18.10.2024
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Dokument-Nr. 30299

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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.04.2021

Unzulässige Verfassungs­beschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung wegen fehlender Angaben zum Zugangs­zeitpunkt der fachge­richt­lichen EntscheidungKein "Deal" ohne ausdrückliche Zustimmung der Staats­an­walt­schaft

Das Bundes­verfassungs­gericht eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Das Verfahren betrifft eine strafrechtliche Verurteilung, der eine Verständigung nach § 257 c StPO vorangegangen war. Die Verfassungs­beschwerde ist unzulässig, weil der Beschwer­de­führer nicht hinreichend substantiiert zur Fristwahrung vorgetragen hat. Ob der die Revision verwerfende Beschluss des Bundes­ge­richtshofs mit den verfassungs­rechtlichen Vorgaben für das Zustandekommen einer Verständigung in Einklang zu bringen ist, ist jedoch zweifelhaft.

In dem Strafverfahren gegen den Beschwer­de­führer unterbreitete der Kammer­vor­sitzende zu Beginn der Beweisaufnahme einen Verstän­di­gungs­vor­schlag, dem der Beschwer­de­führer zustimmte. Die Staatsanwaltschaft gab keine ausdrückliche Zustim­mungs­er­klärung ab. Auf Grundlage des Verstän­di­gungs­vor­schlags legte der Beschwer­de­führer ein Geständnis ab, und das Landgericht legte dem Urteil die Verständigung zugrunde. Mit der Revision rügte der Beschwer­de­führer, die Verständigung sei verfah­rens­feh­lerhaft gewesen.

BGH: Konkludente Zustim­mungs­er­klärung ausreichend

Der Bundes­ge­richtshof verwarf die Revision, ohne zu den Verfahrensrügen auszuführen. Er folgte damit dem Antrag des General­bun­des­anwalts beim Bundes­ge­richtshof, der es als ausreichend erachtete, dass sich „unzweifelhaft“ eine „eindeutige (konkludente) Zustim­mungs­er­klärung“ aus dem im Haupt­ver­hand­lungs­pro­tokoll niedergelegten Verfahrensgang ergebe. Insbesondere folge die Zustimmung hier aus dem Einverständnis der Staats­an­walt­schaft mit einer Verfah­rens­ab­trennung, weil diese in Zusammenhang mit dem verstän­di­gungs­ba­sierten Geständnis des Beschwer­de­führers gestanden habe. Zudem habe die Staats­an­walt­schaft eine Strafe beantragt, die sich im Rahmen des Verstän­di­gungs­vor­schlages gehalten habe. Jedenfalls beruhe das Urteil nicht auf dem gerügten Verfah­rens­verstoß, weil der Beschwer­de­führer so gestellt worden sei, als wenn die Verständigung wirksam gewesen wäre. Der Beschwer­de­führer macht die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren durch eine willkürliche Anwendung der Vorschriften zur Verständigung im Strafprozess geltend.

BVerfG: Verfas­sungs­be­schwerde bereits unzulässig

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, denn der Beschwer­de­vortrag genügt den Substan­ti­ierungs- und Begrün­dungs­an­for­de­rungen nicht. Die allgemeine Begründungslast verlangt von einem Beschwer­de­führer im Zweifelsfall die schlüssige Darlegung, dass die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfas­sungs­be­schwerde eingehalten ist. In Strafsachen werden Entscheidungen regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben. Daher ist substantiierter Vortrag zu allen Zugangs­zeit­punkten jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO zu mehrfachen Zustellungen findet im verfas­sungs­ge­richt­lichen Verfahren keine Anwendung. Der Beschwer­de­führer legt hier jedoch nur dar, wann die Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs seinem im Revisi­ons­ver­fahren mandatierten Verteidiger zugegangen ist. Vortrag dazu, ob und wann ihm selbst die Entscheidung bekanntgegeben wurde, lässt er vermissen. Es kann daher nicht ohne weitere Ermittlungen überprüft werden, ob der Beschwer­de­führer die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten hat. Die verbleibenden Unsicherheiten führen zur Unzulässigkeit der Verfas­sungs­be­schwerde.

