18.10.2024
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Dokument-Nr. 33345

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Bundesverfassungsgericht Urteil14.09.2023

Erfolglose Verfassungs­beschwerde der Thüringer AfD-Landtags­fraktion gegen Urteil des Thüringer Verfassungs­gerichts­hofs zur Härte­fa­ll­ver­ordnungHärtefall-Kommission für Ausländer darf bestehen bleiben

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Verfassungs­beschwerde der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Thüringer Landtag nicht zur Entscheidung angenommen. Diese richtet sich gegen das Urteil des Thüringer Verfassungs­gerichts­hofs vom 16. Dezember 2020 - VerfGH 14/18 -, welches die Thüringer Verordnung über die Härte­fa­ll­kom­mission (Härte­fa­ll­ver­ordnung) betrifft.

Der Thüringer Verfas­sungs­ge­richtshof entschied auf eine abstrakte Normenkontrolle der Beschwer­de­führerin hin mit Urteil vom 16. Dezember 2020 - VerfGH 14/18 -, dass die Thüringer Verordnung über die Härte­fa­ll­kom­mission – die Härtefallverordnung – mit der Thüringer Verfassung vereinbar sei. Zur Begründung führte er aus, einer Vorlage der bundes­ge­setz­lichen Ermäch­ti­gungs­grundlage des § 23 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht habe es nicht bedurft, da diese Norm mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die Besetzung der Härte­fa­ll­kom­mission und das Verfahren, wie sie tätig werde, habe insbesondere nicht durch ein Parla­ments­gesetz geregelt werden müssen, da die Härte­fa­ll­kom­mission nur vorbereitend tätig werde. Die Härte­fa­ll­ver­ordnung sei auch mit dem Demokra­tie­prinzip der Thüringer Verfassung vereinbar, da ihr Handeln aufgrund seines rein vorbereitenden Charakters nicht als Ausübung von Staatsgewalt zu werten sei. Ebenso wenig scheitere die Verordnung wegen eines Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat. Art. 33 Abs. 2 GG sei kein in die Thüringer Verfassung hineinwirkendes Bundes­ver­fas­sungsrecht. Die Regelung zur Zusammensetzung der Kommission verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer­de­führerin eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter, ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Willkürverbots.

Kein Verstoß gegen Parla­ments­vor­behalt

Das BVerfG hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie jedenfalls unbegründet ist. Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 100 Abs. 1 GG verstoßen, indem er auf eine Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht verzichtet hat. Nach Art. 100 Abs. 1 GG hat ein Gericht, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfas­sungs­widrig hält, das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts einzuholen. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, gibt den einzelnen Rechtsuchenden einen Anspruch darauf, dass der Rechtsstreit von ihrem gesetzlichen Richter entschieden wird. Die Ansicht des Verfas­sungs­ge­richtshofs, § 23 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei mit dem Grundgesetz vereinbar, ist vertretbar und nicht willkürlich. § 23 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht, wie der Verfas­sungs­ge­richtshof zutreffend ausgeführt hat, mit dem Parla­ments­vor­behalt in Einklang. Dieser Vorbehalt gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden. Diesem Erfordernis trägt § 23 a Abs. 2 AufenthG Rechnung, indem er in eng begrenzten Ausnahmefällen Abweichungen von den ausdif­fe­ren­zierten Regelungen des Aufent­halts­ge­setzes zulässt. Vorgaben zur Besetzung der Härte­fa­ll­kom­mis­sionen musste der Bundes­ge­setzgeber nicht machen, da die Härte­fa­ll­kom­mis­sionen die Entscheidungen der obersten Landesbehörden nur vorbereiten. Ebenso steht § 23 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dem Bestimmt­heitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in Einklang, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Denn die Ermächtigung des § 23 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wird durch § 23 a Abs. 2 Sätze 2-4 AufenthG präzisiert. Zu berücksichtigen ist zudem auch hier, dass die Härte­fa­ll­kom­mis­sionen die Entscheidungen der obersten Landesbehörden lediglich vorbereiten.

VerfGH war nicht zur Vorlage an das BVerfG verpflichtet

Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 100 Abs. 3 GG verstoßen. Will das Verfas­sungs­gericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts abweichen, so hat es nach Art. 100 Abs. 3 GG die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts einzuholen. Die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht lagen nicht vor. Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat keinen tragenden Rechtssatz aufgestellt, mit dem er von einem tragenden Rechtssatz des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts abgewichen wäre. Er hat sich in seinem Urteil vielmehr mit der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Ausübung von Staatsgewalt ausein­an­der­gesetzt und ist unter Anwendung dieser allgemeinen Maßstäbe zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tätigkeit der Härte­fa­ll­kom­mission nicht als Ausübung von Staatsgewalt zu qualifizieren sei. Derartige einzel­fa­ll­be­zogene Fragen der Subsumtion sind nicht Gegenstand eines Vorla­ge­ver­fahrens nach Art. 100 Abs. 3 GG.

Keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Ebenso wenig hat der Verfas­sungs­ge­richtshof den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfah­rens­be­tei­ligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Das entscheidende Gericht muss die Ausführungen der Prozess­be­tei­ligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen. Gemessen daran hat der Verfas­sungs­ge­richtshof nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Denn es fehlt nicht an einer hinreichenden Würdigung des Vortrags der Beschwer­de­führerin zur Anwendbarkeit des Art. 33 Abs. 2 GG. Mit dem Verhältnis des Landes­ver­fas­sungs­rechts zum Grundgesetz hat der Verfas­sungs­ge­richtshof sich zu Beginn seiner Begrün­det­heits­prüfung ausführlich ausein­an­der­gesetzt. Die weiteren von der Beschwer­de­führerin angesprochenen Fragen der Anwendbarkeit des Art. 33 Abs. 2 GG waren nach dem Rechts­s­tandpunkt des Verfas­sungs­ge­richtshofs, wonach es sich bei Art. 33 Abs. 2 GG nicht um in die Thüringer Verfassung hineinwirkendes Bundes­ver­fas­sungsrecht handele, unerheblich.

Auch die Rüge eines Verstoßes gegen das Willkürverbot erfolglos

Keinen Erfolg hat auch die Rüge eines Verstoßes gegen das Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG. Die Ansicht des Verfas­sungs­ge­richtshofs, Art. 33 Abs. 2 GG sei im landes­ver­fas­sungs­ge­richt­lichen Verfahren kein Prüfungsmaßstab, entbehrt nicht jedes sachlichen Grundes. Die Länder verfügen unter dem Grundgesetz über eine weitgehende Verfas­sungs­au­tonomie. Grundsätzlich stehen die Verfas­sungs­be­reiche des Bundes und der Länder in dem föderativ gestalteten Bundesstaat selbständig nebeneinander. Ein Hineinwirken bestimmter Vorschriften des Grundgesetzes als ungeschriebene Bestandteile in die Landes­ver­fassung ist die Ausnahme. Eine Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, ob Art. 33 Abs. 2 GG als ungeschriebener Bestandteil in die Landes­ver­fas­sungen hineinwirkt, gibt es nicht. Soweit die Beschwer­de­führerin einen Verstoß gegen das Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG rügt, da die Vertreter der Kirchen in der Härte­fa­ll­kom­mission überre­prä­sentiert seien, setzt sie der Ansicht des Verfas­sungs­ge­richtshofs lediglich eigene Wertungen entgegen, ohne aufzuzeigen, warum das angegriffene Urteil willkürlich sein soll.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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