21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.09.2020

Verfassungs­beschwerden gegen die Zurückweisung von Befangenheits­anträgen in einem laufenden Kapitalanleger-Musterverfahren erfolglosBVerfG nimmt Verfassungs­beschwerden nicht zur Entscheidung an

Das Bundes­verfassungs­gericht hat drei Verfassungs­beschwerden, die sich gegen die Zurückweisung dreier Befangenheits­anträge im Rahmen eines laufenden Kapitalanleger-Muster­ver­fahrens nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapital­markt­recht­lichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Muster­verfahrens­gesetz – KapMuG) richteten, nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach Beginn des Muster­ver­fahrens fanden innerhalb des zuständigen Senats des Oberlan­des­ge­richts mehrere aufein­an­der­folgende Richterwechsel statt. Auf die Bitte des Bevoll­mäch­tigten der Beschwer­de­führerin übersandte der Senats­vor­sitzende diesem die senatsinternen Geschäfts­ver­tei­lungspläne vom 1. September 2017, 1. Januar 2018 und 1. April 2018. Einen weiteren Beschluss über die Geschäfts­ver­teilung ab dem 1. März 2018 übersandte der Senat erst zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem Unstimmigkeiten aufgefallen waren. Die Geschäfts­ver­tei­lungspläne weisen das Musterverfahren jeweils einem der Beisitzer als Berich­t­er­statter zu. Außerdem geht hieraus hervor, dass der Senat mit fünf und im März 2018 sogar mit sechs Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt war.

Beschwer­de­führerin lehnte den Senats­vor­sit­zenden sowie den Berich­t­er­statter wegen Besorgnis der Befangenheit ab

Die Beschwer­de­führerin lehnte den Senats­vor­sit­zenden sowie den Berich­t­er­statter für das Musterverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Beschluss vom 1. März 2018 sei entweder ihrem Bevoll­mäch­tigten bewusst vorenthalten oder nachträglich gefälscht worden, um zum einen eine unzulässige Überbesetzung des Senats im März 2018 und zum anderen die ebenfalls unzulässige Zuweisung der Berichterstattung für das Kapitalanleger-Musterverfahren an einen bestimmten Beisitzer zu verschleiern. Der Senat wies das Ableh­nungs­gesuch gegen den Senats­vor­sit­zenden und den Berich­t­er­statter für das Musterverfahren unter Mitwirkung einer Richterin sowie zwei weiterer Richter zurück.

Rüge wegen Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter sowie des Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs

Daraufhin lehnte die Beschwer­de­führerin die beteiligte Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab, da diese an den Beschlüssen über die senatsinterne Geschäfts­ver­teilung mitgewirkt habe, so dass sie aufgrund Vorbefassung im Sinne des § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen sei. Auch dieses Ableh­nungs­gesuch wies der Senat ebenso wie ein weiteres Ableh­nungs­gesuch gegen den Senats­vor­sit­zenden, das ebenfalls die Versendung der senatsinternen Geschäfts­ver­tei­lungspläne betraf, als unbegründet zurück. Die von der Beschwer­de­führerin in allen drei Ableh­nungs­ver­fahren erhobenen Anhörungsrügen blieben jeweils erfolglos. Die Beschwer­de­führerin rügt mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden unter anderem eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie eine Verletzung des allgemeinen Justi­z­ge­wäh­rungs­an­spruchs aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das Oberlan­des­gericht habe den im Ableh­nungs­ver­fahren geltenden Amtser­mitt­lungs­grundsatz verletzt, weil es mangels Einholung dienstlicher Stellungnahmen aller an den Beschlüssen über die Geschäfts­ver­teilung beteiligten Richter die Umstände der Zuweisung der Berich­t­er­stattung für das Musterverfahren nicht weiter aufgeklärt habe.

