Dokument-Nr. 18499
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- NJW 2014, 2563Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 2563
- NJW-Spezial 2014, 506 (Klaus Leipold und Stephan Beukelmann)Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2014, Seite: 506, Entscheidungsbesprechung von Klaus Leipold und Stephan Beukelmann
Bundesverfassungsgericht Beschluss30.06.2014
Verwerfung der Revision in Strafsachen auch ohne mündliche Verhandlung möglichGerichte dürfen bei Nichtannahme offensichtlich unbegründeter Beschwerden von ausführlicher Begründung der Entscheidung absehen
Die in der Strafprozessordnung eröffnete Möglichkeit, eine offensichtlich unbegründete Revision ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zu verwerfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es ist von Verfassungs wegen auch nicht geboten, dass eine solche Entscheidung mit einer Begründung versehen wird. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und hat sich dabei auch mit dem Recht auf ein faires Verfahren auseinandergesetzt, das in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt ist.
Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Verfahrens wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung einer Revision in Strafsachen durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO). Er rügt, dass die Entscheidung ohne Durchführung einer Revisionshauptverhandlung ergangen sei und keine Begründung aufweise.
Art. 103 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, dass der Bundesgerichtshof über die Revision des Beschwerdeführers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat. Art. 103 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll. Der Beschwerdeführer hatte in seiner Revisionsbegründung (§ 344 StPO) und in der Gegenerklärung zum Antrag des Generalbundesanwalts (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) Gelegenheit, sich umfassend zu äußern. Er trägt nicht substantiiert vor, dass er sein Revisionsvorbringen in schriftlicher Form nicht ausreichend habe deutlich machen können.
Durchführung einer Revisionshauptverhandlung zur Herstellung prozessualer „Waffengleichheit“ nicht erforderlich
Die Durchführung einer Revisionshauptverhandlung ist auch nicht zur Herstellung prozessualer „Waffengleichheit“ erforderlich. Es trifft zwar zu, dass Revisionen der Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu Revisionen des Angeklagten im Allgemeinen nicht durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen werden. Der Beschwerdeführer zeigt jedoch nicht auf, inwieweit diese Praxis bei Revisionen von Angeklagten generell oder im konkreten Einzelfall zu einer verminderten Rechtsschutzqualität führt.
Nicht mehr angreifbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung bedarf keiner Begründung
Dass der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers ohne Begründung verworfen hat, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Von Verfassungs wegen bedarf eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung regelmäßig keiner Begründung. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 StPO. Eine Begründung des Beschlusses ist auch nicht deshalb erforderlich, weil sonst keine sinnvolle Entscheidung darüber getroffen werden könnte, ob eine Anhörungsrüge oder eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden soll. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Zudem setzt eine Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO einen zu begründenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, der dem Revisionsführer mit den Gründen mitzuteilen ist. Zwar muss sich das Revisionsgericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft nur im Ergebnis, nicht jedoch in allen Teilen der Begründung anschließen. Bei einer Abweichung von der Begründung der Staatsanwaltschaft ist es aber sinnvoll und entspricht allgemeiner Übung, in den Beschluss einen Zusatz zur eigenen Rechtsauffassung aufzunehmen. Ohne einen solchen Zusatz kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft zu Eigen gemacht hat.
Kein Verstoß gegen Recht auf ein faires Verfahren
Die Verwerfung der Revision des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2 StPO widerspricht auch nicht dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann im Rechtsmittelverfahren unter bestimmten Voraussetzungen vom Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) abgewichen werden. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung der nationalen Verfahrensordnung und der Rolle des Rechtsmittelgerichts darin vorzunehmen. Ohne Revisionshauptverhandlung war es dem Bundesgerichtshof nur möglich, das erstinstanzliche Urteil, das auf einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beruht, aufzuheben und zugunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden oder aber das Urteil rechtskräftig werden zu lassen. Des Weiteren ist die Revision auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränkt, die sich regelmäßig nach Aktenlage entscheiden lassen. Ein Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO kann zudem nur bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Revision ergehen und setzt Einstimmigkeit voraus. Dies dient der Schonung der Ressourcen der Justiz, damit sich diese zügig aussichtsreichen Rechtsmitteln zuwenden kann, und damit der Verwirklichung des durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Beschleunigungsgrundsatzes.
Ausbleibende Begründung über Entscheidung zur Revision seitens des BGH mit Menschenrechtskonvention vereinbar
Zudem ist es mit Art. 6 EMRK vereinbar, dass der Bundesgerichtshof seine Entscheidung über die Revision des Beschwerdeführers nicht mit einer Begründung versehen hat. Art. 6 EMRK in der Auslegung des Gerichtshofs ist zwar eine grundsätzliche Pflicht zur angemessenen Begründung gerichtlicher Entscheidungen zu entnehmen. Allerdings hängt die Begründungspflicht von der Natur der Entscheidung ab und ist im Lichte der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Ein Rechtsmittelgericht, das ein Rechtsmittel zurückweist, darf sich grundsätzlich darauf beschränken, sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung zu Eigen zu machen. Bei nationalen übergeordneten Gerichten erachtet es der Gerichtshof zudem für mit der Konvention vereinbar, wenn solche Gerichte bei der Nichtannahme offensichtlich unbegründeter Beschwerden von einer ausführlichen Begründung der Entscheidung absehen und allein auf die Norm verweisen, die ein entsprechendes Vorgehen erlaubt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.07.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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