23.11.2024
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Dokument-Nr. 31113

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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.10.2021

Unzulässiges Normen­kontroll­verfahren zum Solidaritäts­zuschlag auf Körperschaft­steuer­guthabenBVerfG wies die Vorlage als unzureichend begründet ab

Das Bundes­verfassungs­gericht hat eine Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs zu § 3 des Solidaritäts­zuschlag­ge­setzes 1995 in der Neufassung vom 15. Oktober 2002 (SolzG 1995 n. F.) für unzulässig erklärt. Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dass § 3 SolzG 1995 n. F. insoweit verfas­sungs­widrig ist, als er weder die Festsetzung eines Anspruchs auf Auszahlung eines Solidaritäts­zuschlag­gut­habens auf das Körperschaft­steuer­guthaben gemäß § 37 Abs. 5 des Körperschaft­steuer­gesetzes (KStG) in der Fassung vom 7. Dezember 2006 vorsieht noch das ratierlich zu erstattende Körperschaft­steuer­guthaben die Bemes­sungs­grundlage für den Solidaritäts­zuschlag mindert. Die Vorlage genügt nicht den Begründungs­anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Sowohl die Ausführungen zur Entscheidungs­erheblichkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. in der Auslegung durch den Bundesfinanzhof als auch die Erwägungen zur Verfassungs­widrigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm unter Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen ihrer verfassungs­konformen Auslegung lassen auf der Hand liegende Fragen unbeantwortet.

Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. bemisst sich der Solidaritätszuschlag – soweit eine Veranlagung zur Körper­schaft­steuer vorzunehmen ist – nach der festgesetzten Körper­schaft­steuer, wenn ein positiver Betrag verbleibt. Die Vorlage steht im Zusammenhang mit dem im Jahr 2001 vollzogenen Wechsel im System der Ertrags­be­steuerung der Körperschaften vom Anrechnungs- zum Halbein­künf­te­ver­fahren. Seit 2001 wird auf der Ebene der Gesellschaft für thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne nur noch eine einheitliche und endgültige Körper­schaft­steuer in Höhe von 25 % (seit 2008 in Höhe von 15 %) erhoben. Auf der Ebene des Anteilseigners wird der ausgeschüttete Kapitalertrag nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60 %) versteuert.

Erstattung des Körper­schaft­steu­er­guthaben minderte zunächst Solida­ri­täts­zu­schlag

Den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbein­künf­te­ver­fahren gestaltete der Gesetzgeber derart, dass auf der Grundlage des Körper­schaft­steu­er­min­de­rungs­po­tentials ein Körperschaftsteuerguthaben ermittelt wurde. Das festgestellte Körper­schaft­steu­er­guthaben sollte sich in einem 15-jährigen (später 18-jährigen) Überg­angs­zeitraum jeweils um 1/6 der in den folgenden Jahren getätigten offenen Gewin­n­aus­schüt­tungen bis zum Verbrauch des Körper­schaft­steu­er­gut­habens mindern. Der jeweilige Minde­rungs­betrag wurde an die Gesellschaft – im Wege der Verrechnung mit zu zahlender Körper­schaft­steuer oder durch Erstattung – ausgekehrt. Bei einer Verrechnung mit zu zahlender Körper­schaft­steuer verringerte sich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. zugleich die Bemes­sungs­grundlage für den Solida­ri­täts­zu­schlag. Im Erstattungsfall, das heißt, soweit das auszukehrende Körper­schaft­steu­er­guthaben die jeweils festgesetzte Körper­schaft­steuer überstieg, wirkte sich die Körper­schaft­steu­e­r­er­stattung wegen des Begren­zungs­vor­behalts des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 SolzG 1995 („wenn ein positiver Betrag verbleibt“) nicht auch auf den Solida­ri­täts­zu­schlag aus.

Umstellung von ausschüt­tungs­ab­hängiger zu ausschüt­tungs­u­n­ab­hängiger Auskehrung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens

Durch das Gesetz über steuerliche Begleit­maß­nahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuer­recht­licher Vorschriften (SEStEG) Dezember 2006 wurde das System des Körper­schaft­steu­er­gut­habens umgestellt. An die Stelle der ausschüt­tungs­ab­hängigen Auskehrung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens trat eine von Gewin­n­aus­schüt­tungen unabhängige ratierliche Auszahlung des restlichen Guthabens. Die Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens beantragte beim Finanzamt zusätzlich zu der Festsetzung des Anspruchs auf Auszahlung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens erfolglos die gesonderte Festsetzung eines Anspruchs auf Auszahlung eines entsprechenden Solida­ri­täts­zu­schlag­gut­habens. Die dagegen gerichtete Sprungklage vor dem Finanzgericht Köln hatte keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof hat das Revisi­ons­ver­fahren, in dem die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt, ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 3 SolzG 1995 n. F. insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als Auszahlungen des Körper­schaft­steu­er­gut­habens gemäß § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG die Bemes­sungs­grundlage zum Solida­ri­täts­zu­schlag nicht mindern und § 3 SolzG 1995 n. F. oder eine andere Vorschrift auch nicht die Festsetzung eines Anspruchs auf ein Solida­ri­täts­zu­schlag­guthaben anordnet. Dies verletze Art. 3 Abs. 1 GG und die Grundsätze rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Während die Rückzahlung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens unter Geltung der ursprünglichen Überg­angs­re­gelung die Körper­schaft­steu­er­fest­set­zungen und damit auch den Solida­ri­täts­zu­schlag gemindert hätten, sei dies nach dem SEStEG nicht mehr der Fall. Es würden diejenigen Steuer­pflichtigen benachteiligt, die im Vertrauen auf die ursprüngliche Regelung davon abgesehen hätten, durch Gewin­n­aus­schüt­tungen ihr Körper­schaft­steu­er­guthaben mit mindernder Wirkung für den Solida­ri­täts­zu­schlag anzufordern. Ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung sei nicht ersichtlich.

