21.11.2024
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Dokument-Nr. 16003

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Beschluss07.05.2013Bundesverfassungsgericht2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 133, 377Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 133, Seite: 377
  • DStR 2013, 1228Zeitschrift: Deutsches Steuerrecht (DStR), Jahrgang: 2013, Seite: 1228
  • DVBl 2013, 909Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2013, Seite: 909
  • EuGRZ 2013, 316Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ), Jahrgang: 2013, Seite: 316
  • FamRZ 2013, 1103Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2013, Seite: 1103
  • FuR 2013, 535Zeitschrift: Familie und Recht (FuR), Jahrgang: 2013, Seite: 535
  • JA 2013, 714Zeitschrift: Juristische Arbeitsblätter (JA), Jahrgang: 2013, Seite: 714
  • JuS 2013, 1146Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 1146
  • JZ 2013, 833Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2013, Seite: 833
  • NJ 2013, 463Zeitschrift: Neue Justiz (NJ), Jahrgang: 2013, Seite: 463
  • NJW 2013, 2257Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 2257
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss07.05.2013

Ausschluss eingetragener Lebens­partnerschaften vom Ehegat­ten­splitting ist verfas­sungs­widrigRechtslage muss rückwirkend ab der Einführung des Lebens­partnerschafts­gesetzes zum 1. August 2001 geändert werden

Die Ungleich­be­handlung von eingetragenen Lebens­partnerschaften und Ehen beim Ehegat­ten­splitting ist verfas­sungs­widrig. Die entsprechenden Vorschriften des Einkommen­steuer­gesetzes verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, da es an hinreichend gewichtigen Sachgründen für die Ungleich­be­handlung fehlt. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Die Rechtslage muss rückwirkend ab der Einführung des Lebens­partnerschafts­gesetzes zum 1. August 2001 geändert werden. Übergangsweise sind die bestehenden Regelungen zum Ehegat­ten­splitting auch auf eingetragene Lebens­partnerschaften anzuwenden.

Das Einkom­men­steu­er­gesetz ermöglicht Ehegatten, die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer zu wählen, was zur Anwendung des so genannten Splittingtarifs führt (§§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG). Die Beschwer­de­führer beantragten nach Begründung eingetragener Leben­s­part­ner­schaften für die Jahre 2001 und 2002 die Zusam­men­ver­an­lagung mit ihren jeweiligen Lebenspartnern. Die Finanz­ver­waltung führte stattdessen Einzel­ver­an­la­gungen durch. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof erfolglos. Gegen diese Entscheidungen wenden sich die Beschwer­de­führer mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden.

Gericht weist angegriffene Entscheidungen zurück an Bundesfinanzhof

Die §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 des Einkom­men­steu­er­ge­setzes sind mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie eingetragenen Lebenspartnern anders als Ehegatten nicht die Möglichkeit der Zusam­men­ver­an­lagung und die damit verbundene Anwendung des Split­ting­ver­fahrens eröffnen. Die angegriffenen Entscheidungen hat der Senat aufgehoben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

Ungleich­be­handlung aufgrund der sexuellen Orientierung

Die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften zum Ehegattensplitting stellt eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleich­be­handlung wegen der sexuellen Orientierung dar. Auch wenn die Regelung selbst an den Familienstand anknüpft, ist doch die Entscheidung für eine Ehe oder eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft kaum trennbar mit der sexuellen Orientierung verbunden.

Recht­fer­ti­gungs­gründe für Ungleich­be­handlung sind bei Gefahr der Diskriminierung von Minderheiten strenger auszulegen

Im Fall der Ungleich­be­handlung von Personengruppen besteht regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes. Die Anforderungen an die Rechtfertigung sind umso strenger, je mehr sich die perso­nen­be­zogenen Merkmale an die des Art. 3 Abs. 3 GG annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass die Ungleich­be­handlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Dies ist bei Diffe­ren­zie­rungen nach der sexuellen Orientierung der Fall.

Besonderer Schutz der Ehe und Familie kein ausreichender Recht­fer­ti­gungsgrund für Ungleich­be­handlung

Allein der besondere Schutz der Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG vermag die Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft nicht zu rechtfertigen. Die Wertent­scheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Diffe­ren­zie­rungsgrund, der in erster Linie dazu geeignet ist, die Ehe gegenüber anderen Lebens­ge­mein­schaften besser zu stellen, die durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägt sind. Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer, in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich verfasster Lebensformen einher, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung indes nicht.

