18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.10.2010

BFH-Vorlage zur "Mindest­be­steuerung" nach dem Steue­r­ent­las­tungs­gesetz 1999/2000/2002 unzulässigVorla­ge­be­schluss des Bundes­fi­nanzhofs nicht ausreichende aufbereitet

Die Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs zur "Mindest­be­steuerung" nach dem Steue­r­ent­las­tungs­gesetz 1999/2000/2002 ist unzulässig, da der Aussetzungs- und Vorla­ge­be­schluss nicht hinreichend entsprechend der Vorgaben des Art. 100 Abs. 1 GG aufbereitet wurde. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer nur solche Einkünfte, die sich einer der dort aufgeführten sieben Einkunftsarten zuordnen lassen. Für die Besteuerung ist nach § 2 Abs. 3 EStG die „Summe der Einkünfte“ maßgeblich, das heißt, positive und negative Ergebnisse sind zu saldieren (perio­den­in­terner Verlu­s­t­aus­gleich). Soweit die negativen Einkünfte die positiven Einkünfte im jeweiligen Veran­la­gungs­zeitraum übersteigen, werden die übrigen Verluste nach § 10 d EStG in anderen Veran­la­gungs­zeit­räumen zum Abzug gebracht (perio­den­über­grei­fender Verlu­s­t­aus­gleich). In den neunziger Jahren war ein erheblicher Rückgang des Aufkommens aus veranlagter Einkommensteuer von 41,5 Milliarden DM im Jahr 1992 auf 11,6 Milliarden DM im Jahr 1996 und 5,8 Milliarden DM im Jahr 1997 zu verzeichnen, während das Lohnsteu­er­auf­kommen im gleichen Zeitraum nahezu unverändert blieb (247,3 Milliarden DM im Jahr 1992 und 248,7 Milliarden DM im Jahr 1997). Dies wurde insbesondere auf die Inanspruchnahme steuerlicher Gestal­tungs­mög­lich­keiten durch gut verdienende Steuer­pflichtige zurückgeführt.

Einführung einer allgemeinen Verlust­ver­rech­nungs­be­schränkung im Rahmen des Steue­r­ent­las­tungs­ge­setzes 1999/2000/2002

Um dem entge­gen­zu­wirken, führte der Gesetzgeber im Rahmen des Steue­r­ent­las­tungs­ge­setzes 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem Veran­la­gungs­zeitraum 1999 eine allgemeine Verlust­ver­rech­nungs­be­schränkung ein. Danach konnte das positive Einkommen, soweit es 100.000 DM überstieg, nur noch zur Hälfte durch gegenläufige Verluste gemindert werden, so dass zumindest die Hälfte des 100.000 DM übersteigenden Betrags der Besteuerung unterlag (so genannte Mindest­be­steuerung). Danach nicht verrechnete Verluste blieben nach § 2 Abs. 3 EStG n.F. im Jahr ihrer Entstehung unberück­sichtigt, konnten aber - nach § 10 d EStG n.F. ebenfalls entsprechend begrenzt - in anderen Veran­la­gungs­zeit­räumen ausgeglichen werden. Der Verlu­s­t­aus­gleich war allerdings nur für den Fall beschränkt, dass die Verluste in einer anderen Einkunftsart angefallen waren als die positiven Einkünfte. Innerhalb derselben Einkunftsart war die Verlust­ver­rechnung weiterhin uneingeschränkt möglich. Im Einzelnen führte dies zu einem komplexen Rechenweg, der viele, zum Teil sich wiederholende Einzelschritte umfasste. Mit Wirkung ab dem Veran­la­gungs­zeitraum 2004 wurde diese Regelung mit der Begründung wieder abgeschafft, sie habe sich in der Praxis als schwer handhabbar erwiesen.

BFH hält Regelungen über „Mindest­be­steuerung“ aufgrund fehlender Normenklarheit für verfas­sungs­widrig

Die Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs betrifft den Veran­la­gungs­zeitraum 1999, in dem die Kläger des Ausgangs­ver­fahrens - zusammen veranlagte Ehegatten - nach dem zuletzt während des Revisi­ons­ver­fahrens geänderten Steuerbescheid insgesamt positive Einkünfte vorwiegend aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) in Höhe von knapp 1,8 Millionen DM erzielt hatten. Diesen standen Verluste des Ehemanns aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) in Höhe von knapp 1,3 Millionen DM gegenüber, wovon das Finanzamt jedoch in Anwendung von § 2 Abs. 3, § 10 d EStG in der Fassung des Steue­r­ent­las­tungs­ge­setzes 1999/2000/2002 nur knapp 1 Million DM als abzugsfähig anerkannte. Die erhobene Klage führte zur Vorlage durch den Bundesfinanzhof, der die Regelungen über die „Mindest­be­steuerung“ in § 2 Abs. 3, § 10 d EStG in der Fassung des Steue­r­ent­las­tungs­ge­setzes 1999/2000/2002 aufgrund ihrer Komplexität und schweren Verständ­lichkeit wegen fehlender Normenklarheit für verfassungswidrig hält.

