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30.01.2025  
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Dokument-Nr. 34741

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Beschluss23.01.2025Bundesverfassungsgericht2 BvR 5/25
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss23.01.2025

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Anordnung der Auslie­fe­rungshaftOberlan­des­gericht hat den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht ausreichend begründet

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat der Verfas­sungs­be­schwerde eines italienischen Staats­an­ge­hörigen gegen die gerichtliche Anordnung seiner Auslie­fe­rungshaft stattgegeben.

Dem Beschwer­de­führer wird von den italienischen Behörden insbesondere zur Last gelegt, gemein­schaftlich handelnd als logistische Unterstützung bei der Verwendung eines Sprengsatzes mitgewirkt zu haben, weshalb die Justizbehörden der Republik Italien um seine Überstellung zum Zwecke der Strafverfolgung ersuchten.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2024 ordnete das Oberlan­des­gericht die Auslieferungshaft gegen den Beschwer­de­führer an. Insbesondere bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Die zwischen­zeitlich durch den Beschwer­de­führer geltend gemachten Einwendungen gegen die Anordnung der Auslie­fe­rungshaft wies das Oberlan­des­gericht mit Beschluss vom 3. Januar 2025 zurück. Gegen diese Entscheidungen wendet sich der Beschwer­de­führer mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde.

Die gerichtlichen Entscheidungen verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG). Die Beschlüsse des Oberlan­des­ge­richts genügen nicht den Anforderungen an die verfas­sungs­rechtlich gebotene Begrün­dungstiefe. Sie werden aufgehoben und die Sache wird an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Sachverhalt

Gegen den Beschwer­de­führer – einen in Deutschland geborenen und hier mit seiner Familie wohnhaften italienischen Staats­an­ge­hörigen – liegt ein Europäischer Haftbefehl eines italienischen Gerichts vor. Mittels Ausschreibung im Schengener Infor­ma­ti­o­ns­system ersuchten die Justizbehörden der Republik Italien um seine Überstellung zum Zwecke der Strafverfolgung. Dem Beschwer­de­führer wird insbesondere zur Last gelegt, gemein­schaftlich handelnd als logistische Unterstützung bei der Verwendung eines Sprengsatzes mitgewirkt zu haben. Die Höchstdauer der Strafe betrage vier Jahre.

Mit angegriffenem Beschluss vom 17. Dezember 2024 ordnete das Oberlan­des­gericht die Auslie­fe­rungshaft des Beschwer­de­führers an. Insbesondere bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Dem Beschwer­de­führer drohe in Italien die Verurteilung zu einer erheblichen Freiheitsstrafe. Seine bekannten persönlichen und sozialen Bindungen reichten nicht aus, um dem Fluchtanreiz verlässlich entge­gen­zu­wirken. Mildere Maßnahmen, die diesen Zweck erreichen könnten, erschlössen sich dem Senat gegenwärtig nicht. Auslieferungs- und Bewil­li­gungs­hin­dernisse seien nicht ersichtlich.

Im Rahmen einer Gegen­vor­stellung führte der Beschwer­de­führer aus, dass die Auslie­fe­rungshaft unver­hält­nismäßig und nicht hinreichend begründet sei. Dass weniger einschneidende Maßnahmen wie die Meldung bei der Polizei und die Verwahrung der Ausweispapiere nahelägen, die eine Außer­voll­zug­setzung unter Auflagen geeignet erscheinen ließen, finde in der Begründung des Oberlan­des­ge­richts bisher keine Berück­sich­tigung. Seine individuelle Situation werde nicht gewürdigt. Auch das Vorliegen der Fluchtgefahr werde nicht tragfähig begründet.

Mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2025 entschied das Oberlan­des­gericht, die Einwendungen gegen den Auslie­fe­rungs­haft­befehl zurückzuweisen und den Antrag des Beschwer­de­führers, den Auslie­fe­rungs­haft­befehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen, abzulehnen. Es sei weiterhin von einer Fluchtgefahr auszugehen. Der Senat verkenne nicht, dass der Beschwer­de­führer in Deutschland aufgewachsen sei, hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe und über soziale Bindungen verfüge. Im Hinblick auf die voraussichtlich empfindlich hohe Straferwartung im Fall einer Verurteilung sowie die Gesamtwürdigung seiner konkreten Lebensumstände vermöge der Beschwer­de­führer mit seinen Anträgen indes nicht durchzudringen.

Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde wendet sich der Beschwer­de­führer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

Wesentliche Erwägungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Die zulässige Verfas­sungs­be­schwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen des Oberlan­des­ge­richts vom 17. Dezember 2024 und vom 3. Januar 2025 verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie genügen nicht den Anforderungen an die verfas­sungs­rechtlich gebotene Begrün­dungstiefe.

1. Es bestehen bereits Bedenken, ob die Erwägungen, mit denen das Oberlan­des­gericht die Fluchtgefahr bejaht hat, der verfas­sungs­rechtlich gebotenen Begrün­dungstiefe genügen. Die Ausführungen des Gerichts lassen besorgen, dass es die Fluchtgefahr allein auf die – nicht näher erläuterte – hohe Straferwartung gestützt hat. Zwar hat es in den angegriffenen Beschlüssen ohne nähere Begründung festgehalten, dass die bekannten persönlichen und sozialen Bindungen des Beschwer­de­führers nicht ausreichten, um dem Fluchtanreiz verlässlich entge­gen­zu­wirken, und somit im Kontext der Fluchtgefahr nicht nur die Straferwartung angeführt. Dennoch erscheint es zweifelhaft, ob das Gericht der gebotenen Begrün­dungstiefe insoweit genügt hat.

2. Jedenfalls erreicht die Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung nicht die verfas­sungs­rechtlich gebotene Begrün­dungstiefe. Das Oberlan­des­gericht stellt in dem Beschluss vom 17. Dezember 2024 nach den Ausführungen zur Fluchtgefahr lediglich pauschal fest, dass mildere Maßnahmen, um die Anwesenheit des Beschwer­de­führers im Auslie­fe­rungs­ver­fahren sicherzustellen, nicht ersichtlich seien. In dem Beschluss vom 3. Januar 2025 wird ohne weitere Ausführungen festgestellt, dass der Beschwer­de­führer im Hinblick auf die voraussichtlich empfindlich hohe Straferwartung im Fall einer Verurteilung sowie „die Gesamtwürdigung seiner konkreten Lebensumstände“ mit seinen Anträgen nicht durchzudringen vermöge.

Eine verfas­sungs­rechtlich notwendige Abwägungs­ent­scheidung des Gerichts, die erkennen lässt, dass es sich unter Berück­sich­tigung der Besonderheiten des Einzelfalls ernstlich mit der Frage der Verhält­nis­mä­ßigkeit der Freiheits­ent­ziehung ausein­an­der­gesetzt hat, fehlt in den angegriffenen Beschlüssen. Gleiches gilt für die Offenlegung der Gesichtspunkte, die das Gericht als maßgeblich erachtet hat, um ein Überwiegen des Interesses, die Durchführung des Auslie­fe­rungs­ver­fahrens und der Auslieferung zu sichern, gegenüber dem Freiheits­grundrecht des Betroffenen zu rechtfertigen. Auch eine nachvoll­ziehbare Prüfung weniger einschneidender Maßnahmen – etwa die Aussetzung des Vollzugs des Auslie­fe­rungs­haft­befehls unter Auflagen – unterbleibt. Die Ausführungen des Gerichts hierzu erschöpfen sich vielmehr in der pauschalen Wendung, mildere Maßnahmen erschlössen sich dem Senat gegenwärtig nicht.

Das Oberlan­des­gericht wird unter Beachtung der verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen erneut über den Antrag der General­staats­an­walt­schaft auf Erlass eines Auslie­fe­rungs­haft­befehls zu entscheiden haben. Dabei werden insbesondere die konkreten persönlichen Lebensumstände des Beschwer­de­führers einschließlich seiner familiären Verhältnisse und seines offenbar straffreien Vorlebens zu würdigen sein.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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