21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss26.08.2013

Verfassungs­beschwerde im "Fall Mollath" erfolgreichFortdauer der Unterbringung nicht gerechtfertigt

Das Bundes­verfassungs­gerichts hat der Verfassungs­beschwerde von Gustl Ferdinand Mollath gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlan­des­ge­richts Bamberg stattgegeben. Die in den Beschlüssen des Jahres 2011 aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Fortdauer der Unterbringung zu rechtfertigen. Die Beschlüsse verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) in Verbindung mit dem Verhältnis­mäßig­keits­grundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG).

Mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. August 2006 wurde der Beschwer­de­führer von den Vorwürfen der gefährlichen Körper­ver­letzung, der Freiheits­be­raubung sowie der Sachbe­schä­digung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gemäß der Urteils­be­gründung sah das Landgericht den objektiven Tatbestand der angeklagten Straf­tat­be­stände als erfüllt an. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwer­de­führer zu den Tatzeitpunkten aufgrund einer paranoiden Wahnsymptomatik schuldunfähig gewesen sei. Die Unterbringung des Beschwer­de­führers sei aufgrund der Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten geboten.

OLG Bamberg verwirft Beschwerde gegen Fortdauer der Unterbringung als unbegründet

Mit Beschluss vom 9. Juni 2011 ordnete das Landgericht Bayreuth die Fortdauer der Unterbringung an, da nicht zu erwarten sei, dass der Beschwer­de­führer außerhalb des Maßre­gel­vollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlan­des­gericht Bamberg mit Beschluss vom 26. August 2011 als unbegründet.

Beschwer­de­führer hat trotz zwischen­zeit­licher Entlassung Anspruch auf nachträgliche verfas­sungs­rechtliche Überprüfung der Unterbringung

Trotz zwischen­zeit­licher Entlassung aus dem Maßregelvollzug hat der Beschwer­de­führer ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an der nachträglichen verfas­sungs­recht­lichen Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen, denn diese waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in sein Grundrecht auf Freiheit der Person.

Entzug der persönlichen Freiheit muss hinreichend geprüft und begründet werden

Entscheidungen über den Entzug der persönlichen Freiheit müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben. Insbesondere darf der Straf­voll­stre­ckungs­richter die Progno­se­ent­scheidung nicht dem Sachver­ständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen. In einer Gesamtwürdigung sind die von dem Täter ausgehenden Gefahren ins Verhältnis zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs zu setzen. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und die von ihm bislang begangenen Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit gebietet es zudem, die Unterbringung nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und weniger belastende Maßnahmen nicht genügen.

Richter muss Würdigung eingehend abfassen und Bewertung substantiiert offenlegen

Da es sich um eine wertende Entscheidung unter Progno­se­ge­sichts­punkten handelt, kann das Bundes­ver­fas­sungs­gericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewer­tungs­maßstäbe der Verfassung entsprechen. Bei langdauernden Unterbringungen wirkt sich das zunehmende Gewicht des Freiheits­an­spruchs auch auf die Anforderungen aus, die an die Begründung einer Entscheidung zu stellen sind. In diesen Fällen engt sich der Bewer­tungs­rahmen des Straf­voll­stre­ckungs­richters ein; mit dem immer stärker werdenden Freiheits­eingriff wächst die verfas­sungs­ge­richtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfach­recht­lichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfas­sungs­ge­richt­licher Kontrolle nachzu­voll­ziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheits­an­spruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist vor allem die Konkretisierung der Wahrschein­lichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus.

In Beschlüssen des LG und OLG aufgeführte Gründe rechtfertigen Anordnung zur Fortdauer der Unterbringung nicht

Mit diesen verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben sind die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 sowie des Oberlan­des­ge­richts Bamberg vom 26. August 2011 nicht zu vereinbaren. Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwer­de­führers zu rechtfertigen.

Vom Beschwer­de­führer ausgehende Gefahr von den Gerichten nicht ausreichend konkretisiert

Es fehlt bereits an einer ausreichenden Konkretisierung der vom Beschwer­de­führer ausgehenden Gefahr künftiger rechtswidriger Taten. Das Landgericht setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass die Darlegungen des Sachver­ständigen zur Wahrschein­lichkeit künftiger rechtswidriger Taten im schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2011 und in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 voneinander abweichen. Vor diesem Hintergrund durfte das Landgericht sich nicht auf eine bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachver­ständigen in der mündlichen Anhörung beschränken. Es hätte vielmehr unter Berück­sich­tigung weiterer Hinweise des Sachver­ständigen und sonstiger Umstände des vorliegenden Falles diese Einschätzungen gegeneinander abwägen und eine eigenständige Progno­se­ent­scheidung treffen müssen. Im Rahmen einer solchen eigenständigen Bewertung hätte es darlegen müssen, welche Straftaten konkret von dem Beschwer­de­führer zu erwarten sind, warum der Grad der Wahrschein­lichkeit derartiger Straftaten sehr hoch ist und auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen sich diese Prognose gründet.

Sachver­stän­di­gen­gut­achten belegt keine sehr hohe Wahrschein­lichkeit künftiger rechtswidriger Taten

Nichts anderes gilt im Ergebnis für den Beschluss des Oberlan­des­ge­richts vom 26. August 2011. Dieser nimmt im Wesentlichen auf das schriftliche Sachver­stän­di­gen­gut­achten Bezug, aus dem sich gerade keine sehr hohe Wahrschein­lichkeit künftiger rechtswidriger Taten ergibt. Soweit das Oberlan­des­gericht ergänzend auf die Stellungnahme des Bezirks­kran­ken­hauses Bayreuth abstellt, rechtfertigt dies keine andere Einschätzung.

Entlastende Umstände für Beschwer­de­führer finden keine erkennbare Berück­sich­tigung

Darüber hinaus finden den Beschwer­de­führer entlastende Umstände im Rahmen der notwendigen Progno­se­ent­scheidung keine erkennbare Berück­sich­tigung. Zudem wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht ausreichend dargelegt, dass die von dem Beschwer­de­führer ausgehende Gefahr das - angesichts der Dauer der Unterbringung - zunehmende Gewicht seines Freiheits­an­spruchs aufzuwiegen vermag. Schließlich fehlt auch eine Befassung mit der Frage, ob dem Siche­rungs­in­teresse der Allgemeinheit nicht durch den Beschwer­de­führer weniger belastende Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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