21.11.2024
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Dokument-Nr. 32457

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Bundesverfassungsgericht Urteil14.12.2022

BVerfG stärkt Fragerecht von Abgeordneten zu Verfas­sungs­schutzAuskunfts­verweigerung stellt Verletzung des parla­men­ta­risches Fragerechts dar

Das Bundes­verfassungs­gericht entschieden, dass die Weigerung der Bundesregierung, die Zahl der in den Jahren 2015 bis 2019 in das Ausland entsandten Bediensteten des Bundesamtes für Verfas­sungs­schutz (BfV) mitzuteilen, das parla­men­ta­rische Fragerecht des antrag­stel­lenden Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt.

Der Antragsteller ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Mitglied der FDP-Bundes­tags­fraktion. Er bat die Bundesregierung um Auskunft über die Anzahl der in den letzten fünf Jahren jeweils in das Ausland entsandten Bediensteten des BfV. Mit Schreiben vom 9.12.2020 teilte der Parla­men­ta­rische Staatssekretär im Bundes­mi­nis­terium des Innern, für Bau und Heimat im Namen der Bundesregierung mit, dass die Beantwortung der Frage nicht – auch nicht eingestuft als geheim­hal­tungs­be­dürftige Verschlusssache – erfolgen könne. Die abgefragten Informationen beträfen in besonderem Maße das Staatswohl. Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Sicher­heits­be­hörden des Bundes seien im Hinblick auf die künftige Aufga­be­n­er­füllung besonders schutzwürdig. Die Beantwortung der Frage würde spezifische Informationen zur Tätigkeit, insbesondere zur Methodik und den konkreten Fähigkeiten der Sicher­heits­be­hörden einem nicht eingrenzbaren Personenkreis zugänglich machen. Insbesondere durch die Auskunft über die Größenordnung des eingesetzten Personals könnten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des BfV gezogen werden. In einem weiteren Schreiben führte er darüber hinaus aus, bereits die Offenlegung von personellen Größenordnungen zeige den Rahmen nachrich­ten­dienst­licher Methodik als Grundlage operativen Handelns auf und ließe damit Rückschlüsse auf die operativen Fähigkeiten des BfV zu. Auch das geringfügige Risiko des Bekanntwerdens im Fall einer eingestuften Beantwortung der Frage könne nicht hingenommen werden. Der Antragsteller begehrt im Wege des Organ­streit­ver­fahrens die Feststellung, dass ihn die Bundesregierung durch die Verweigerung der erbetenen Auskunft in seinem parla­men­ta­rischen Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat.

Bundesregierung muss erbetenen Auskunfts­ver­wei­gerung nachvollziehbar begründen

Der Antrag ist begründet, weil die Weigerung der Bundesregierung, die Zahl der in den Jahren 2015 bis 2019 in das Ausland entsandten Bediensteten des Bundesamtes für Verfas­sungs­schutz mitzuteilen, das parla­men­ta­rische Fragerecht des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und Infor­ma­ti­o­nsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, an dem die einzelnen Abgeordneten nach Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäfts­ordnung des Deutschen Bundestages teilhaben und dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung gegenübersteht. Der Infor­ma­ti­o­ns­an­spruch des Deutschen Bundestages und der einzelnen Abgeordneten ist allerdings nicht grenzenlos. Diese Grenzen müssen aber, auch soweit sie einfach­ge­setzlich geregelt sind, ihren Grund im Verfas­sungsrecht haben. Demgemäß ist das parla­men­ta­rische Fragerecht begrenzt durch den Zustän­dig­keits­bereich der Regierung, den Kernbereich exekutiver Eigen­ver­ant­wortung, die Grundrechte Dritter und das Staatswohl. Wenn die Bundesregierung die erbetenen Auskünfte ganz oder teilweise verweigert oder nur in nicht öffentlicher Form erteilt, hat sie dies nachvollziehbar zu begründen. Dabei ist ein Nachschieben von Gründen nicht zulässig.