BVerwG: Weitere Sachaufklärung durch OLG war nicht erforderlich

Das BVerfG hat die Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da sie mangels einer den Anforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig, weil eine Verletzung der Beschwer­de­führerin in ihren Grundrechten nicht dargelegt wird. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Amtsermittlung und eine Verletzung des Rechts­s­taats­gebots in der Ausprägung des Anspruchs auf Justizgewähr durch den Beschluss über die Zurückweisung des Ableh­nungs­gesuchs gegen den Senats­vor­sit­zenden und den Berich­t­er­statter für das Musterverfahren wird nicht hinreichend begründet. Das Rechts­s­taats­prinzip des Grundgesetzes enthält die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Verfah­rens­ge­gen­stands ermöglichen muss. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verleiht dem Einzelnen zwar einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Eine Verletzung der einfach­ge­setz­lichen Pflicht zur Sachver­halts­auf­klärung begründet aber grundsätzlich noch keinen Verfas­sungs­verstoß. Ein Verfas­sungs­verstoß kommt vielmehr nur unter besonderen Umständen in Betracht, welche von der Beschwer­de­führerin weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind. Eine weitere Sachaufklärung war hier nicht erforderlich, da weder die Zuweisung der Berich­t­er­stattung für das Kapitalanleger-Musterverfahren noch die Besetzung des für das Musterverfahren zuständigen Senats im März 2018 für den Senats­vor­sit­zenden Anlass bot, die senatsinterne Geschäfts­ver­teilung zu verschleiern oder nachträglich zu fälschen.

Wegen Ausschluss der Einzel­rich­ter­über­tragung im KapMuG kein Anlass zur Verschleierung

Der Vorsitzende kann grundsätzlich im Einzelfall nach seinem Ermessen ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmen, wer von den Mitgliedern einer konkreten Sitzgruppe die Aufgaben des Berich­t­er­statters wahrnimmt. Zwar unterliegt die Erstellung der Geschäfts­ver­tei­lungspläne den Bindungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Für einen überbesetzten Spruchkörper muss sich aus dem spruch­kör­pe­r­in­ternen Geschäfts­ver­tei­lungsplan durch eine abstrakt-generelle und hinreichend klare Regelung ergeben, wer bei der Entscheidung welcher Verfahren mitwirkt. Das Gebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt dementsprechend auch, dass der Berich­t­er­statter bereits im Geschäfts­ver­tei­lungsplan nach abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelungen festgelegt sein muss, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits vom Kolle­gi­al­gericht auf den Berich­t­er­statter als Einzelrichter übertragen werden soll. Da nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Kapitalanleger-Muster­ver­fah­rens­gesetz (KapMuG) die Übertragung auf den Einzelrichter nach §§ 348 ff. ZPO ausgeschlossen ist, bestand für den Senats­vor­sit­zenden jedoch kein Anlass, die Zuweisung der Berich­t­er­stattung für das Musterverfahren an einen bestimmten Beisitzer durch Zurückhaltung oder Fälschung von Geschäfts­ver­tei­lungs­plänen zu verschleiern.

Eine strenge zahlenmäßige Begrenzung auf weniger als das Doppelte der gesetzlichen Mitgliederzahl grundsätzlich nicht erforderlich

Wenn sich aus dem spruch­kör­pe­r­in­ternen Geschäfts­ver­tei­lungsplan durch eine abstrakt-generelle und hinreichend klare Regelung ergibt, welcher Richter bei der Entscheidung welcher Verfahren mitwirkt, ist auch eine strenge zahlenmäßige Begrenzung auf weniger als das Doppelte der gesetzlichen Mitgliederzahl jedenfalls grundsätzlich nicht erforderlich. Allein der Verweis auf die Anzahl von sechs Richtern reicht zur Begründung eines Verstoßes gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daher nicht aus.

Auch eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht hinreichend substantiiert begründet

Auch die Rüge, der Senat habe mit falscher Besetzung über das Ableh­nungs­gesuch entschieden und so das Recht der Beschwer­de­führerin auf den gesetzlichen Richter verletzt, wird nicht hinreichend substantiiert begründet. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet keine verfas­sungs­konforme Auslegung dahingehend, dass über den Wortlaut des § 41 Nr. 6 ZPO hinaus von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, wer mit der Sache zwar bereits befasst, aber an der angefochtenen Entscheidung nicht beteiligt war.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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