18.10.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 32772

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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.03.2023

Erfolgloser Antrag auf Anordnung des Ruhens des Normen­kontroll­verfahrens zur Änderung des Bundes­wahl­rechts 2020Kein Ruhen des Normen­kontroll­verfahrens gegen die Wahlrecht­s­än­derung 2020 wegen öffentliches Interesse an Fortführung des Verfahrens

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einen Antrag auf Anordnung des Ruhens eines Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle abgelehnt. Die Normenkontrolle betrifft Art. 1 Nr. 3 bis 5 des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundes­wahl­ge­setzes (BWahlG) vom 14. November 2020, mit dem im Wesentlichen das Sitz­zuteilungs­verfahren für die Wahl des Deutschen Bundestages nach § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG neu geregelt worden ist. Der Antrag war abzulehnen, weil an der Fortführung des Verfahrens ein öffentliches Interesse besteht.

Die Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller, 216 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages aus den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und FDP, haben sich mit einer abstrakten Normenkontrolle gegen Artikel 1 Nr. 3 bis 5 des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundes­wahl­ge­setzes vom 14. November 2020 gewandt. Sie machen geltend, die angegriffenen Normen seien mit Art. 20 Abs. 3, Art. 20 Abs. 1 und 2 sowie Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Der Zweite Senat hat Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den 18. April 2023. Am 17. März 2023 beschloss der Deutsche Bundestag eine Änderung des Bundes­wahl­ge­setzes, die auch eine Neuregelung der verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Normen umfasst. Die Befassung des Bundesrates sowie die Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes stehen noch aus. Die Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller haben beantragt, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Durch die geplante Änderung des Bundes­wahl­rechts würden die angegriffenen Bestimmungen des Bundes­wahl­ge­setzes gegenstandslos. Vor diesem Hintergrund hätten die Antrag­stel­le­rinnen und Antragsteller zurzeit kein Interesse daran, das Normenkontrollverfahren weiter zu verfolgen. Ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens von Amts wegen bestehe nicht, da im Fall der geplanten Rechtsänderung von den verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Normen für die Zukunft keine Rechtswirkungen mehr ausgingen.

BVerfG sieht öffentliches Interesse an Fortführung des Verfahrens

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat der Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens abgelehnt, weil an seiner Fortführung ein öffentliches Interesse besteht. Das objektive Verfahren der abstrakten Normenkontrolle schützt keine Rechtsstellung des Antragstellers, sondern ausschließlich die Verfassung. Ist das Verfahren durch den Antrag in Gang gesetzt, kommt es für dessen weiteren Verlauf nicht mehr auf die Anträge und Anregungen des Antragstellers, sondern ausschließlich auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses an. Daher führt die Rücknahme eines zulässigen Antrags auf Durchführung eines Normen­kon­troll­ver­fahrens nicht notwen­di­gerweise zu dessen Einstellung. Das Verfahren ist nur einzustellen, wenn keine Gründe für seine Fortführung im öffentlichen Interesse vorliegen. Diese Grundsätze gelten für das Ruhen des Verfahrens entsprechend. Davon ausgehend steht der Anordnung des Ruhens des Verfahrens entgegen, dass ein öffentliches Interesse an seiner Fortführung besteht. Dies folgt zunächst daraus, dass der 20. Deutsche Bundestag auf Grundlage der verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Normen gewählt bleibt. Wahlrechts­normen entfalten jedenfalls so lange Rechtswirkung, wie das auf ihrer Grundlage gewählte Parlament Bestand hat. Legitimations- und Integra­ti­o­ns­funktion der Wahl begründen ein erhebliches Interesse an der Feststellung, ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf verfas­sungs­mäßiger Grundlage gewählt worden sind. Hinzu kommt, dass der Deutsche Bundestag am 10. November 2022 beschlossen hat, die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag im Land Berlin teilweise zu wiederholen. Dieser Beschluss ist Gegenstand mehrerer Wahlprü­fungs­be­schwerden vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 BWahlG findet die Wieder­ho­lungswahl nach denselben Vorschriften wie die Hauptwahl statt. Ihre tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen sollen so weit wie möglich denjenigen entsprechen, die bereits für die Hauptwahl galten. In der Folge hätte eine Wiederholung der Wahl des 20. Deutschen Bundestages grundsätzlich nach den Normen des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundes­wahl­ge­setzes stattzufinden. Auch insoweit besteht daher ein erhebliches öffentliches Interesse an der Feststellung, ob diese Normen verfas­sungs­konform sind.

Verfahren ist schon zu weit fortgeschritten

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht weitere Verfahren anhängig sind, die die Frage der Verfas­sungs­mä­ßigkeit der verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Normen des Bundes­wahl­ge­setzes betreffen. Zwar können in einem solchen Fall Gründe des öffentlichen Interesses für die Fortführung einer abstrakten Normenkontrolle fehlen. Dies ist jedoch schon mit Blick auf das fortge­schrittene Stadium des vorliegenden Verfahrens nicht der Fall. Insbesondere angesichts der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung bietet dieses die Gelegenheit zur zeitnahen Behandlung und Entscheidung der verfas­sungs­recht­lichen Fragen, an deren Klärung das dargelegte öffentliche Interesse besteht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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