Beein­träch­tigung der Funkti­o­ns­fä­higkeit des BfV nicht dargelegt

Nach diesen Maßstäben hat die Bundesregierung die Verweigerung der erbetenen Auskunft jedenfalls nicht hinreichend begründet und dadurch das parla­men­ta­rische Fragerecht des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die Verweigerung der begehrten Informationen ist auf der Grundlage des Sachvortrags der Antragsgegnerin insbesondere nicht aus Gründen des Staatswohls gerechtfertigt. Als ein solcher Grund kommt vorliegend ausschließlich das Interesse an der Erhaltung der Funkti­o­ns­fä­higkeit des Verfas­sungs­schutzes in Betracht. Es ist weder von der Antragsgegnerin dargelegt noch ansonsten ersichtlich, dass die Erteilung der begehrten Auskunft zu einer Beein­träch­tigung der Funkti­o­ns­fä­higkeit des BfV führen kann. Die Anfrage des Antragstellers richtet sich ausschließlich auf die Mitteilung der Gesamtzahl der in den Jahren 2015 bis 2019 jeweils im Ausland tätigen Bediensteten des BfV und eine Bewertung dieses Umstands mit Blick auf die Aufga­ben­ver­teilung zwischen BfV und Bundes­nach­rich­ten­dienst (BND). Eine Spezifizierung der erfragten Zahl der Auslands­be­diensteten nach Einsatzorten oder -regionen, Einsatzzeiten, Tätig­keits­schwer­punkten oder sonstigen Merkmalen fordert der Antragsteller nicht. Dem steht der Vortrag der Antragsgegnerin zur Methodik nachrich­ten­dienst­licher Tätigkeit nicht entgegen. Sie behauptet, da Nachrich­ten­dienste Informationen sammelten, um diese wie ein „Mosaik“ zu einem aussa­ge­kräftigen Gesamtbild zusam­men­zu­führen, könnte die begehrte Auskunft ein entscheidendes Teilstück sein, um sicher­heits­re­levante Rückschlüsse auf die Tätigkeit des BfV im Ausland ziehen zu können. Diese abstrakte Überlegung vermag die Gefahr einer Beein­träch­tigung der Funkti­o­ns­fä­higkeit des BfV im Falle der Beantwortung der parla­men­ta­rischen Anfrage nicht zu begründen. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass sich aus der Kombination von – für sich genommen wenig aussa­ge­kräftigen – Informationen neue Erkenntnisse ergeben können. Dies entbindet sie aber nicht von der konkreten Darlegung, dass es sich bei der jeweiligen Tatsache gerade um einen solchen „Mosaikstein“ handeln könnte, der geeignet wäre, ein Gesamtbild entstehen zu lassen und damit den angestrebten Erkennt­nis­gewinn zu erreichen. Ohne spezifischere Darlegungen könnte mit dieser „Mosaikstein“-Argumentation jede Auskunft verweigert werden, da naturgemäß jede Auskunft einen Inhalt hat, der abstrakt einen „Mosaikstein“ in irgendeinem Zusammenhang darstellen könnte.

„Mosaiktheorie“ hätte ein nahezu völliges Leerlaufen des parla­men­ta­rischen Fragerechts zur Folge

Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus den Darlegungen der Antragsgegnerin nicht, dass die behaupteten Geheim­hal­tungs­in­teressen den parla­men­ta­rischen Infor­ma­ti­o­ns­an­spruch in einem Maße überwiegen, dass von einer Beantwortung der parla­men­ta­rischen Anfrage – gegebenenfalls in eingestufter Form – abgesehen werden durfte. Die Übernahme der von der Antragsgegnerin vertretenen „Mosaiktheorie“ hätte ein nahezu völliges Leerlaufen des parla­men­ta­rischen Fragerechts der Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Sinne einer Bereichs­ausnahme für die Tätigkeit der Nachrich­ten­dienste zur Folge. Eine solche Bereichs­ausnahme widerspricht dem Gebot, bei einer Kollision des verfas­sungs­rechtlich verankerten Geheim­hal­tungs­in­teresses mit dem parla­men­ta­rischen Auskunfts­an­spruch einen Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz herbeizuführen. Selbst wenn zu unterstellen wäre, dass die – gegebenenfalls eingestufte – Mitteilung der Gesamtzahl der in den Jahren 2015 bis 2019 jeweils im Ausland tätigen Bediensteten Auswirkungen auf die Handlungs­fä­higkeit des BfV haben könnte, wäre dies allenfalls in einem derart marginalen Umfang der Fall, dass ein vollständiges Zurücktreten des parla­men­ta­rischen Auskunftsrechts nicht gerechtfertigt ist.

