18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss03.09.2009

BVerfG: Grundrecht auf Schutz vor Auslieferung verletztVerfas­sungs­be­schwerde gegen Auslie­fe­rungs­ent­schei­dungen erfolgreich

Eine Verfas­sungs­be­schwerde wegen einer Auslieferung nach Griechenland wegen Korrup­ti­o­ns­verdacht war erfolgreich. Die Zustimmung zur Auslieferung war seitens des Oberlan­des­ge­richts nicht ausreichend begründet. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Der Beschwer­de­führer besitzt die deutsche und die griechische Staats­an­ge­hö­rigkeit. Wegen des Verdachts der Bestechung im geschäftlichen Verkehr sowie Geldwäsche haben die griechischen Behörden auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls um seine Festnahme zur Sicherung der Auslieferung nach Griechenland ersucht. Im Anschluss an die vorläufige Festnahme des Beschwer­de­führers erklärte das Oberlan­des­gericht seine Auslieferung für zulässig und die General­staats­an­walt­schaft entschied, seine Auslieferung zu bewilligen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Beschwer­de­führer gegen die beiden Entscheidungen.

Verletzung des Grundrechts auf Schutz vor Auslieferung gerügt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde des Beschwer­de­führers angenommen, soweit dieser eine Verletzung seines aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Grundrechts auf Schutz vor Auslieferung rügt. Die Entscheidungen begründen einen Verfas­sungs­verstoß und wurden aufgehoben. Damit ist über die Auslieferung nicht endgültig entschieden. Vielmehr sind die zuständigen Stellen zu einer neuen Entscheidung aufgerufen. Das Gericht beanstandet nicht prinzipiell die Auslieferung eines deutschen Staats­an­ge­hörigen nach Griechenland auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, sie sieht lediglich einen Bestimmtheits- und Abwägungsmangel in den die Auslieferung erlaubenden Entscheidungen.

Hohe Anforderungen an Rechts­si­cherheit im inner­staat­lichen Auslie­fe­rungs­ver­fah­rensrecht

In der verfas­sungs­ge­richt­lichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die grenz­über­schrei­tenden europäischen Straf­ver­fol­gungs­in­teressen mit dem Schutzanspruch der betroffenen Grund­recht­s­träger aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG jeweils in Ausgleich gebracht werden müssen. Zu dieser grund­recht­lichen Gewährleistung zählen vor allem hohe Anforderungen an die Rechts­si­cherheit im inner­staat­lichen Auslie­fe­rungs­ver­fah­rensrecht. Für die Frage der Rechtsicherheit im Auslie­fe­rungs­ver­fahren ist im vorliegenden Fall maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Auslieferung für Taten, bei der auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, nur dann erfolgen kann, wenn die Verfolgung nach deutschem Recht noch nicht verjährt ist. Laufende Verjäh­rungs­fristen können zwar durch Ermitt­lungs­maß­nahmen unterbrochen werden, deutsche Straf­ver­fol­gungs­be­hörden hatten aber derlei Maßnahmen nicht vorgenommen. Ermittelt hatten lediglich die griechischen Behörden.

Europäische Haftbe­fehls­ver­fahren erlaubt Auslieferungen zu verweigern

Entscheidend für die Verletzung des Grundrechts auf Schutz vor Auslieferung ist, dass sich das Oberlan­des­gericht und die General­staats­an­walt­schaft nicht darauf beschränken durften zu prüfen, ob auch Straf­ver­fol­gungs­maß­nahmen griechischer Behörden „ihrer Art nach“ geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechts­vor­schriften zu unterbrechen. Vielmehr hätten die deutschen Stellen - unter Zugrundelegung der grund­recht­lichen Bestimmt­heits­an­for­de­rungen im Auslie­fe­rungs­ver­fahren - die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten berücksichtigen müssen, die mit derartigen rechts­ord­nungs­über­grei­fenden Vergleichs­über­le­gungen notwen­di­gerweise einhergehen. Denn neben den fremd­sprach­lichen Schwierigkeiten wirkt sich vor allem als grund­rechts­re­levante Unsicherheit aus, dass die straf­pro­zes­sualen Vorschriften und Verfah­rens­weisen in jedem EU-Mitgliedstaat unterschiedlich ausgestaltet sind. Diese Erwägungen gelten auch für das Europäische Haftbe­fehls­ver­fahren. Dieses Verfahren vereinfacht die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union innerhalb eines zusam­men­wach­senden Wirtschafts- und Rechtsraumes. Es erlaubt aber auch jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union, im Falle inner­staat­licher Verfol­gungs­ver­jährung die Auslieferung seiner Staats­an­ge­hörigen zu verweigern. Mit der offenen Frage, ob und inwieweit ausländische Verfah­rens­hand­lungen Wirkung auf den Lauf der Verjährung innerhalb der deutschen Rechtsordnung haben, hat sich insbesondere die angegriffene Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts nicht hinreichend ausein­an­der­gesetzt, vor allem nicht im Hinblick auf die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage.

Quelle: ra-online, BVerfG

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