BVerfG: BFH hätte sich mit Zulässigkeit der begehrten Guthabenlösung ausein­an­der­setzen müssen

Das BVerfG hat die Vorlage als unzulässig erachtet. Sie genügt nicht den Begrün­dungs­an­for­de­rungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Die Ausführungen zur Entschei­dungs­er­heb­lichkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. in der Auslegung durch den Bundesfinanzhof lassen naheliegende Fragen unbeantwortet. Der Bundesfinanzhof hat § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. dahin ausgelegt, dass die Vorschrift die gesonderte Festsetzung eines Solida­ri­täts­zu­schlag­gut­habens auf das zur Auszahlung gelangende Körper­schaft­steu­er­guthaben im Verfahren nach § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG ausschließt, weil nach dem Wortlaut der Norm die festgesetzte Körper­schaft­steuer nur dann Bemes­sungs­grundlage für den Solida­ri­täts­zu­schlag ist, „wenn ein positiver Betrag verbleibt“, also nicht, wenn es zu einer Erstattung kommt, die Körper­schaft­steu­er­schuld mithin negativ ist. Nach dieser jedenfalls vertretbaren Auslegung hätte die Revision keinen Erfolg, wenn die Regelung verfas­sungsgemäß wäre. Dagegen wäre die Revision erfolgreich, wenn der Gesetzgeber eine etwaige Verfas­sungs­wid­rigkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. dergestalt beheben würde, dass er zusätzlich zu dem Anspruch auf Auszahlung eines Körper­schaft­steu­er­gut­habens gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 KStG in der Fassung des SEStEG einen gesonderten Anspruch auf Auszahlung eines Solida­ri­täts­zu­schlags in Höhe von 5,5 % des Körper­schaft­steu­er­gut­habens schafft (Guthabenlösung). Die Entschei­dungs­er­heb­lichkeit einer zur Prüfung durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gestellten Norm scheitert bei einem möglichen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht daran, dass der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, eine festgestellte Verfas­sungs­wid­rigkeit zu beseitigen. Der Zulässigkeit der Vorlage steht deshalb nicht entgegen, dass der Gesetzgeber stattdessen auch die Möglichkeit hätte, das ratierlich auszuzahlende Körper­schaft­steu­er­guthaben – wie nach der ursprünglichen Regelung – durch Verrechnung mit der zu zahlenden Körper­schaft­steuer im Veran­la­gungs­ver­fahren zu berücksichtigen, so dass das Guthaben die Bemes­sungs­grundlage für den Solida­ri­täts­zu­schlag mindern würde (Minde­rungs­lösung). Es genügt, wenn die Feststellung der Verfas­sungs­wid­rigkeit dem ausein­an­der­setzen müssendes Ausgangs­ver­fahrens die Chance offenhält, eine für ihn günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen. Eine für den Steuer­pflichtigen günstige Regelung ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert ist, eine solche Regelung zu schaffen. Der Bundesfinanzhof hätte sich deshalb mit der Frage ausein­an­der­setzen müssen, ob die von der Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens begehrte Guthabenlösung verfas­sungs­rechtlich zulässig oder ob sie ihrerseits verfas­sungs­recht­lichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz ausgesetzt wäre. Eine Defini­tiv­be­lastung von Körperschaften mit Solida­ri­täts­zu­schlag konnte bereits sowohl unter Geltung des Anrech­nungs­ver­fahrens als auch während der Übergangsphase zum Halbein­künf­te­ver­fahren unter der Geltung des Steuer­sen­kungs­ge­setzes und des Steuer­ver­güns­ti­gungs­ab­bau­ge­setzes, also vor dem Inkrafttreten des im Streitfall maßgeblichen SEStEG, eintreten. Deshalb liegt die Frage auf der Hand, ob mit der von der Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens favorisierten Guthabenlösung, die jegliche Defini­tiv­be­lastung mit Solida­ri­täts­zu­schlag im Zusammenhang mit dem ratierlich auszuzahlenden Körper­schaft­steu­er­guthaben ausschließt, nicht (erneut) eine ungerecht­fertigte Ungleich­be­handlung der verschiedenen Gruppen von Steuer­pflichtigen eintreten würde, die aufgrund des früheren Anrech­nungs­ver­fahrens über Körper­schaft­steu­er­min­de­rungs­po­tential beziehungsweise während der Übergangsphase über ein Körper­schaft­steu­er­guthaben verfügen oder verfügten. Damit setzt sich der Bundesfinanzhof in keiner Weise auseinander.