Auch weitere Argumente nicht überzeugend

Es kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass das Fragerecht des einzelnen Abgeordneten hinter sonstigen Möglichkeiten parla­men­ta­rischer Kontrolle der Nachrich­ten­dienste zurückzutreten habe. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung ausdrücklich klargestellt, dass das Parla­men­ta­rische Kontrollgremium lediglich ein zusätzliches Instrument parla­men­ta­rischer Kontrolle ist, das sonstige parla­men­ta­rische Infor­ma­ti­o­ns­rechte nicht verdrängt. Daran ist festzuhalten. Das parla­men­ta­rische Kontrollgremium vermag aufgrund seiner Aufga­ben­stellung, seiner eingeschränkten Möglichkeiten der Beweiserhebung und deren Bindung an – teilweise qualifizierte – Mehrheits­er­for­dernisse lediglich eine partielle Kontrolle der Tätigkeit der Verfas­sungs­schutz­be­hörden zu leisten. Ebenso geht die Auffassung fehl, allein die Erweiterung des Kreises der Geheimnisträger stehe der Beantwortung der parla­men­ta­rischen Anfrage des Antragstellers selbst in eingestufter Form entgegen. Das Staatswohl ist im parla­men­ta­rischen Regie­rungs­system des Grundgesetzes nicht allein der Bundesregierung, sondern dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut. Mithin kann bei geheim­hal­tungs­be­dürftigen Informationen die Berufung auf das Staatswohl gerade gegenüber dem Deutschen Bundestag in aller Regel dann nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienst­ge­heim­nissen getroffen wurden. Die Antragsgegnerin trägt insoweit nicht vor, dass der Deutsche Bundestag keine wirksamen Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden der erfragten Auskunft im Falle eingestufter Übermittlung getroffen habe. Stattdessen verweist sie schlicht auf die Erweiterung des Kreises der Zugangs­be­rech­tigten bei einer Beantwortung der parla­men­ta­rischen Anfrage auch in eingestufter Form. Dem Gebot des bestmöglichen Ausgleichs zwischen staatlichem Geheim­hal­tungs­in­teresse und parla­men­ta­rischen Auskunfts­ansprüchen würde dadurch nicht Rechnung getragen. Vielmehr ergäbe sich auf dieser Grundlage ebenfalls eine unzulässige Bereichs­ausnahme für das parla­men­ta­rische Fragerecht in Angelegenheiten der Nachrich­ten­dienste.

Begründung für Gefährdung nicht ausreichend

Die Verweigerung der Beantwortung der parla­men­ta­rischen Anfrage hinsichtlich der Zahl der Auslands­be­diensteten des BfV genügt zudem den verfas­sungs­recht­lichen Begrün­dungs­an­for­de­rungen nicht. Die Begründung der Antragsgegnerin beschränkt sich letztlich auf die bloße Behauptung, die Mitteilung der Gesamtzahl der im angefragten Zeitraum im Ausland tätigen Bediensteten des BfV begünstige die Entwicklung von Abwehr­stra­tegien ausländischer Dienste und gefährde dadurch den Einsatzerfolg. Warum dies der Fall sein soll, wird nicht näher erläutert. Auch eine Ausein­an­der­setzung mit dem Umstand, dass es sich bei der Ausland­s­tä­tigkeit des BfV dem Grunde nach um eine offenkundige Tatsache handeln dürfte, erfolgt nicht. Konkrete Umstände, die die Behauptung einer Beein­träch­tigung der Funkti­o­ns­fä­higkeit des BfV bei Beantwortung der Anfrage nachvollziehbar erscheinen lassen, werden nicht vorgetragen. Die Begründung versetzt den Antragsteller daher nicht in die Lage, die Plausibilität der Antwort­ver­wei­gerung eigenständig zu beurteilen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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