23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss05.08.2020

BVerfG: Containern - Diebstahl von Lebensmitteln aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes kann bestraft werdenErfolglose Verfassungs­beschwerde bei einer straf­ge­richt­lichen Verurteilung wegen „Containern“

Die Entnahme von Lebensmitteln aus dem Abfallbehälter eines Supermarktes, so genanntes Containern, kann nach aktuell geltenden Recht als Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB bestraft werden. Dies geht aus zwei Entscheidungen des Bundes­verfassungs­gerichts hervor. Das Bundes­verfassungs­gericht wies darauf hin, dass es dem Gesetzgeber frei stehe, das Containern zu entkri­mi­na­li­sieren. Der Gesetzgeber habe aber bisher Initiativen zur Entkri­mi­na­li­sierung nicht aufgegriffen.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat zwei Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine straf­ge­richtliche Verurteilung wegen Diebstahls von Lebensmitteln aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes richteten („Containern“). Zur Begründung führte die Kammer im Wesentlichen aus, dass die Auslegung der Fachgerichte weder gegen das Willkürverbot verstößt noch die Beweiswürdigung verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden ist. Auch der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und insbesondere das Ultima-Ratio-Prinzip gebieten keine Einschränkung der Strafbarkeit. Der Gesetzgeber darf das zivilrechtliche Eigentum grundsätzlich auch an wirtschaftlich wertlosen Sachen strafrechtlich schützen.

Sachverhalt

Die beiden Beschwer­de­füh­re­rinnen entwendeten diverse Lebensmittel aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes. Der Abfallcontainer befand sich in der Anlieferzone des Supermarktes und stand dort zur entgeltlichen Abholung durch den Abfallentsorger bereit. In dem Container werden Lebensmittel entsorgt, deren Mindest­halt­ba­r­keitsdatum abgelaufen ist oder die wegen ihres äußeren Erschei­nungs­bildes nicht mehr verkauft werden.

Amtsgericht sprach Verwarnung wegen Diebstahls aus

Das Amtsgericht verwarnte die Beschwer­de­füh­re­rinnen wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB und legte ihnen acht Stunden gemeinnützige Arbeit bei einer Tafel auf. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen blieb vorbehalten. Das Amtsgericht hat insbesondere dargelegt, weshalb das Unternehmen Eigentümer der Lebensmittel geblieben und deren Wegnahme daher strafbar gewesen sei. Gegen die amtsge­richtliche Entscheidung legten die Beschwer­de­füh­re­rinnen Sprungrevision ein. Im vorliegenden Fall liege eine Eigen­tums­aufgabe durch den Supermarkt vor. Die Lebensmittel seien daher nicht „fremd“ im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB, sondern herrenlos gewesen.

Bayerisches Oberstes Landesgericht bestätigt Rechts­auf­fassung des Amtsgerichts

Das Bayerische Oberste Landesgericht verwarf die Revisionen der Beschwer­de­füh­re­rinnen als unbegründet. Die Auffassung des Amtsgerichts, die Lebensmittel seien fremd gewesen, begegne keinen rechtlichen Bedenken. Auch die Wertlosigkeit einer Sache berechtige Dritte nicht zur Wegnahme. Aus dem Umstand, dass die Lebensmittel zur Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen worden seien, folge nicht zwingend, dass dem Eigentümer das weitere Schicksal der Sache gleichgültig sei. Eine Eigen­tums­aufgabe komme vielmehr nur dann in Betracht, wenn der Wille vorherrsche, sich der Sache ungezielt zu entäußern. So liege der Fall hier jedoch nicht.

Mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden rügen die Beschwer­de­füh­re­rinnen die Verletzung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie die Verletzung ihrer allgemeinen Handlungs­freiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Im vorliegenden Fall habe der Supermarkt kein schutzwürdiges Interesse an den weggeworfenen Lebensmitteln, weswegen die Strafbarkeit der Entnahme gegen das Übermaßverbot verstoße. Darüber hinaus sei im Lichte des Art. 20a GG der Gemein­wohl­belang eines verant­wor­tungs­vollen und nachhaltigen Umgangs mit Lebensmitteln zu berücksichtigen. Die massenhafte und in vielen Fällen vermeidbare Verschwendung von Lebensmitteln durch Vernichtung sei in besonderer Weise sozialschädlich.

