21.11.2024
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Dokument-Nr. 28794

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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.04.2020

BVerG: Keine "Glaubensprüfung" durch Gerichte bei Asylbegehren von KonvertitenGerichte müssen Tatsache der verfolgungs­trächtigen Glaubens­be­tä­tigung für religiöse Identität feststellen

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­verfassungs­gerichts hat eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlings­eigenschaft wegen des Übertritts zum christlichen Glauben richtet. Die Maßstäbe, die das Bundes­verwaltungs­gericht für die Prüfung, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, entwickelt und in dem angegriffenen Beschluss bestätigt hat, sind von Verfas­sungswegen nicht zu beanstanden. Zwar dürfen die Gültigkeit eines Übertritts zu einer Religions­gemeinschaft und das religiöse Selbst­ver­ständnis einer solchen Gemeinschaft nicht in Frage gestellt werden. Die Gerichte müssen jedoch die innere Tatsache, dass die verfolgungs­trächtige Glaubens­be­tä­tigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, zu ihrer vollen Überzeugung feststellen. Diese fachge­richtliche Prüfung verletzt weder das Selbst­bestimmungs­recht der Kirchen oder Religions­gemeinschaften noch die Glaubens-, Gewissens- und Religi­o­ns­freiheit des Einzelnen.

Im zugrunde liegenden Fall ist der Beschwer­de­führer ist iranischer Staats­an­ge­höriger. Er stellte 2011 einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ablehnte, weil der Beschwer­de­führer eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe. Während des sich anschließenden Klageverfahrens trug der Beschwer­de­führer ergänzend vor, dass er im Mai 2013 getauft worden sei und regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen in der Gemeinde teilnehme. Dies begründe für den Fall einer Abschiebung in den Iran die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung.

Verwal­tungs­ge­richtshof und Bundes­ver­wal­tungs­gericht wies Klage ab

Der Verwal­tungs­ge­richtshof wies die Klage ab. Dem Beschwer­de­führer drohe bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgung aus religiösen Gründen. Die Anhörung habe den Senat nicht von einer die religiöse Identität prägenden Hinwendung des Beschwer­de­führers zur christlichen Religion überzeugen können. Er habe nicht in substanzieller Weise seine Beweggründe aufzeigen können, die ihn ausgerechnet zum christlichen Glauben geführt hätten. Ein Taufkurs, der die christlichen Glaubens­grundlagen auch nur grob vermittelt oder vertieft hätte, habe nicht stattgefunden. Zwar habe der Beschwer­de­führer sich ein gewisses Grundwissen über das Christentum angeeignet. Es hätten sich aber auch hier nicht unerhebliche Lücken gezeigt. Auch wenn er christliche Glaubensinhalte richtig wiedergegeben habe, habe der Senat nicht den Eindruck gewonnen, der Beschwer­de­führer habe sich über das "Erlernen" christlicher Glaubensinhalte hinaus intensiv mit dem Glauben beschäftigt und diesen als für sein weiteres Leben identi­täts­prägend verinnerlicht. Es dränge sich angesichts der sozialen Unterstützung durch die Pfarrerin und die iranische Kirchengemeinde der Eindruck auf, dass der Beschwer­de­führer sich dem Christentum vornehmlich aus sozialen und integrativen Gründen angeschlossen habe. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück.

Prüfungs­schritte unterliegen eigenständigen tatrich­ter­lichen Würdigung der Gerichte

Bei der Frage, ob ein Eingriff in die Religi­o­ns­freiheit eine hinreichend schwere Verfol­gungs­handlung im Sinne des Asylgesetzes darstellt, ist in einem ersten Schritt in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sein werden. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn ihm durch die Betätigung seines Glaubens - im privaten oder öffentlichen Bereich - die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfol­gungs­gefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubens­be­tä­tigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Sodann ist in einem zweiten Schritt in subjektiver Hinsicht festzustellen, ob die Befolgung einer solchermaßen als verfol­gungs­trächtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist dabei, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfol­gungs­trächtige Glaubens­be­tä­tigung für ihn persönlich nach seinem Glaubens­ver­ständnis zur Wahrung seiner religiösen Identität gehört. Beide Prüfungs­schritte unterliegen der eigenständigen tatrich­ter­lichen Würdigung der Verwal­tungs­ge­richte. Die innere Tatsache, dass die verfol­gungs­trächtige Glaubens­be­tä­tigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung der Gerichte feststehen.

Auch Prüfungs­be­fugnisse der Gerichte unterliegen Grenzen

Diese fachge­richtliche Prüfung im Rahmen der Zuerkennung der Flücht­lings­a­n­er­kennung verletzt weder das Selbst­be­stim­mungsrecht der Kirchen oder Religi­o­ns­ge­mein­schaften noch die Glaubens-, Gewissens- und Religi­o­ns­freiheit des Einzelnen. Die Prüfungs­be­fugnis der Gerichte unterliegt jedoch Grenzen: Die Wirksamkeit einer nach Angaben der betroffenen Glaubens­ge­mein­schaft gültig vollzogenen Taufe und damit die Mitgliedschaft des Schutzsuchenden in dieser Glaubens­ge­mein­schaft darf von den Verwal­tungs­ge­richten nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr haben diese die Kirchen­mit­glied­schaft als Rechtstatsache zu beachten und der flücht­lings­recht­lichen Prüfung zugrunde zu legen, selbst wenn Anhaltspunkte für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zu einem Glauben oder gar für eine Missbräuch­lichkeit der Konversion bestehen; derartigen Anhaltspunkten kann allerdings im Rahmen der Verfol­gungs­prognose Rechnung getragen werden.

Behörden und Gerichten nicht erlaubt inhaltliche "Glaubensprüfung" vorzunehmen

Staatlichen Behörden und Gerichten ist es zudem verwehrt, eine inhaltliche "Glaubensprüfung" vorzunehmen; sie dürfen insbesondere nicht ihre eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes, zu seiner Stellung im Gefüge der jeweiligen Religion oder zur Legitimität religiöser Glaubens­über­zeu­gungen und der Art und Weise ihrer Bekundung an die Stelle derjenigen des Einzelnen oder der Kirche oder Glaubens­ge­mein­schaft setzen.

Prüfung für Zuerkennung Flücht­lings­ei­gen­schaft handelt sich nicht um Angelegenheit der Kirchen oder Religi­o­ns­ge­mein­schaften

Von der Zugehörigkeit zu einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft und dem Inhalt und der Bedeutung von Glaubenssätzen zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob und bejahendenfalls welche Aspekte einer Glaubens­über­zeugung oder Glaubens­be­tä­tigung in einer die Furcht vor Verfolgung begründenden Intensität für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht. Auch wenn sich die Annahme verbietet, ohne ein "Mindestwissen" über einen Glauben könne eine prägende Glaubens­über­zeugung nicht vorliegen, kann die Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religi­o­ns­ge­mein­schaft ein Indiz für die identi­täts­prägende Bedeutung der Konversion zu dieser Religion sein. Denn bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft nach dem Asylgesetz vorliegen, handelt es sich nicht um eine eigene Angelegenheit der Kirchen oder Religi­o­ns­ge­mein­schaften. Die Prüfung der Flücht­lings­ei­gen­schaft fällt nicht in den der Erfüllung des religiösen Auftrags und der religiösen Sendung dienenden Bereich, sondern ist kraft Gesetzes ausschließlich der Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und - im Fall einer gerichtlichen Überprüfung - den Verwal­tungs­ge­richten zugewiesen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ku)

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