21.11.2024
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Dokument-Nr. 14734

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Beschluss06.11.2012Bundesverfassungsgericht2 BvL 51/06 und 2 BvL 52/06
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 132, 334Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 132, Seite: 334
  • DÖV 2013, 198Zeitschrift: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jahrgang: 2013, Seite: 198
  • JZ 2012, 715Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2012, Seite: 715
  • NVwZ 2013, 638Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2013, Seite: 638
  • VR 2013, 67Zeitschrift: Verwaltungsrundschau (VR), Jahrgang: 2013, Seite: 67
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss06.11.2012

100 DM Rückmeldegebühr pro Semester nach früherem Berliner Hochschulgesetz verfas­sungs­widrigGebüh­ren­re­gelung darf nicht im groben Missverhältnis zu verfolgten legitimen Gebührenzwecken stehen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die gesetzliche Regelung für die Erhebung einer Rückmeldegebühr in Höhe von 100 DM im Berliner Hochschulgesetz alter Fassung verfas­sungs­widrig ist. Die für nichtig erklärte Bestimmung wurde mit dem Haushalts­struktur­gesetz 1996 eingeführt. Seit dem 15. Dezember 2004 gilt eine veränderte Gebüh­ren­re­gelung, auf die sich die vorliegende Entscheidung nicht bezieht.

Die Kläger der Ausgangs­ver­fahren streiten um die Rückzahlung von Rückmeldegebühren, die sie als Studierende an Berliner Universitäten entrichtet haben. Mit Beschlüssen vom 15. Februar 2006 hat das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg die Ausgangs­ver­fahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 2 Abs. 8 Satz 2 des Berliner Hochschul­ge­setzes in den jeweils maßgeblichen Fassungen insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach bei jeder Rückmeldung Gebühren von 100 DM pro Semester erhoben werden.

Erhebung von Rückmel­de­ge­bühren unzulässig

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

§ 2 Abs. 8 Satz 2 Berliner Hochschulgesetz a. F. ist, soweit danach bei jeder Rückmeldung Gebühren in Höhe von 100 DM zu erheben waren, mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 104a ff. GG sowie mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig.

Erhebung nicht­steu­er­licher Abgaben bedarf besonderer sachlicher Rechtfertigung

Die Erhebung nicht­steu­er­licher Abgaben bedarf mit Blick auf die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanz­ver­fassung (Art. 104a ff. GG) und zur Wahrung der Belas­tungs­gleichheit der Abgabe­pflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG) einer über den Zweck der Einnah­me­er­zielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung. Dies gilt für die Abgabenerhebung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach.

Im groben Missverhältnis zu verfolgten legitimen Gebührenzwecken stehende Gebüh­ren­re­gelung sachlich ungerecht­fertigt

Gebühren sind als öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die in Anknüpfung an eine individuell zurechenbare öffentliche Leistung erhoben werden, um deren Kosten ganz oder teilweise zu decken, dem Grunde nach durch ihre Ausgleichs­funktion gerechtfertigt. Anerkannte Zwecke, die die Festlegung der Gebührenhöhe sachlich rechtfertigen können, sind - neben der Kostendeckung - der Ausgleich von Vorteilen, die Verhal­tens­lenkung sowie soziale Gesichtspunkte. Jedoch können nur Zwecke, die von einer erkennbaren gesetz­ge­be­rischen Entscheidung getragen werden, die jeweilige Gebüh­ren­be­messung sachlich rechtfertigen. Die verfas­sungs­rechtliche Kontrolle der Gebüh­ren­be­messung hat einen Gestal­tungs­spielraum des Gesetzgebers zu wahren. Eine Gebüh­ren­re­gelung ist aber dann als sachlich nicht gerechtfertigt zu beanstanden, wenn sie in einem groben Missverhältnis zu den verfolgten legitimen Gebührenzwecken steht.

Diesen verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben wird die Bemessung der bei jeder Rückmeldung zu entrichtenden Gebühr von 100 DM nicht gerecht.

Gebühr dient allein der Kostendeckung für Bearbeitung von Rückmeldungen

Nach der Auslegung des Oberver­wal­tungs­ge­richts, der zu folgen ist, normiert die zur Prüfung gestellte Vorschrift keine einheitliche Mischgebühr für die Fälle der Immatrikulation und der Rückmeldung. Es handelt sich um zwei selbstständige, an unter­schiedliche Verwal­tungs­leis­tungen geknüpfte Gebüh­ren­tat­be­stände. Die Rückmeldegebühr dient daher allein dazu, die Kosten für die Bearbeitung der Rückmeldungen zu decken.

