Dokument-Nr. 6885
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- Landgericht Kassel, Urteil30.01.2004, 2650 Js 36980/02 - 6 Ks
- "Kannibalen-Fall" von Rotenburg: BGH wertet Tat als Mord nicht als TotschlagBundesgerichtshof, Urteil22.04.2005, 2 StR 310/04
- Lustmord - "Kannibale von Rotenburg" wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteiltLandgericht Frankfurt am Main, Urteil09.05.2006, 5/21 Ks 3550 Js 220983/05
Bundesverfassungsgericht Beschluss07.10.2008
"Kannibale von Rotenburg" scheitert mit Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung wegen MordesStraftat war nicht nur "Tötung auf Verlangen"
Der Beschwerdeführer lernte über einschlägige Internetforen das spätere Tatopfer kennen. Die beiden vereinbarten zur jeweiligen Befriedigung ihrer sexuellen Neigungen eine Penisamputation beim Tatopfer und die anschließende Tötung des Mannes durch den Beschwerdeführer. Nachdem der Beschwerdeführer die Amputation durchgeführt hatte, tötete er das Tatopfer mit zwei Messerstichen. Die Tötung und Zerlegung der Leiche nahm der Beschwerdeführer mit einer Videokamera auf, um sich den Film zur Selbstbefriedigung anzuschauen. Tage später verzehrte er Teile der Leiche und sah sich das Video an. Dabei befriedigte er sich selbst.
Das Landgericht Kassel verurteilte den Beschwerdeführer zunächst wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof auf Revision der Staatsanwaltschaft auf, da das Landgericht eine Verurteilung wegen Mordes nicht ausreichend geprüft habe. Nach erneuter Hauptverhandlung verhängte das Landgericht Frankfurt am Main gegen den Beschwerdeführer eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer die Mordmerkmale der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und der Tötung, um eine andere Straftat zu ermöglichen - nämlich eine Störung der Totenruhe - verwirklicht habe. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Beschwerdeführers verwarf der Bundesgerichtshof als offensichtlich unbegründet.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde machte der Beschwerdeführer unter anderem geltend, dass er nur wegen Tötung auf Verlangen bestraft werden dürfte, da das Opfer mit der Tötung einverstanden gewesen sei. Die Verurteilung wegen Mordes könne schon deshalb nicht aufrechterhalten bleiben, weil der Straftatbestand des § 211 StGB verfassungswidrig sei. Außerdem sei der Straftatbestand fehlerhaft ausgelegt und angewendet worden.
Die Verfassungsbeschwerde wurde von der 2. Kammer des Zweiten Senats nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie weder grundsätzliche Bedeutung hat noch ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Der verfassungsrechtliche Rahmen für die Auslegung und Anwendung des Mordtatbestands ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen geklärt. Gleiches gilt für die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die sich aus dem Übermaßverbot und insbesondere dem Gebot schuldangemessenen Strafens für das Strafrecht ergeben. Danach sind weder die unterbliebene Anwendung des Straftatbestands der Tötung auf Verlangen noch die Strafvorschrift des § 211 StGB als solche oder deren Auslegung und Anwendung im Einzelfall verfassungsrechtlich zu beanstanden.
Die wortlautkonforme Auslegung des § 216 StGB durch das Landgericht Frankfurt am Main, wonach eine Tötung auf Verlangen nur vorliegt, wenn das Tötungsverlangen des Opfers für den Täter handlungsleitend gewesen ist, schränkt diesen Privilegierungstatbestand nicht unverhältnismäßig ein.
Die Strafvorschrift des § 211 StGB ist mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem verfassungsrechtlichen Schuldprinzip auch insofern vereinbar, als danach mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird, wer zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder um eine andere Straftat zu ermöglichen einen Menschen tötet. Insbesondere ist auch das Mordmerkmal der Tötung "zur Befriedigung des Geschlechtstriebs" zur Abgrenzung besonders verwerflicher Tötungshandlung geeignet, wobei sich die besondere Verwerflichkeit aus der Relation von Zweck und Mittel und regelmäßig auch aus der besonderen Gefährlichkeit des Täters ergibt. Im Hinblick auf dieses Mordmerkmal wie auch auf das Mordmerkmal der Tötung zur Ermöglichung einer Straftat stehen den Strafgerichten ausreichende Mittel zur Verfügung, um eine Verurteilung nach § 211 StGB auf die Fälle zu beschränken, in denen die besondere Verwerflichkeit der Tat dies rechtfertigt.
Ob die genannten Mordmerkmale im Falle des Beschwerdeführers erfüllt sind, ist eine Frage der Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts, deren Beantwortung ebenso wie die Bestimmung einer schuldangemessenen Strafe in erster Linie Sache der dafür zuständigen Strafgerichte ist. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur nach, ob dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz durch die Fachgerichte überhaupt Rechnung getragen oder seine Tragweite bei der Auslegung und Anwendung des Strafrechts grundlegend verkannt worden ist. Es prüft dagegen nicht, ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend und den einfachrechtlichen Vorgaben entsprechend gewichtet worden sind oder eine andere Entscheidung näher liegt. Nach diesem Prüfungsmaßstab liegt ein Grundrechtsverstoß weder in der Bejahung der besagten Mordmerkmale auf der Tatbestandsseite noch darin, dass auf der Rechtsfolgenseite eine Strafmilderung unterblieben ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 24.10.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 89/08 des BVerfG vom 24.10.2008
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