Leben­s­part­ner­schaft ist umfassende insti­tu­ti­o­na­li­sierte Verant­wor­tungs­ge­mein­schaft

Der Gesetzgeber hat die Leben­s­part­ner­schaft von Anfang an in einer der Ehe vergleichbaren Weise als umfassende insti­tu­ti­o­na­li­sierte Verant­wor­tungs­ge­mein­schaft verbindlich gefasst und bestehende Unterschiede kontinuierlich abgebaut. Wie die Ehe unterscheidet sich die Leben­s­part­ner­schaft sowohl von ungebundenen Partner­be­zie­hungen als auch von den Rechts­be­zie­hungen zwischen Verwandten.

Sachgründe für Begünstigung von Ehen gegenüber Leben­s­part­ner­schaften nicht ersichtlich

Es bedarf daher jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der die Begünstigung von Ehen gegenüber Leben­s­part­ner­schaften gemessen am jeweiligen Regelungs­ge­genstand und -ziel rechtfertigt. Ein solcher lässt sich für das Split­ting­ver­fahren weder aus dem Normzweck noch aus der Typisie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers im Steuerrecht herleiten.

Auch eingetragene Leben­s­part­ner­schaft ist als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs ausgestaltet

Zweck des 1958 eingeführten Split­ting­ver­fahrens ist es, Ehen unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten bei gleichem Gesamteinkommen gleich zu besteuern. Das Split­ting­ver­fahren nimmt hierbei den zivil­recht­lichen Grundgedanken der Ehe als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. Auch die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft ist als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs ausgestaltet. Bereits seit ihrer Einführung im Jahr 2001 ist sie in ihren für die steuer­rechtliche Anknüpfung wesentlichen Grundzügen mit der Ehe vergleichbar: Die wechselseitige Verpflich­tungs­be­fugnis bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs sowie die eingeschränkte Verfü­gungs­be­rech­tigung über eigenes Vermögen sind in beiden Instituten identisch geregelt. Zudem mussten die Lebenspartner bereits seit 2001, wenn sie nicht einen Leben­s­part­ner­schafts­vertrag schließen wollten, die so genannte Ausgleichs­ge­mein­schaft vereinbaren, für die die Vorschriften für die eheliche Zugewinn­ge­mein­schaft entsprechend galten. Zum 1. Januar 2005 wurde explizit die Zugewinn­ge­mein­schaft als Regelgüterstand eingeführt. Darüber hinaus wurde der - bei Ehescheidungen erst seit 1977 stattfindende - Versor­gungs­aus­gleich auf die Aufhebung der Leben­s­part­ner­schaft erstreckt.

Famili­en­po­li­tische Intentionen vermögen die Ungleich­be­handlung von Ehen und eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften bezüglich des Split­ting­ver­fahrens nicht zu rechtfertigen. Nach dem Einkom­men­steu­er­gesetz hängt die Gewährung des Split­ting­vorteils allein von der Existenz einer Ehe ab, in der die Partner nicht dauernd getrennt leben. Unbeachtlich ist demgegenüber das Vorhandensein von Kindern sowie die Möglichkeit, dass während der Ehe gemeinsame Kinder der Ehepartner geboren werden.

Auch Leben­s­part­ner­schafts­gesetz geht von Gleich­wer­tigkeit von Familienarbeit und Erwer­b­s­tä­tigkeit aus

Das Split­ting­ver­fahren erweitert den Spielraum der Ehepartner bei der Aufga­ben­ver­teilung innerhalb der Ehe und wird deshalb auch als Regelung angesehen, die vor allem für Familien gedacht ist, in denen ein Ehepartner wegen Familienarbeit (d. h. wegen Kindererziehung oder Pflege) nicht oder nur teilweise erwerbstätig ist. Jedoch erkennt auch das Leben­s­part­ner­schafts­gesetz - ebenso wie das Eherecht - den Partnern Gestal­tungs­freiheit im Hinblick auf ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung zu und geht von der Gleich­wer­tigkeit von Familienarbeit und Erwer­b­s­tä­tigkeit aus. Unterschiede zwischen der Lebenssituation von Ehepartnern und Lebenspartnern, die eine Ungleich­be­handlung rechtfertigen könnten, sind insoweit nicht zu erkennen. Zum einen gibt es nicht in jeder Ehe Kinder und ist nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Zum anderen werden zunehmend auch in Leben­s­part­ner­schaften Kinder großgezogen; insoweit sind Ausgestaltungen denkbar und nicht völlig unüblich, in denen der eine der Lebenspartner schwer­punktmäßig die Betreuung der Kinder übernimmt.

Privilegierung der Ehe lässt sich nicht mit Typisie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers begründen

Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur Leben­s­part­ner­schaft lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der Typisie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers im Steuerrecht begründen. Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebens­sach­verhalte normativ zusam­men­zu­fassen; die tatsächlichen Anknüp­fungs­punkte müssen im Normzweck angelegt sein. Typisierung setzt voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerech­tig­keiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Der gesetz­ge­be­rische Spielraum für Typisierungen ist umso enger, je dichter die verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben außerhalb des Art. 3 Abs. 1 GG sind. Er endet dort, wo die speziellen Diskri­mi­nie­rungs­verbote des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG betroffen sind.

