres Besitzes der unbefristeten Aufent­halt­s­er­laubnis die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Oktober 2001 nahm die Auslän­der­behörde die Aufent­halt­s­er­laubnis der Klägerin mit Wirkung für die Vergangenheit mit der Begründung zurück, sie habe die Aufent­halt­s­er­laubnis durch falsche Angaben über ihre angeblich jüdische Herkunft erschlichen. Nach der von einer ukrainischen Behörde amtlich übersandten Urkunde sei sie russischer Herkunft. Gleichzeitig wurde die Klägerin ausgewiesen. Auch wurde ihr und ihrem Sohn die Abschiebung in die Ukraine angedroht. Das Verwal­tungs­gericht Berlin und das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg haben die Klagen der Mutter und des Kindes abgewiesen. Die Klägerin habe die Aufent­halt­s­er­laubnis durch die Vorlage einer unrichtigen Geburtsurkunde erschlichen. Die Rücknahme der Aufent­halt­s­er­laubnis mit Wirkung für die Vergangenheit führe zum rückwirkenden Verlust der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit ihres Sohnes.

Mit ihrer vom Oberver­wal­tungs­gericht beschränkt zugelassenen Revision wenden sich die Kläger nur noch gegen die rückwirkende Rücknahme der Aufent­halt­s­er­laubnis der Mutter und die Abschiebungsandrohung gegenüber dem Sohn. Sie machen u.a. unter Berufung auf Art. 16 Grundgesetz und die jüngste Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen geltend, wegen eines Fehlverhaltens der Eltern könne den Kindern die einmal durch Geburt kraft Gesetzes erworbene deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit nicht entzogen werden.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Rücknahme der Aufent­halt­s­er­laubnis der Mutter für die Vergangenheit sowie die Abschie­bung­s­an­drohung gegen den Sohn aufgehoben. Es hat entschieden, dass die Aufent­halt­s­er­laubnis zwar rechtswidrig erteilt wurde und damit die tatbe­stand­lichen Voraussetzungen für deren Rücknahme vorliegen, die Auslän­der­behörde aber das gesetzlich vorgeschriebene Ermessen nicht ausgeübt hat. Dem angegriffenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass sie sich des Erfordernisses einer Ermes­sen­s­ent­scheidung bei der Rücknahme der Aufent­halt­s­er­laubnis überhaupt bewusst war, auch wenn diese erschlichen war. Hier fehlte es an der notwendigen Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den schutzwürdigen privaten Belangen, namentlich im Hinblick auf den minderjährigen Sohn, vor allem wegen der Auswirkung der Entscheidung auf dessen deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit. Da die Rücknah­me­ent­scheidung aufgehoben wurde, besteht die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit des Sohnes fort. Die gegen diesen gerichtete Abschie­bung­s­an­drohung konnte folglich keinen Bestand haben.

Damit konnte offen bleiben, was im Falle einer mit ausreichenden Ermes­sens­gründen versehenen Rücknah­me­ent­scheidung gegolten hätte, insbesondere ob und gegebenenfalls welche verfas­sungs­recht­lichen Grenzen für die Rückgän­gig­machung des gesetzlichen Erwerbs der Staats­an­ge­hö­rigkeit eines Kindes durch rückwirkende Aufhebung der Aufent­halt­s­titels des Elternteils bestehen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 dem Gesetzgeber nahe gelegt, Auswirkungen eines Fehlverhaltens im Einbür­ge­rungs­ver­fahren auf den Bestand der Staats­an­ge­hö­rigkeit Dritter, die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt waren, gesetzlich zu regeln. Nach Ansicht des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts könnte es sich für den Gesetzgeber empfehlen, auch die vorliegende Fallkon­stel­lation bei der bevorstehenden Befassung mit staats­an­ge­hö­rig­keits­recht­lichen Fragen mit zu bedenken.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 49/06 des BVerwG vom 05.09.2006

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