Abgeord­ne­tenhaus und Senat sehen Gebühr als Aufwendungen der Hochschule zur Erfüllung sonstiger Aufgaben

Die hiergegen gerichteten Einwände des Abgeord­ne­ten­hauses und des Senats greifen nicht durch. Diese bringen im Wesentlichen vor, die Gebühr gelte auch Aufwendungen der Hochschule zur Erfüllung ihrer sonstigen Aufgaben sowie Vorteile für die Studierenden aus der Inanspruchnahme der Hochschule ab. Ein vom Senat erstellter Entwurf des Haushaltss­truk­tur­ge­setzes 1996 habe zunächst eine Formulierung enthalten, nach der ab dem Wintersemester 1996/97 "für" die Immatrikulation und "für" jede Rückmeldung Gebühren von 100 DM pro Semester zu erheben waren. Um Bedenken auszuräumen, die in vorbereitenden Gremien der Koali­ti­o­ns­frak­tionen geltend gemacht worden seien, sei der Gesetzentwurf dahin geändert worden, dass das Wort "für" durch "bei" ersetzt wurde. Danach sei die Rückmeldung nur der Anlass für die Erhebung einer Gebühr mit den genannten weiteren Zwecken.

Gericht bemängelt Fehlen einer klaren Abgrenzung zwischen zulässiger Benut­zungs­gebühr und verbotener Studiengebühr

Unabhängig von der Frage, ob gänzlich undoku­men­tierten Vorgängen, wie sie hier angeführt werden, überhaupt eine ausschlag­gebende Bedeutung für die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers beigemessen werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht einmal behauptet, dass der Gesetzgeber, um dessen Willen es geht, von den angeführten Vorgängen Kenntnis hatte. Die Darstellung der Hintergründe der Geset­zes­for­mu­lierung bezieht sich vielmehr auf politische Abstim­mungs­vorgänge in vorbereitenden Gremien einzelner Fraktionen im Vorfeld der Einbringung des Gesetzentwurfs. Aus dem maßgeblichen in das Abgeord­ne­tenhaus eingebrachten Gesetzentwurf war demgegenüber die Absicht einer Öffnung des Gebührenzwecks über die Deckung der Verwal­tungs­kosten von Immatrikulation und Rückmeldung hinaus nicht ersichtlich. Denn die nach dem Geset­zes­wortlaut "bei" Immatrikulation und Rückmeldung zu erhebende Gebühr sollte ausweislich der Geset­zes­be­gründung gerade "für" die Immatrikulation und Rückmeldung erhoben werden. Selbst wenn sich der Gesetz­ge­bungs­ge­schichte die Absicht des Gesetzgebers entnehmen ließe, mit der Verwendung des Wortes "bei" im Gesetzestext den Gebührenzweck über die Deckung der Verwal­tungs­kosten von Immatrikulation und Rückmeldung hinaus zu erweitern, bliebe damit ungeklärt, welche weiteren Kostendeckungs- oder sonstigen Zwecke verfolgt werden sollten. Insoweit würde es auch an einer klaren Abgrenzung von der nach § 2 Abs. 8 Satz 1 der Vorschrift zulässigen Benut­zungs­gebühr und von der nach § 2 Abs. 10 der Vorschrift verbotenen Studiengebühr fehlen.

Normenklare Bestimmung des Gebührenzwecks kann nicht mit Verweis auf Zeitdruck außer Kraft gesetzt werden

Soweit das Abgeord­ne­tenhaus und der Senat von Berlin sich in ihrer Stellungnahme auf den besonderen Zeitdruck berufen, unter dem der Haushaltss­truk­tur­ge­setzgeber gestanden habe, kann dies nicht das Erfordernis einer normenklaren Bestimmung des Gebührenzwecks außer Kraft setzen.

Festgesetzte Gebührenhöhe steht in grobem Missverhältnis zum Zweck der Kostendeckung

Die festgesetzte Gebührenhöhe von 100 DM steht in grobem Missverhältnis zu dem Zweck, die Kosten für die Bearbeitung der Rückmeldung zu decken, die sich nach den nachvoll­ziehbaren Berechnungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts auf durch­schnittlich 22,41 DM beliefen. Ein grobes Missverhältnis bestünde im Übrigen selbst dann noch, wenn die betreffende Vorschrift so ausgelegt würde, dass sie eine einheitliche Gebühr bei Immatrikulation und Rückmeldung regelt, um die Kosten beider Verwal­tungs­vorgänge zu decken.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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