Auch Ausführungen zur Verfas­sungs­wid­rigkeit nicht ausreichend begründet

Auch die Ausführungen zur Verfas­sungs­wid­rigkeit von § 3 SolzG 1995 n. F. genügen den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht. Dabei kann offenbleiben, ob der Bundesfinanzhof bei Zugrundelegung seiner einfach­recht­lichen Auslegung die Unvereinbarkeit der Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG oder mit dem verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz des Vertrau­ens­schutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) ausreichend dargelegt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einer genügenden Begründung für die Unmöglichkeit einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. (in Verbindung mit § 37 Abs. 5 KStG in der Fassung des SEStEG). Die vom Bundesfinanzhof gegen eine verfas­sungs­konforme Auslegung angeführten Gründe greifen zu kurz. Er führt insbesondere an, der Gesetzgeber habe bei der Syste­mum­stellung durch das SEStEG bewusst entschieden, dass die Auszahlung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens die Bemes­sungs­grundlage zum Solida­ri­täts­zu­schlag nicht mehr mindern solle. Dabei räumt der Bundesfinanzhof ein, dass in der Geset­zes­be­gründung der Solida­ri­täts­zu­schlag nicht erwähnt wird. Er geht jedoch davon aus, dass dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben sein könne, dass die Festsetzung und ratierliche Auszahlung eines Körper­schaft­steu­er­gut­habens keine Auswirkungen auf den Solida­ri­täts­zu­schlag mehr habe. Daraus folgt indes noch nicht, dass die gesonderte Festsetzung eines Solida­ri­täts­zu­schlag­gut­habens auf das Körper­schaft­steu­er­guthaben oder eine Berück­sich­tigung des ratierlich auszuzahlenden Körper­schaft­steu­er­gut­habens im Rahmen des Veran­la­gungs­ver­fahrens zur Körper­schaft­steuer und damit für die Bemes­sungs­grundlage des Solida­ri­täts­zu­schlags dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Erlass des SEStEG widerspräche. Mit dem SEStEG wollte der Gesetzgeber zum einen das bisherige System der ausschüt­tungs­ab­hängigen Gutschrift des Körper­schaft­steu­er­gut­habens vereinfachen und die Adminis­trier­barkeit erleichtern. Zum anderen wollte er die Kalku­lier­barkeit der Einnahmen für die öffentlichen Haushalte verbessern. Dass das eine oder das andere Ziel durch die gesonderte Festsetzung eines Solida­ri­täts­zu­schlag­gut­habens auf das Körper­schaft­steu­er­guthaben oder durch eine Berück­sich­tigung der jährlichen Auszahlungsrate bei der Bemes­sungs­grundlage für den Solida­ri­täts­zu­schlag im Veran­la­gungs­ver­fahren konterkariert worden wäre, legt der Bundesfinanzhof nicht dar. Mit der Frage, ob – wenn nicht die gesetz­ge­be­rische Intention bei Erlass des SEStEG – der Wortlaut, die Entste­hungs­ge­schichte, der Gesamt­zu­sam­menhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck eine verfas­sungs­konforme Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. ausschließen, befasst sich der Bundesfinanzhof nicht näher. Insbesondere fehlt es an einer Aufarbeitung des einfachen Rechts in einer Weise, die Rückschlüsse auf die Unzulässigkeit einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SolzG 1995 n. F. im Sinne der Minde­rungs­lösung zulässt. Der Bundesfinanzhof schließt diese aus, weil der Anspruch auf Auszahlung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens vom Veran­la­gungs­ver­fahren getrennt worden sei und es sich dabei um einen Steue­r­er­stat­tungs­an­spruch handele. Welche Konsequenzen die Einordnung als Steue­r­er­stat­tungs­an­spruch für die Frage einer etwaigen Berück­sich­tigung dieses Anspruchs bei der Bemes­sungs­grundlage für den Solida­ri­täts­zu­schlag hat, bleibt dabei unklar. Insbesondere die Frage, ob nach der steuer­recht­lichen Systematik und dem Gesamt­zu­sam­menhang der einschlägigen Regelungen eine Berück­sich­tigung der einmaligen Festsetzung und jährlichen Auszahlung des Körper­schaft­steu­er­gut­habens für die Bemes­sungs­grundlage des Solida­ri­täts­zu­schlags im jeweiligen Veran­la­gungs­ver­fahren zur Körper­schaft­steuer ausgeschlossen ist, etwa weil andernfalls der normative Gehalt von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 SolzG 1995 n. F. grundlegend neu bestimmt würde, wird nicht beantwortet. Damit wird die Begründung der Vorlage ihrer Entlas­tungs­funktion für das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht gerecht, die gerade auch dadurch erreicht werden soll, dass der einfach­rechtliche Streitstoff von der zuständigen Fachge­richts­barkeit im Gesamt­zu­sam­menhang aufgearbeitet wird.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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