Kindererziehung als typisierende Begünstigung von Ehepaaren gegenüber eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften kein Kriterium

Der Umstand, dass eingetragene Leben­s­part­ner­schaften und Ehen gleichermaßen als Gemeinschaften des Verbrauchs und Erwerbs konstituiert sind, geböte bei einer typisierenden Gruppenbildung eine steuerliche Gleich­be­handlung. Auch unter dem Gesichtspunkt der Förderung des Aufwachsens von Kindern kommt eine typisierende Begünstigung von Ehepaaren gegenüber eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften beim Split­ting­ver­fahren nicht in Betracht. Nach Berechnungen des Bundes­mi­nis­teriums der Finanzen entfallen zwar 91 % des gesamten Split­ting­vo­lumens auf Ehepaare mit aktuell oder früher steuerlich relevanten Kindern. Da der Split­ting­vorteil umso höher ist, je größer die Einkom­mens­un­ter­schiede zwischen beiden Partnern ausfallen, werden indes eingetragene Leben­s­part­ner­schaften ebenso wie Ehen insbesondere dann vom Splitting profitieren, wenn in ihnen Kinder aufwachsen oder aufgewachsen sind und deshalb einer der Partner nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig ist. Dass der Kinderanteil bei eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften weit unter dem von Ehepaaren liegt, genügt für eine typisierende Beschränkung des Split­ting­ver­fahrens auf Ehepaare nicht. Die Benachteiligung von Leben­s­part­ner­schaften beim Split­ting­ver­fahren ist ohne größere Schwierigkeiten für den Gesetzgeber und die Verwaltung vermeidbar. Auszublenden, dass auch in Leben­s­part­ner­schaften Kinder aufwachsen, liefe auf eine mittelbare Diskriminierung gerade wegen der sexuellen Orientierung der Partner hinaus.

Eingetragene Lebenspartner können bis zur Geset­zes­neu­re­gelung Anwendung des Split­ting­ver­fahrens beanspruchen

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfas­sungs­verstoß rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der Leben­s­part­ner­schaft am 1. August 2001 zu beseitigen. Da er hierfür unter­schiedliche Möglichkeiten hat, kommt vorliegend nur eine Unver­ein­ba­r­keits­er­klärung in Betracht. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung, die der Gesetzgeber unverzüglich zu treffen hat, bleiben §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG zur Vermeidung einer Unsicherheit über die Rechtslage anwendbar mit der Maßgabe, dass auch eingetragene Lebenspartner, deren Veranlagungen noch nicht bestandskräftig durchgeführt sind, mit Wirkung ab dem 1. August 2001 unter den für Ehegatten geltenden Voraussetzungen eine Zusam­men­ver­an­lagung und die Anwendung des Split­ting­ver­fahrens beanspruchen können.

Sondervotum des Richters Landau und der Richterin Kessal-Wulf

Der Senat verkennt, dass die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Überarbeitung des Leben­s­part­ner­schafts­rechts am 1. Januar 2005 nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht als eine der Ehe vergleichbare Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch ausgestaltet war. Bereits dies rechtfertigt die Privilegierung der Ehe in den allein streit­ge­gen­ständ­lichen Veran­la­gungs­jahren 2001 und 2002, ohne dass es eines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 GG bedarf.

Die Ehe ist von Verfassungs wegen als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs konzipiert, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen jeweils zur Hälfte teilhat. Die §§ 26, 26b und 32a EStG nehmen die zivil- und sozia­l­ver­si­che­rungs­rechtliche Gestaltung der Ehe auf und führen sie für den Bereich des Einkom­men­steu­er­rechts fort. Der Gesetzgeber hat das Split­ting­ver­fahren als „Reflex“ der Zugewinn­ge­mein­schaft angesehen. Es wahrt und stärkt - dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG folgend - die eheliche Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch. Einem Ehepartner wird ermöglicht, ohne steuerliche Einbußen dauerhaft oder vorübergehend einer Beschäftigung in Teilzeit nachzugehen oder sich gar ausschließlich familiären Aufgaben zu stellen.

Für das Kriterium der Vergleich­barkeit sind das eheliche Güterrecht und das Recht des Versor­gungs­aus­gleichs daher in besonderem Maße bedeutsam; hinzu treten flankierende Regelungen im Sozia­l­ver­si­che­rungsrecht, insbesondere zur Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung. Diese konstitutiven Merkmale sind jedoch erst mit Wirkung zum 1. Januar 2005 auf die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft ausgedehnt worden. Die Überg­angs­vor­schriften sahen keine zwingende rückwirkende Erstreckung auf bestehende Leben­s­part­ner­schaften vor.

