18.10.2024
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Dokument-Nr. 30529

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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.06.2021

Eilanträge gegen das Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht erfolglosVerfas­sungs­be­schwerde unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen das am 18. Dezember 2020 zustande gekommene Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ-ZustG II) richteten. Zur Begründung führt der Senat aus, dass die Verfassungs­beschwerden in der Hauptsache unzulässig sind, weil die Beschwer­de­führer die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte nicht hinreichend substantiiert dargelegt haben.

Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: Übereinkommen – EPGÜ) ist Teil eines umfassenderen europäischen Regelungspakets zum Patentrecht, dessen Kern die Einführung eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung als neues Schutzrecht auf der Ebene der Europäischen Union ist. Das Übereinkommen ist ein völker­recht­licher Vertrag zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es sieht die Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts als gemeinsames Gericht der Vertrags­mit­glied­s­taaten für Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung vor. Dem Einheitlichen Patentgericht soll in Bezug auf die Patente die ausschließliche Zuständigkeit für einen umfangreichen Katalog von Streitigkeiten übertragen werden. Dieser umfasst insbesondere Klagen wegen Patent­ver­let­zungen, Streitigkeiten über den Bestand von Patenten und Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts in Ausübung der ihm übertragenen Aufgaben. Das angefochtene EPGÜ-ZustG II ersetzt das vom Deutschen Bundestag am 10. März 2017 beschlossene EPGÜ-ZustG I, das der Senat mit Beschluss vom 13. Februar 2020 für nichtig erklärt hat.

BVerfG weist Verfas­sungs­be­schwerden als unzulässig ab

Die Beschwer­de­führer rügen im Wesentlichen eine Verletzung ihres Anspruchs auf demokratische Selbst­be­stimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 79 Abs. 3 GG. Sie machen eine Verletzung des Rechts­s­taats­prinzips, des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz, Verstöße gegen das Unionsrecht als auch eine unzulässige Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfas­sungs­i­dentität durch den in Art. 20 EPGÜ geregelten Vorrang des Unionsrechts geltend. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen, weil die Verfas­sungs­be­schwerden in der Hauptsache unzulässig sind. Die Beschwer­de­führer haben die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts­s­taats­prinzips, des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz oder Verstöße gegen das Unionsrecht nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Verletzung der Grundrechte nicht ausreichend dargelegt

Die Beschwer­de­führer haben insbesondere nicht näher dargelegt, inwieweit das Übereinkommen wegen der organi­sa­to­rischen Ausgestaltung des Einheitlichen Patentgerichts und der Rechtsstellung seiner Richter das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechts­s­taats­prinzip verletzt und damit das über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG allein subjektivierte und in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG niedergelegte Demokra­tie­prinzip berührt wird. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG darf eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder in einem Ergänzungs- oder besonderen Näheverhältnis zu ihr stehende Einrichtungen nicht dazu führen, dass der integra­ti­o­nsfeste Kern des Grundgesetzes im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG – seine Identität – berührt wird. Eine Identitätsrüge ist allerdings an strenge Voraussetzungen gebunden und das sich aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ergebende Recht der Bürgerinnen und Bürger auf demokratische Selbst­be­stimmung strikt auf den in der Würde des Menschen wurzelnden Kern des Demokra­tie­prinzips begrenzt. Es gewährt dagegen keinen Anspruch auf eine über dessen Sicherung hinausgehende Recht­mä­ßig­keits­kon­trolle demokratischer Mehrheits­ent­schei­dungen. Eine Beein­träch­tigung des Gewähr­leis­tungs­gehalts des Demokra­tie­prinzips setzt daher die Darlegung voraus, dass durch das angegriffene Übereinkommen Hoheitsrechte auf die Europäische Union oder in einem Ergänzungs- oder besonderen Näheverhältnis zu ihr stehende Einrichtungen diesen eine sogenannte Kompetenz-Kompetenz zuerkannt wird, Blanket­ter­mäch­ti­gungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt ohne entsprechende Sicherungen erteilt werden oder Rechte des Bundestages wesentlich geschmälert, etwa sein Budgetrecht und seine haushalts­po­li­tische Gesamt­ver­ant­wortung beeinträchtigt werden. Der Vortrag der Beschwer­de­führer beschränkt sich indes auf die Darstellung, dass Art. 6 ff. EPGÜ wegen der Ernennung der Richter des Einheitlichen Patentgerichts auf sechs Jahre, einer möglichen Wieder­be­stellung und der nicht ausreichenden Anfechtbarkeit einer Amtsenthebung gegen Art. 97 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK und gegen das Rechts­s­taats­prinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verstießen. Inwieweit hierdurch das Demokra­tie­prinzip berührt ist, tragen sie nicht vor.

Beschwerde zu Anwen­dungs­vorrang des Unionsrechts nicht hinreichend substantiiert

Nicht hinreichend substantiiert ist die Verfassungsbeschwerde des Beschwer­de­führers zu I. 1. auch, soweit sie sich gegen die Regelung des Vorrangs des Unionsrechts in Art. 20 EPGÜ richtet. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG enthält ein Wirksamkeits- und Durch­set­zungs­ver­sprechen für das Unionsrecht, zu dem auch gehört, dem Unionsrecht im Zustim­mungs­gesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG einen Anwen­dungs­vorrang vor nationalem Recht einzuräumen. Der Anwen­dungs­vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entge­gen­ste­hendes nationales Verfas­sungsrecht und führt bei einer Kollision in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit. Dieser Anwen­dungs­vorrang reicht indes nur so weit, wie das Grundgesetz und das Zustim­mungs­gesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gewährleistet diese Grenzen insbesondere im Rahmen der Identitäts- und der Ultra-vires-Kontrolle. Einen unein­ge­schränkten Anwen­dungs­vorrang des Unionsrechts lässt das Grundgesetz nicht zu. Diese Anforderungen binden alle Verfas­sungs­organe der Bundesrepublik Deutschland und dürfen weder relativiert noch unterlaufen werden. Vor diesem Hintergrund enthalten der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union auch keine ausdrückliche Festlegung zum Vorrang des Unionsrechts. Art. 20 EPGÜ kann daher nur so verstanden werden, dass mit ihm Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des Übereinkommens mit dem Unionsrecht ausgeräumt werden sollen, er hingegen keine über den Status quo hinausgehende Regelung des Verhältnisses von Unionsrecht und nationalem Verfas­sungsrecht enthält. Dies entspricht auch dem im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren geäußerten Verständnis der Bundesregierung sowie der im Bundesrat abgegebenen Proto­kol­l­er­klärung mehrerer Länder. Den anderen Vertrags­mit­glied­s­taaten ist dieses Verständnis allerdings nicht mitgeteilt worden. Mit alldem setzt sich der Beschwer­de­führer zu I. 1 nicht weiter auseinander, sondern beschränkt sich unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 13. Februar 2020 auf die Feststellung, dass ihm durch Art. 20 EPGÜ die Identi­täts­kon­trolle abgeschnitten werde, was mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht vereinbar sei. Das genügt den Substan­ti­ie­rungs­an­for­de­rungen nicht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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