Zustimmung durch Angeklagten und Staats­an­walt­schaft für Wirksamkeit der Verständigung erforderlich

Nach Auffassung des BVerfG spricht allerdings viel dafür, dass der die Revision des Beschwer­de­führers verwerfende Beschluss des Bundes­ge­richtshofs den verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben an das wirksame Zustandekommen einer Verständigung nicht gerecht geworden ist. Eine Verständigung kommt nur wirksam zustande, wenn Staats­an­walt­schaft und Angeklagter einem Verstän­di­gungs­vor­schlag des Gerichts zustimmen. Die Vorgaben hinsichtlich der Transparenz des Verstän­di­gungs­ver­fahrens erfordern dabei, dass Angeklagter und Staats­an­walt­schaft dem Verstän­di­gungs­vor­schlag ausdrücklich – und nicht lediglich konkludent – zustimmen. Die mit einer konkludenten Zustimmung einhergehenden Unsicherheiten über das Zustandekommen einer Verständigung ließen Raum für „informelle“ Absprachen und „Deals“, die schon von Verfassungs wegen untersagt sind. Ein Urteil wird dabei nur in Ausnahmefällen nicht darauf beruhen, dass das erkennende Gericht bei einer verfah­rens­rechts­widrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist. Bei einem Verstoß gegen das im Zusammenhang mit den Trans­pa­renz­vor­schriften des Verstän­di­gungs­ge­setzes stehende Zustim­mungs­er­for­dernis ist das Beruhen nicht alleine unter dem Gesichtspunkt der Einwirkung auf das Aussa­ge­ver­halten eines Angeklagten zu beurteilen. Das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung steht auch im Zusammenhang mit der Kontrolle des Verstän­di­gungs­ge­schehens durch die Öffentlichkeit.

Gebot der Verfah­rens­fairness erfordert, Zustimmung vor Geständ­ni­s­er­klärung

Es erscheint zweifelhaft, ob die Revisi­ons­ent­scheidung sich mit diesen Maßstäben in Einklang bringen lässt, weil die herangezogenen Prozes­s­er­klä­rungen der Staats­an­walt­schaft nicht verfas­sungs­rechtlich tragfähig als hinreichend bestimmte, ausdrückliche Zustim­mungs­er­klä­rungen gewertet werden können. Es ist zum Schutz eines Angeklagten unzulässig, auf Prozes­s­er­klä­rungen abzustellen, die zeitlich erst nach dem im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnis abgegeben wurden. Das Gebot der Verfah­rens­fairness erfordert, dass der Angeklagte sich zum Zeitpunkt des Geständnisses sicher sein kann, dass ihm die straf­pro­zes­sualen Regelungen zur Verständigung Schutz bieten. Zudem enthalten hier weder die Zustimmung zur Verfah­rens­ab­trennung noch der Strafantrag ausreichend konkrete Hinweise auf eine Zustimmung zur Verständigung. Der Zustimmung zu einer Verfah­rens­ab­trennung kann kein Erklä­rungs­inhalt dahingehend entnommen werden, dass dem Verstän­di­gungs­vor­schlag zugestimmt werde, denn ein inhaltlicher Bezug der Verfah­rens­ab­trennung zur vorangegangenen Verständigung ist vorliegend nicht erkennbar. Der Strafantrag im Schlussvortrag des Staatsanwalts lässt sich ebenfalls nicht als Zustim­mungs­er­klärung werten. Unabhängig davon, dass schon vor dem Schlussvortrag Klarheit über das Vorliegen einer Verständigung bestehen muss, gibt es keinen Grundsatz, dass sich nach einer gescheiterten Verständigung die Strafe oder – vorangehend – der Strafantrag der Staats­an­walt­schaft nicht im Rahmen eines Verstän­di­gungs­vor­schlages bewegen dürfe. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem ein Beruhen auszuschließen ist, dürfte somit nicht vorliegen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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