Vorlegendes Gericht muss Verfas­sungs­mä­ßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift zunächst selbst sorgfältig prüfen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist. Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts über die Verfas­sungs­mä­ßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es ihre Verfas­sungs­mä­ßigkeit sorgfältig geprüft hat. Das setzt voraus, dass sich das Gericht mit der zur Prüfung gestellten Norm im Einzelnen ausein­an­dersetzt, die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Auffassungen berücksichtigt und auf unter­schiedliche Ausle­gungs­mög­lich­keiten eingeht. Die verschiedenen Auffassungen zu den denkbaren Ausle­gungs­mög­lich­keiten des einfachen Rechts sind mit Blick auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt darzulegen, zu erörtern und verfas­sungs­rechtlich zu würdigen. Geht es dabei um die Anforderungen an hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der Norm, so hat das vorlegende Gericht insbesondere auch zu begründen, inwiefern eine Entscheidung für eine der dargelegten Ausle­gungs­mög­lich­keiten den Rahmen der Aufgabe der Rechts­an­wen­dungs­organe sprengen würde, Zweifelsfragen zu klären und Ausle­gungs­probleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen.

Aussetzungs- und Vorla­ge­be­schluss des BFH nicht ausreichend aufbereitet

Dem wird der Aussetzungs- und Vorla­ge­be­schluss des Bundes­fi­nanzhofs nicht gerecht. Der einfach­rechtliche Gehalt des § 2 Abs. 3 und des § 10 d EStG in der Fassung des Steue­r­ent­las­tungs­ge­setzes 1999/2000/2002 und die entsprechenden Erörterungen im Schrifttum werden nicht hinreichend aufbereitet.

Vorla­ge­be­schluss geht insgesamt nicht in gebotener Weise auf rechen­sys­te­ma­tische Grundstruktur ein

Vergleichsweise ausführlich befasst sich der Vorla­ge­be­schluss mit den Regelungen zur Einschränkung des individuellen Verlu­s­t­aus­gleichs, ohne aber aufzuzeigen, dass diese für sich gesehen besondere Verständ­nis­schwie­rig­keiten bereiten. Soweit der Bundesfinanzhof in diesem Zusammenhang Bedenken gegen einzelne Begriffe formuliert, handelt es sich um lediglich stilistische Mängel, die nicht ohne weiteres zur Unklarheit über den Inhalt dieser Begriffe führen. Zu den erheblichen Klarheits­pro­blemen der Vorschriften über den ehegat­ten­über­grei­fenden Verlu­s­t­aus­gleich sowie der Verweisungen auf diese Vorschriften im Rahmen des Verlustvortrags und Verlus­t­rücktrags aus anderen Veran­la­gungs­zeit­räumen beschreibt der Vorla­ge­be­schluss Aspekte der Komplexität jedoch im Wesentlichen nur allgemein auf einer abstrakten Ebene. Obwohl die Vorschriften - wie die Erörterungen im Schrifttum zeigen - einer systematischen Aufbereitung zugänglich sind, fehlt es an einem Versuch, deren Regelungsgehalt konkret zu erschließen. Diejenigen Stimmen, die die Normen für insgesamt auslegungsfähig und daher verfas­sungsgemäß halten und insofern auch konkrete, in sich schlüssig zu nennende Vorschläge unterbreitet haben, bleiben unberück­sichtigt. Insgesamt geht der Vorla­ge­be­schluss auf die - im Wege der Auslegung durchaus zu ermittelnde - rechen­sys­te­ma­tische Grundstruktur nicht in der gebotenen Weise ein, obwohl erst auf dieser Grundlage eine sachgerechte Prüfung der Klarheits­pro­blematik möglich ist. Zwar bezeichnet er mit der unüber­sicht­lichen Verwei­sungs­technik und der Vielzahl der durch­zu­füh­renden Rechenschritte weitere Gesichtspunkte, die im Hinblick auf die Problematik der Normenklarheit von Bedeutung sein können. Die systematische Aufbereitung des einfachen Rechts in Ausein­an­der­setzung mit den im Schrifttum vertretenen Auslegungen wird dadurch aber nicht ersetzt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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