15.11.2024
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Dokument-Nr. 18499

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Beschluss30.06.2014Bundesverfassungsgericht2 BvR 792/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2014, 2563Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 2563
  • NJW-Spezial 2014, 506 (Klaus Leipold und Stephan Beukelmann)Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2014, Seite: 506, Entscheidungsbesprechung von Klaus Leipold und Stephan Beukelmann
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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.06.2014

Verwerfung der Revision in Strafsachen auch ohne mündliche Verhandlung möglichGerichte dürfen bei Nichtannahme offensichtlich unbegründeter Beschwerden von ausführlicher Begründung der Entscheidung absehen

Die in der Straf­pro­zess­ordnung eröffnete Möglichkeit, eine offensichtlich unbegründete Revision ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zu verwerfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es ist von Verfassungs wegen auch nicht geboten, dass eine solche Entscheidung mit einer Begründung versehen wird. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht und hat sich dabei auch mit dem Recht auf ein faires Verfahren ausein­an­der­gesetzt, das in Art. 6 der Europäischen Menschen­rechts­konvention verbürgt ist.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens wendet sich mit der Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Verwerfung einer Revision in Strafsachen durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 der Straf­pro­zess­ordnung (StPO). Er rügt, dass die Entscheidung ohne Durchführung einer Revisi­ons­haupt­ver­handlung ergangen sei und keine Begründung aufweise.

Art. 103 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass es keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken begegnet, dass der Bundes­ge­richtshof über die Revision des Beschwer­de­führers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat. Art. 103 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll. Der Beschwer­de­führer hatte in seiner Revisi­ons­be­gründung (§ 344 StPO) und in der Gegenerklärung zum Antrag des General­bun­des­anwalts (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) Gelegenheit, sich umfassend zu äußern. Er trägt nicht substantiiert vor, dass er sein Revisi­ons­vor­bringen in schriftlicher Form nicht ausreichend habe deutlich machen können.

Durchführung einer Revisi­ons­haupt­ver­handlung zur Herstellung prozessualer „Waffen­gleichheit“ nicht erforderlich

Die Durchführung einer Revisi­ons­haupt­ver­handlung ist auch nicht zur Herstellung prozessualer „Waffen­gleichheit“ erforderlich. Es trifft zwar zu, dass Revisionen der Staats­an­walt­schaft im Gegensatz zu Revisionen des Angeklagten im Allgemeinen nicht durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen werden. Der Beschwer­de­führer zeigt jedoch nicht auf, inwieweit diese Praxis bei Revisionen von Angeklagten generell oder im konkreten Einzelfall zu einer verminderten Rechts­schutz­qualität führt.

Nicht mehr angreifbare letzt­in­sta­nzliche gerichtliche Entscheidung bedarf keiner Begründung

Dass der Bundes­ge­richtshof die Revision des Beschwer­de­führers ohne Begründung verworfen hat, ist verfas­sungs­rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Von Verfassungs wegen bedarf eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare letzt­in­sta­nzliche gerichtliche Entscheidung regelmäßig keiner Begründung. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts auch für Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 StPO. Eine Begründung des Beschlusses ist auch nicht deshalb erforderlich, weil sonst keine sinnvolle Entscheidung darüber getroffen werden könnte, ob eine Anhörungsrüge oder eine Verfas­sungs­be­schwerde erhoben werden soll. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entge­gen­ge­nommene Betei­lig­ten­vor­bringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Zudem setzt eine Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO einen zu begründenden Antrag der Staats­an­walt­schaft voraus, der dem Revisionsführer mit den Gründen mitzuteilen ist. Zwar muss sich das Revisi­ons­gericht dem Antrag der Staats­an­walt­schaft nur im Ergebnis, nicht jedoch in allen Teilen der Begründung anschließen. Bei einer Abweichung von der Begründung der Staats­an­walt­schaft ist es aber sinnvoll und entspricht allgemeiner Übung, in den Beschluss einen Zusatz zur eigenen Rechts­auf­fassung aufzunehmen. Ohne einen solchen Zusatz kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisi­ons­gericht die Rechts­auf­fassung der Staats­an­walt­schaft zu Eigen gemacht hat.

Kein Verstoß gegen Recht auf ein faires Verfahren

Die Verwerfung der Revision des Beschwer­de­führers nach § 349 Abs. 2 StPO widerspricht auch nicht dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann im Rechts­mit­tel­ver­fahren unter bestimmten Voraussetzungen vom Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) abgewichen werden. Dabei ist eine Gesamt­be­trachtung der nationalen Verfah­rens­ordnung und der Rolle des Rechts­mit­tel­ge­richts darin vorzunehmen. Ohne Revisi­ons­haupt­ver­handlung war es dem Bundes­ge­richtshof nur möglich, das erstin­sta­nzliche Urteil, das auf einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beruht, aufzuheben und zugunsten des Beschwer­de­führers zu entscheiden oder aber das Urteil rechtskräftig werden zu lassen. Des Weiteren ist die Revision auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränkt, die sich regelmäßig nach Aktenlage entscheiden lassen. Ein Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO kann zudem nur bei offen­sicht­licher Aussichts­lo­sigkeit der Revision ergehen und setzt Einstimmigkeit voraus. Dies dient der Schonung der Ressourcen der Justiz, damit sich diese zügig aussichts­reichen Rechtsmitteln zuwenden kann, und damit der Verwirklichung des durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Beschleu­ni­gungs­grund­satzes.

Ausbleibende Begründung über Entscheidung zur Revision seitens des BGH mit Menschen­rechts­kon­vention vereinbar

Zudem ist es mit Art. 6 EMRK vereinbar, dass der Bundes­ge­richtshof seine Entscheidung über die Revision des Beschwer­de­führers nicht mit einer Begründung versehen hat. Art. 6 EMRK in der Auslegung des Gerichtshofs ist zwar eine grundsätzliche Pflicht zur angemessenen Begründung gerichtlicher Entscheidungen zu entnehmen. Allerdings hängt die Begründungspflicht von der Natur der Entscheidung ab und ist im Lichte der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Ein Rechts­mit­tel­gericht, das ein Rechtsmittel zurückweist, darf sich grundsätzlich darauf beschränken, sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung zu Eigen zu machen. Bei nationalen übergeordneten Gerichten erachtet es der Gerichtshof zudem für mit der Konvention vereinbar, wenn solche Gerichte bei der Nichtannahme offensichtlich unbegründeter Beschwerden von einer ausführlichen Begründung der Entscheidung absehen und allein auf die Norm verweisen, die ein entsprechendes Vorgehen erlaubt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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