Die Leben­s­part­ner­schaften der Beschwer­de­führer sind daher - jedenfalls in den allein streit­ge­gen­ständ­lichen Veran­la­gungs­jahren 2001 und 2002 - nicht als Gemeinschaften von Erwerb und Verbrauch im Sinne der Split­ting­vor­schriften anzusehen. Der Verweis des Senats auf die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Erbschaft- und Schenkungsteuer, zur Grund­e­r­wer­b­steuer und zum besol­dungs­recht­lichen Famili­en­zu­schlag ist ungeeignet, das gegenteilige Ergebnis zu begründen. Keine der genannten Entscheidungen stellt Grundsätze auf, die auf den Bereich des Einkom­men­steu­er­rechts unbesehen übertragbar sind. Durch den bloßen Hinweis auf diese Entscheidungen setzt sich der Senat dem Vorwurf einer rein schematischen Fortführung der bisherigen Rechtsprechung aus.

Die Erstreckung des Split­ting­ver­fahrens auf eingetragene Lebenspartner für die Veran­la­gungsjahre vor 2005 läuft auf die Gewährung der einkom­men­steu­er­recht­lichen Vorteile einer Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch hinaus, ohne dass die hieraus spiegelbildlich erwachsenden Verpflichtungen zwischen den Lebenspartnern in auch nur annähernd vergleichbarem Umfang bestanden hätten. Auch blendet die Begründung des Senats aus, dass der Gesetzgeber bewusst von einer vollständigen Gleichstellung abgesehen und gerade die ökonomische Selbst­stän­digkeit beider Partner als gesetzliches Leitbild herausgestellt hat. Somit setzt der Senat seine Einschätzung an die Stelle des hierzu alleine berufenen Gesetzgebers.

Die Annahme des Senats, die Typisie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers rechtfertige nicht die festgestellte Ungleich­be­handlung von Ehe und Leben­s­part­ner­schaft, entbehrt einer tragfähigen Begründung.

Der Senat räumt zwar ein, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Split­ting­ver­fahrens im Jahr 1958 auch famili­en­po­li­tische Zwecke verfolgt hat. Er zieht daraus aber nicht den gebotenen Schluss, dass auch diese famili­en­po­li­tische Funktion grundsätzlich geeignet ist, eine typisierende Privilegierung der Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu rechtfertigen, selbst wenn sie in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich gefasst sind. Entsprechend der sozialen Wirklichkeit konnte der Gesetzgeber bei der Einführung des Split­ting­ver­fahrens davon ausgehen, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Ehen auf die Erziehung von Kindern ausgerichtet war, und es - typisierend - nur vom Bestand der Ehe und nicht zusätzlich vom Vorhandensein von Kindern abhängig machen.

Heute wachsen zunehmend auch in eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften Kinder auf. Hieraus kann jedoch nicht zwingend geschlossen werden, dass schon in den Veran­la­gungs­jahren 2001 und 2002 der Gesamtheit der eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften das Split­ting­ver­fahren im Wege der Typisierung zu eröffnen gewesen wäre. Die Annahme des Senats, die steuerlichen Vorteile kämen auch bei Leben­s­part­ner­schaften typischerweise solchen mit Kindern zugute, ist nicht belegt. Unbeantwortet bleibt zudem die für die Typisierung entscheidende Frage, wie hoch der Anteil der Leben­s­part­ner­schaften gewesen ist, in denen Kinder erzogen wurden.

Etwaigen Ungleich­be­hand­lungen von eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften, in denen Kinder erzogen werden oder wurden, hätte auch durch eine auf diese beschränkte Eröffnung des Split­ting­ver­fahrens Rechnung getragen werden können. Ein solcher Lösungsansatz ist durch den Senat, der ausschließlich auf die typisierende Einbeziehung der Leben­s­part­ner­schaften abstellt, jedoch nicht vertieft worden.

Schließlich wäre es dem Gesetzgeber angesichts des famili­en­po­li­tischen Normzwecks des Split­ting­ver­fahrens zuzubilligen gewesen, zunächst die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft im Hinblick auf ihre Vorwirkung für die Familie und Genera­ti­o­nenfolge zu evaluieren und hieraus gegebenenfalls steuerliche Konsequenzen zu ziehen. Diesen Einschät­zungs­spielraum des Gesetzgebers übergeht der Senat durch seine rückwirkende Unver­ein­ba­r­keits­er­klärung und verengt dessen Gestal­tungs­mög­lich­keiten zusätzlich. Dabei setzt sich der Senat zudem über die bisherige Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hinweg, wonach der Gesetzgeber einen mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen muss, wenn die Verfassungslage nicht hinreichend geklärt war.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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