18.10.2024
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Dokument-Nr. 24620

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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.07.2017

Abschie­bungs­a­n­ordnung gemäß § 58 a Aufent­halts­gesetz gegen "Gefährder" nicht zu beanstandenVerfas­sungs­be­schwerde erfolglos

Die Abschiebung von sogenannten "Gefährdern" ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden und damit die Verfas­sungs­be­schwerde eines algerischen Staats­an­ge­hörigen gegen die erlassene Abschie­be­a­n­ordnung gemäß § 58 a Aufent­halts­gesetz (AufenthG) nicht zur Entscheidung angenommen.

Im hier zu entscheidenden Fall reiste der Beschwer­de­führer erstmals Anfang 2003 in das Bundesgebiet ein. Im März 2017 ordnete der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen gemäß § 58 a AufenthG die Abschiebung des Beschwer­de­führers nach Algerien an, verbunden mit einem unbefristeten Einreise- und Aufent­halts­verbot. Zur Begründung führte er an, vom Beschwer­de­führer gehe die Gefahr eines terroristischen Anschlags aus.

Beschwer­de­führer rügt formelle und materielle Verfas­sungs­wid­rigkeit

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht lehnte den Antrag des Beschwer­de­führers gegen die Abschie­bungs­a­n­ordnung mit der Maßgabe ab, dass er erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regie­rungs­stelle, dass ihm in Algerien eine menschen­rechts­widrige Behandlung nicht drohe, abgeschoben werden dürfe. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwer­de­führer vornehmlich die formelle und materielle Verfas­sungs­wid­rigkeit des § 58 a AufenthG. Insbesondere habe der Vermitt­lungs­aus­schuss diese Norm in seinen Einigungs­vor­schlag aufgenommen, ohne dass sie zuvor Gegenstand parla­men­ta­rischer Beratung gewesen sei.

§ 58 a AufenthG mit Grundgesetz formell vereinbar

1. a) § 58 a AufenthG ist in formeller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Kompetenz des Vermitt­lungs­aus­schusses beschränkt sich darauf, mit dem Beschluss­vor­schlag eine Brücke zwischen Regelung­s­al­ter­nativen zu schlagen, die bereits zuvor in den Gesetz­ge­bungs­organen erörtert worden oder jedenfalls erkennbar geworden sind. Der Vermitt­lungs­aus­schuss darf mit seinem Vorschlag weder ein ihm nicht zustehendes Geset­ze­s­i­n­i­tia­ti­vrecht beanspruchen noch das parla­men­ta­rische Gesetz­ge­bungs­ver­fahren verkürzen und der öffentlichen Aufmerksamkeit entziehen. Die Reichweite eines Vermitt­lungs­vor­schlags ist deshalb durch diejenigen Regelungs­ge­gen­stände begrenzt, die bis zur letzten Lesung im Bundestag in das jeweilige Gesetz­ge­bungs­ver­fahren eingeführt waren.

Keine Grenz­über­schreitung des Vermitt­lungs­auf­trages bei Einführung des § 58 a AufenthG

b) Nach diesen Maßstäben hat der Vermitt­lungs­aus­schuss die Grenzen seines Vermitt­lungs­auf­trages bei Einführung des § 58 a AufenthG nicht überschritten. Denn im parla­men­ta­rischen Verfahren kam die Forderung nach einer effektiven Abwehr terroristischer Aktivitäten unter anderem durch den Vorschlag lebenslanger Einreisesperren, die Erweiterung der Auswei­sung­s­tat­be­stände sowie die Reduzierung von gesetzlichen Abschie­bungs­verboten zum Ausdruck. Gemeinsamer Ausgangspunkt dieser Änderungs­anträge war es, entsprechende Regelungen bereits für den Fall des Terro­ris­mus­ver­dachts vorzusehen. Dass entsprechende Änderungs­anträge bereits im Innenausschuss abgelehnt und im (ersten) Geset­zes­be­schluss des Bundestages unberück­sichtigt geblieben sind, ist unschädlich.

§ 58 a AufenthG mit Bestimmt­heitsgebot vereinbar

2. a) § 58 a AufenthG ist auch mit dem Bestimmt­heitsgebot des Grundgesetzes vereinbar. Danach muss eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwal­tungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein. Die von der Norm Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen.

Unterschiede zwischen § 58 a AufenthG und allgemeine Auswei­sung­s­tat­be­stände genügend konkretisiert

b) Gemessen hieran bestehen gegen § 58 a AufenthG keine Bedenken. Denn die Vorschrift normiert mit der Anknüpfung an eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bzw. an eine terroristische Gefahr Tatbe­stands­merkmale, die jedenfalls hinreichend bestimmbar sind. Zudem hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen konkretisiert und heraus­ge­ar­beitet, worin die Unterschiede zwischen § 58 a AufenthG und den allgemeinen Auswei­sung­s­tat­be­ständen liegen. Es hat dabei insbesondere in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die besonderen von terroristischen Straftaten ausgehenden Gefahren abgestellt, die sich jederzeit und ohne großen Vorbe­rei­tungs­aufwand realisieren können.

Bewertung und Bejahung der terroristischen Gefahr nicht zu beanstanden

3. Auch die Handhabung der Vorschrift im vorliegenden Einzelfall begegnet im Ergebnis keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Insbesondere hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die vom Beschwer­de­führer ausgehende terroristische Gefahr nicht allein aus seiner ideologischen Überzeugung abgeleitet, sondern seine Überzeugung in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise als einen Baustein eines besonderen Gefähr­dungs­po­tentials bewertet. Ferner ist die Bejahung einer in relevantem Umfang erhöhten Bereitschaft des Beschwer­de­führers, seine religiös motivierten Ziele durch gewaltsame oder terroristische Methoden zu erreichen, auf der Grundlage der ausgewerteten umfangreichen Erkennt­nis­mittel nicht zu beanstanden.

Keine verfas­sungs­rechtliche Beanstandung bei Abhängigmachen von einzuholender Zusicherung algerischer Behörden

4. Die Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts ist auch insofern verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, als sie die Abschiebung des Beschwer­de­führers von einer von den algerischen Behörden zuvor einzuholenden Zusicherung abhängig macht. Welche konkreten Anforderungen an eine solche Zusicherung zu stellen sind, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern hängt insbesondere von den Bedingungen im Abschie­be­zielstaat und den Umständen des Einzelfalles ab. Im vorliegenden Fall ist es von Verfassungs wegen erforderlich, dass die Zusicherung mit spezifischen Garantien verbunden ist, die eine Überprüfung der (eventuellen) Haftbedingungen des Beschwer­de­führers im Falle von dessen Inhaftierung und insbesondere den ungehinderten Zugang zu seinen Prozess­be­voll­mäch­tigten erlaubt. Zudem muss der Beschwer­de­führer vor seiner Abschiebung Gelegenheit haben, die Zusicherung zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls um Rechtsschutz nachzusuchen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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