Verfas­sungs­be­schwerden sind unbegründet

Die zulässigen Verfas­sungs­be­schwerden sind unbegründet. Die maßgeblich an zivil­recht­lichen Wertungen orientierte Auslegung der Strafgerichte in Bezug auf das Tatbe­stands­merkmal der „Fremdheit“ einer Sache im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB verstößt nicht gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot.

Im Hinblick auf den Wortlaut und Schutzzweck des § 242 StGB sowie im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit und der Rechts­si­cherheit beruht diese Auslegung auf sachgemäßen und nachvoll­ziehbaren Erwägungen und ist daher verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

BVerfG: Auch gegen die straf­rich­terliche Beweiswürdigung ist verfas­sungs­rechtlich nichts einzuwenden

Die Feststellung, ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Abfallbehälter eine strafbare Wegnahme einer fremden Sache darstellt, obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Diese haben unter Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu entscheiden, ob die Abfälle durch eine Eigen­tums­aufgabe gemäß § 959 BGB herrenlos geworden sind, ob ein Übereig­nungs­angebot an beliebige Dritte vorlag oder ob die Abfälle im Eigentum des bisherigen Eigentümers verblieben.

Die Fachgerichte haben maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Abfallcontainer in der Anlieferzone des Supermarktes und damit auf dessen eigenem Gelände befunden habe und darüber hinaus verschlossen gewesen sei. Zudem hätten die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes und vom Inhaber bezahltes Entsor­gungs­un­ter­nehmen bereitgestanden. Schließlich habe das Verschließen der Container eine Reaktion auf vorherige, unbefugte Entnahmen Dritter dargestellt. Aufgrund dieser Umstände sei auf den Willen des Unternehmens zu schließen, dass es weiterhin Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen. Gegen diese Beweiswürdigung ist aus Verfas­sungssicht nichts einzuwenden.

Strafbarkeit des Containerns als Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und das Ultima-Ratio-Prinzip

Die Strafbarkeit des Containerns als Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und das Ultima-Ratio-Prinzip. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Es wacht lediglich darüber, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit der Verfassung steht. Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkri­mi­na­li­sierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaft­lichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen. Im vorliegenden Fall dient die Strafbarkeit des Verhaltens der Beschwer­de­füh­re­rinnen dem Schutz des Eigen­tums­grund­rechts nach Art. 14 Abs. 1 GG als Rechtsgut von Verfassungsrang. Der Eigentümer der Lebensmittel wollte diese bewusst einer Vernichtung durch den Abfallentsorger zuführen, um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen. Bereits das Interesse des Eigentümers daran, etwaige rechtliche Streitigkeiten und Prozessrisiken auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfalts­pflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der Eigen­tums­freiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich zu akzeptieren. Der Gesetzgeber hat diese Verfü­gungs­be­fugnis des Eigentümers nicht durch eine gegenläufige, verhält­nis­mäßige Inhalts- und Schran­ken­be­stimmung eingegrenzt. Die im Wortlaut des § 242 StGB angelegte und durch die Fachgerichte konkretisierte krimi­na­l­po­li­tische Grund­ent­scheidung des Gesetzgebers zur Strafbarkeit des Containerns ist deshalb verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Im Übrigen existieren im Straf- und Straf­pro­zessrecht hinreichende Möglichkeiten, im Einzelfall der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung berücksichtigen die Besonderheiten des Einzelfalles und sind daher verfas­sungs­rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

Ob der Gesetzgeber im Hinblick auf andere Grundrechte oder Staats­ziel­be­stim­mungen wie beispielsweise den Schutz der natürlichen Lebens­grundlagen nach Art. 20a GG und im Rahmen einer Fortentwicklung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch eine alternative Regelung hinsichtlich des Umgangs mit entsorgten Lebensmitteln treffen könnte, ist vorliegend ohne Bedeutung.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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