15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.11.2008

Ungleich­be­handlung männlicher und weiblicher Gefangener bei Telefon­ge­sprächen und beim Einkauf ist verfas­sungs­widrig

Die Verfas­sungs­be­schwerde eines Strafgefangenen, der sich gegen die Ungleich­be­handlung männlicher und weiblicher Gefangener in Bezug auf Telefonate und Einkaufs­mög­lich­keiten wandte, war erfolgreich.

In der Justizvollzugsanstalt, in der der Beschwer­de­führer untergebracht ist, dürfen die in einem gesonderten Hafthaus untergebrachten weiblichen Gefangenen von ihrem Eigengeld monatlich für 30 Euro telefonieren und für 25 Euro Kosmetika einkaufen. Der Antrag des Beschwer­de­führers, ihm dasselbe zu gestatten, wurde abgelehnt. Seine Klage zum Landgericht blieb erfolglos. Nach Auffassung des Landgerichts stützte sich die ablehnende Entscheidung hinsichtlich des Telefonierens zu Recht darauf, dass im Hafthaus des Beschwer­de­führers, anders als in dem Hafthaus für die weiblichen Gefangenen, keine speziell für die Gefangenen eingerichteten Telefonapparate zur Verfügung stünden und die im Hafthaus des Beschwer­de­führers aus Sicher­heits­gründen notwendige Überwachung der Gespräche zudem personell nicht zu leisten sei. Hinsichtlich des Kosme­ti­k­einkaufs liege eine Verletzung des Gleich­be­hand­lungs­grund­satzes ebenfalls nicht vor, da es sich aufgrund der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht um einen im wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt handele. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hob den Beschluss des Landgerichts wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (Verbot der Benachteiligung oder Bevorzugung u.a. wegen des Geschlechts) auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.

Keine spezifische faktische Benachteiligung von Frauen und Männern durch unter­schiedliche Unter­brin­gungs­vor­aus­set­zungen

Zur Begründung heißt es in dem Beschluss unter anderem: Die geltend gemachten Unterschiede in der Ausstattung der Hafthäuser mit Telefo­n­ap­paraten sind der Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht von vornherein entzogen, zumal nichts dafür spricht, dass nicht eine Angleichung mit geringem Aufwand möglich wäre. Zwar kann für das Maß an Einschränkungen, das Gefangene hinzunehmen haben, auch die Ausstattung der jeweiligen Anstalt von Bedeutung sein. Angesichts des grund­recht­lichen Verbots der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts kann es aber andererseits nicht im freien Belieben der Justiz­voll­zugs­an­stalten oder ihrer Träger stehen, eine spezifische faktische Benachteiligung von Frauen und Männern im Haftvollzug dadurch herbeizuführen, dass deren Unter­brin­gungs­ein­rich­tungen unterschiedlich ausgestattet und an diesen Unterschied der Ausstattung sodann Unterschiede der sonstigen Behandlung geknüpft werden. Soweit die ablehnende Entscheidung auf den Überwa­chungs­bedarf gestützt war, hat das Landgericht versäumt, diese Begründung daraufhin zu befragen, ob sie auch und gerade im Hinblick auf die praktizierten Unterschiede in der Behandlung männlicher und weiblicher Gefangener tragfähig war. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass von unüberwachten Telefonaten aus dem Hafthaus der weiblichen Gefangenen geringere Gefahren für die Anstalts­si­cherheit ausgehen als von unüberwachten Telefonaten aus dem Hafthaus, in dem der Beschwer­de­führer untergebracht ist, wären geeignet, die Ungleichbehandlung auch vor Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu rechtfertigen. Solche Anhaltspunkte wurden jedoch nicht geprüft.

Auch Männer haben Recht auf Kosmetikartikel

Die unter­schiedliche Behandlung hinsichtlich des Kosme­ti­k­einkaufs hat das Landgericht zu Unrecht als mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar angesehen. An das Geschlecht anknüpfende diffe­ren­zierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder eine Abwägung mit kollidierendem Verfas­sungsrecht sie legitimiert. Geschlechts­be­zogene Zuschreibungen, die allenfalls als statistische eine Berechtigung haben mögen (Geschlech­ters­te­reotype), und tradierte Rolle­n­er­war­tungen können danach zur Rechtfertigung von Ungleich­be­hand­lungen nicht dienen. Auch wenn das Interesse an Kosme­tik­pro­dukten in der Gruppe der Frauen verbreiteter oder häufiger stark ausgeprägt sein mag als in der Gruppe der Männer, handelt es sich nicht um ein von Natur aus nur bei Frauen auftretendes Interesse. Den Angehörigen eines Geschlechts kann die Befriedigung eines Interesses nicht mit der Begründung versagt werden, dass es sich um ein typischerweise beim anderen Geschlecht auftretendes Interesse handele. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch das Recht, unbenachteiligt anders zu sein als andere Mitglieder der Gruppen, denen man nach den in dieser Bestimmung genannten Merkmalen angehört.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 100/08 des BVerfG vom 02.12.2008

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