21.11.2024
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Dokument-Nr. 32963

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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.05.2023

Verfassungs­beschwerde gegen das Verbot der Werbung für Schwan­ger­schafts­abbrüche erfolglosVoraussetzungen für ein ausnahmsweise bestehendes Recht­schutz­be­dürfnis trotz Erledigung nicht erfüllt

Das Bundes­verfassungs­gericht die Verfassungs­beschwerde einer Gießener Ärztin nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwer­de­führerin wandte sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft und gegen die Strafvorschrift des § 219 a Strafgesetzbuch (StGB). Während des laufenden Verfahrens hob der Bundestag die Vorschrift des § 219 a StGB sowie die hierauf beruhenden straf­ge­richt­lichen Verurteilungen mit Gesetz vom 11. Juli 2022 rückwirkend auf. Infolgedessen hat sich das Rechts­schutzziel der Beschwer­de­führerin erledigt. Ein trotz Erledigung ausnahmsweise fortbestehendes Rechtsschutz­bedürfnis liegt nicht vor.

Mit Urteil vom 24. November 2017 sprach das Amtsgericht Gießen die Beschwer­de­führerin der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 219 a Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe. Der Beschwer­de­führerin, die in ihrer Arztpraxis in Gießen Schwan­ger­schafts­ab­brüche vornimmt, wurde zur Last gelegt, eine frei zugängliche Internetseite betrieben zu haben, auf welcher sie Informationen über Schwan­ger­schafts­ab­brüche verbreitet habe. Dort habe sie eine Datei zur Verfügung gestellt, in welcher sowohl allgemeine Informationen zum Schwangerschaftsabbruch als auch Hinweise zu den in der Praxis vorgenommenen Methoden enthalten gewesen seien. Die von der Beschwer­de­führerin gegen ihre strafrechtliche Verurteilung eingelegten Rechtsmittel führten zu einer Abänderung des Rechts­fol­ge­n­aus­spruchs, blieben jedoch im Übrigen erfolglos.

BVerfG: Rechts­schutzziel durch Aufhebung der Urteile und des § 219 a StGB erledigt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig abgewiesen. Das Rechts­schutzziel der Beschwer­de­führerin hat sich erledigt. Sie hat auch nicht hinreichend substantiiert dazu vorgetragen, dass sie trotz der Erledigung über ein fortbestehendes Rechts­schutz­be­dürfnis verfügt. Das Rechts­schutzziel der Beschwer­de­führerin hat sich erledigt, weil die unmittelbar angegriffenen Gericht­s­ent­schei­dungen und der mittelbar angegriffene § 219 a StGB rückwirkend aufgehoben wurden. Sie entfalten gegenüber der Beschwer­de­führerin keine belastenden Wirkungen mehr.

Prüfung der Aufhe­bungs­vor­schrift nicht erforderlich

Der Eintritt einer erledigenden Situation wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die gesetzliche Vorschrift des Art. 316n Abs. 1 Nr. 1 des Einfüh­rungs­ge­setzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), mit welcher die auf § 219 a StGB beruhenden straf­ge­richt­lichen Urteile aufgehoben worden sind, ihrerseits im Rahmen eines möglichen Normen­kon­troll­ver­fahrens für verfas­sungs­widrig und in der Folge für nichtig erklärt werden könnte. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist ein außer­or­dent­licher Rechtsbehelf, der dem Einzelnen in erster Linie zur Verteidigung seiner Grundrechte und grund­rechts­gleichen Rechte dient. Zu diesem Zweck ist eine Prüfung von Art. 316n Abs. 1 Nr. 1 EGStGB nicht erforderlich. Dieses Gesetz ist weder Gegenstand des Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahrens, noch ist die Beschwer­de­führerin durch das Gesetz beschwert. Im Übrigen kann ein mögliches Normen­kon­troll­ver­fahren nicht durch eine Inzidentprüfung des Art. 316n EGStGB innerhalb eines Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahrens ersetzt werden. Ansonsten würden die notwendige Abgrenzung und Balance zwischen den einzelnen Verfahrensarten unterlaufen werden.

Kein ausnahmsweise Rechts­schutz­be­dürfnis trotz Erledigung

Bei Erledigung des Rechts­schutzziels einer Verfas­sungs­be­schwerde besteht das Rechts­schutz­be­dürfnis nur in eng begrenzten Ausnahmefällen fort. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ein fortbestehendes Rechts­schutz­be­dürfnis kann nicht unter dem Gesichtspunkt einer Wieder­ho­lungs­gefahr angenommen werden. Der mittelbar angegriffene § 219 a StGB wurde ersatzlos aufgehoben. Künftige Verurteilungen der Beschwer­de­führerin wegen Werbens für Schwan­ger­schafts­ab­brüche kommen daher nicht in Betracht. Ein fortbestehendes Rechts­schutz­be­dürfnis kann weiterhin nicht damit begründet werden, dass sich die mit dem angegriffenen Hoheitsakt einhergehende Belastung auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher die Beschwer­de­führerin nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts kaum erlangen konnte und der Grund­rechts­schutz der Beschwer­de­führerin anderenfalls in unzumutbarer Weise verkürzt würde. Um eine solche Konstellation geht es vorliegend nicht.

Beschwer­de­führerin umfassend rehabilitiert

Ein Rechts­schutz­be­dürfnis besteht auch nicht deshalb fort, weil ansonsten die Klärung einer verfas­sungs­recht­lichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grund­recht­s­eingriff besonders belastend erscheint. Für das nicht mehr geltende Recht besteht kein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse, seine Verfas­sungs­mä­ßigkeit auch noch nach seinem Außer­kraft­treten zu klären. Ein schutzwürdiges Rechts­schut­z­in­teresse besteht schließlich nicht unter dem Gesichtspunkt einer fortdauernden Beein­träch­tigung. Die Beschwer­de­führerin muss nicht befürchten, dass sie trotz Aufhebung der straf­ge­richt­lichen Urteile als verurteilte Straftäterin bezeichnet und dadurch stigmatisiert werden könnte. Der Gesetzgeber hat durch den Erlass von Art. 316n Abs. 1 Nr. 1 EGStGB die gegen die Beschwer­de­führerin ergangenen straf­ge­richt­lichen Entscheidungen aufgehoben. Dadurch wurde sie umfassend rehabilitiert. Dies entspricht der erklärten Absicht des Gesetzgebers. Welche zusätzliche Rehabi­li­ta­ti­o­ns­wirkung von einer verfas­sungs­ge­richt­lichen Feststellung der Verfas­sungs­wid­rigkeit des § 219 a StGB ausgehen sollte, erschließt sich nicht.

Noch nicht erstattete Geldstrafe führt ebenfalls nicht zu einer fortdauernden Belastung

Der Umstand, dass die entrichtete Geldstrafe der Beschwer­de­führerin noch nicht erstattet wurde, führt ebenfalls nicht zu einer fortdauernden Belastung. Nach § 13 Abs. 1 der Einforderungs- und Beitrei­bungs­a­n­ordnung (EBAO) steht der Beschwer­de­führerin ein Anspruch auf Rückzahlung der entrichteten Geldstrafe zu. Dass eine Erstattung nach dieser Vorschrift grundsätzlich von Amts wegen zu erfolgen hat und hier nach dem Vortrag der Beschwer­de­führerin bislang noch nicht geschehen ist, ändert daran nichts. Es steht ihr offen und ist ihr zumutbar, die von ihr bereits beantragte Rückforderung der Geldstrafe weiter zu betreiben und gegen ablehnende Entscheidungen den hierfür eröffneten Rechtsweg zu beschreiten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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