15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.10.2006

Wegfall der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit nach erfolgreicher Vater­schafts­an­fechtung ist zulässig

Der Beschwer­de­führer ist im Juni 1998 in Hamburg geboren. Seine Mutter besitzt die albanische Staats­an­ge­hö­rigkeit und war zum Zeitpunkt seiner Geburt mit einem deutschen Staats­an­ge­hörigen verheiratet. Mit rechtskräftigem Urteil vom November 1999 stellte das Amtsgericht auf die Vater­schafts­an­fech­tungsklage des Ehemannes hin fest, dass der Beschwer­de­führer nicht von ihm abstammt. Die Ehe wurde kurz darauf geschieden. In der Folgezeit zog die Behörde den Kinderausweis des Beschwer­de­führers ein, da er nicht mehr im Besitz der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit sei. Die hiergegen erhobene Klage auf Feststellung seiner deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit blieb vor dem Verwal­tungs­gericht und dem Oberver­wal­tungs­gericht ohne Erfolg.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfassungsbeschwerde des Beschwer­de­führers nicht zur Entscheidung angenommen. Der Staats­an­ge­hö­rig­keits­verlust, von dem der Beschwer­de­führer betroffen ist, stellt keine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit dar.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Der Wegfall der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit infolge einer Vater­schafts­an­fechtung fällt aus dem Anwen­dungs­bereich des Verbots der Entziehung der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit nicht schon deshalb heraus, weil der Erwerb der Staats­an­ge­hö­rigkeit durch die einfach­ge­setz­lichen Regelungen, aus denen dieser Wegfall sich ergibt, unter einen Vorbehalt gestellt wäre, der ohne weiteres auch die Reichweite des Entzie­hungs­verbots nach Art. 16 Abs. 1 GG entsprechend begrenzte. Die Reichweite des Entzie­hungs­verbots wird nicht durch einfach­ge­setzliche Regelungen begrenzt, die zu einem Wegfall der Staats­an­ge­hö­rigkeit führen; vielmehr bestimmt umgekehrt das Entzie­hungs­verbot die Grenzen der Zulässigkeit solcher Regelungen.

Diese Grenzen sind jedoch hier nicht überschritten. Entziehung der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist jede und nur die Verlustzufügung, die die Funktion der Staats­an­ge­hö­rigkeit als verlässliche Grundlage gleich­be­rech­tigter Zugehörigkeit beeinträchtigt. Der Wegfall der Staats­an­ge­hö­rigkeit, der als Rechtsfolge eintritt, wenn ein Gericht auf Anfechtung hin das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, von der ein Kind den Geburtserwerb der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit ableitet, stellt eine solche Beein­träch­tigung jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staats­an­ge­hö­rigkeit noch nicht entwickelt haben. So verhält es sich im Fall des Beschwer­de­führers, der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des damaligen Ehemannes seiner Mutter etwa eineinhalb Jahre alt war.

Die geltenden einfach­ge­setz­lichen Bestimmungen schließen allerdings einen durch erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft bedingten Verlust der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit auch in einem Alter, in dem sich die Frage stellt, ob die Verlässlichkeit des Staats­an­ge­hö­rig­keits­status beeinträchtigt sein könnte, nicht aus. Es gibt jedoch keinen Verfas­sungs­grundsatz, nach dem die Anwendung gesetzlicher Regelungen auch in materiell-verfas­sungs­rechtlich eindeutig unpro­ble­ma­tischen Fällen allein deshalb ausgeschlossen wäre, weil eine verfas­sungs­rechtliche Grenze, die die Anwendung in besonderen Einzelfällen ausschließen kann, nicht ausdrücklich bestimmt ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 112/06 des BVerfG vom 15.11.2006

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