14.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil03.07.2007

Tornado-Einsatz in Afghanistan war verfas­sungsgemäßLinksfraktion scheitert mit Organklage vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Die gegen die Bundesregierung gerichtete Organklage der Bundes­tags­fraktion PDS/Die Linke, die die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher­heits­un­ter­stüt­zungs­truppe (ISAF) in Afghanistan betrifft, war erfolglos. Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat festgestellt, dass die Bundesregierung mit dem Beschluss zur Entsendung von Tornado-Aufklä­rungs­flug­zeugen nach Afghanistan keine Rechte des Deutschen Bundestags aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 GG verletzt hat. Der NATO-geführte ISAF-Einsatz in Afghanistan diene der Sicherheit des euro-atlantischen Raums und überschreite daher nicht wesentliche Struk­tu­rent­schei­dungen des NATO-Vertrags. Zudem lägen keine Anhaltspunkte für eine strukturelle Abkopplung der NATO von ihrer friedens­wah­renden Ausrichtung vor.

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes genehmigte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 20. Dezember 2001 die Einrichtung einer Internationalen Sicher­heits­bei­stand­s­truppe (International Security Assistance Force – ISAF), um die Afghanische Interims­ver­waltung bei der Aufrecht­er­haltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen. Die Bundesregierung beantragte am 21. Dezember 2001 die Zustimmung des Deutschen Bundestags zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicher­heits­un­ter­stüt­zungs­truppe in Afghanistan, die der Deutsche Bundestag am 22. Dezember 2001 erteilte. Der zunächst auf ein halbes Jahr befristete Einsatz wurde im Folgenden aufgrund entsprechender Anträge der Bundesregierung verlängert, zuletzt bis zum 13. Oktober 2007. Status und Rechte der Internationalen Sicher­heits­un­ter­stüt­zungs­truppe richten sich nach den zwischen der NATO und der Regierung von Afghanistan getroffenen Vereinbarungen.

Im August 2003 übernahm die NATO die Führung der ISAF-Mission. Das zunächst auf das Gebiet Kabuls und seiner Umgebung beschränkte ISAF- Mandat wurde in der Folgezeit auf das gesamte Gebiet Afghanistans ausgeweitet: Die ISAF übernahm die Verantwortung zunächst für den Norden und Nordwesten des Landes, später auch für die Südregion und die Ostregion Afghanistans. In diesen Landesteilen waren zuvor allein die Staaten der in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 entstandenen Operation Enduring Freedom tätig. Dabei handelt es sich um ein loses Bündnis von mehr als 40 Staaten, die sich zum Zweck der Bekämpfung des international agierenden Terrorismus zusam­men­ge­schlossen haben und die im Oktober 2001 die militärische Offensive gegen das afghanische Taliban-Regime begonnen hatten. Seit der Ausweitung von ISAF operiert diese parallel zur Operation Enduring Freedom, wobei die Missionen institutionell und von Ihren Zielsetzungen her getrennt bleiben. Eine Kooperation der beiden Missionen findet allerdings statt.

Am 8. Februar 2007 beantragte die Bundesregierung die Zustimmung des Deutschen Bundestags zu einer erweiterten deutschen Beteiligung an der NATO-geführten Internationalen Sicher­heits­un­ter­stüt­zungs­truppe in Afghanistan mit Fähigkeiten zur Aufklärung und Überwachung in der Luft. Zur Begründung heißt es unter anderem, bereits die am 28. September 2006 beschlossene Verlängerung des Mandats für die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ISAF habe unter der Erwartung der Ausweitung von ISAF auf ganz Afghanistan gestanden, die Anfang Oktober 2006 mit der Übernahme der Verantwortung für die ISAF-Ostregion vollzogen worden sei. Damit stelle sich die NATO neuen Heraus­for­de­rungen, insbesondere einer angespannteren Sicherheitslage. Notwendig sei daher aus Sicht der NATO auch die Fähigkeit zur Aufklärung aus der Luft. Für die Aufgabe der Aufklärung und Überwachung aus der Luft seien Aufklä­rungs­flugzeuge vom Typ “Tornado RECCE“ vorgesehen, die über die Fähigkeit zur abbildenden Aufklärung am Tag und in der Nacht verfügten. Diese Aufklä­rungs­flugzeuge sollten aber nicht zur Luftna­hun­ter­stützung bei Kampfaktionen eingesetzt werden. Der Deutsche Bundestag stimmte dem Antrag der Bundesregierung am 9. März 2007 zu.

Vorbringen der Antragstellerin:

Die Antragstellerin rügt eine Verletzung des Mitwir­kungs­rechts des Bundestags gemäß Art. 59 Abs. 2 GG. Die Bundesregierung habe an einer Fortentwicklung des NATO-Vertrags mitgewirkt, die die Grenzen des durch das Zustim­mungs­gesetz abgesteckten Integra­ti­o­ns­pro­gramms überschreite. Das ergebe sich zum einen daraus, dass die NATO sich mit ihrer Führung der ISAF-Mission an einem militärischen Einsatz beteilige, der keinen Bezug mehr zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum aufweise, auf die der NATO-Vertrag abstelle. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht habe aber noch in seinem Urteil zum neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999 den Bezug militärischer Sicher­heits­maß­nahmen zur euro-atlantischen Region für ein maßgebliches Element in der Konzeption des NATO-Vertrags gehalten Mit diesem regio­nal­be­zogenen Element breche die NATO, wenn sie weltweit Krisen­re­ak­ti­o­ns­e­insätze durchführe, die, wie die ISAF-Mission in Afghanistan, zum euro-atlantischen Raum keinerlei Bezug mehr hätten.

Darüber hinaus sei das Integra­ti­o­ns­programm dadurch überschritten, dass die Bundesrepublik sich mit ihrer Beteiligung an der erweiterten ISAF- Mission an einem Einsatz beteilige, der in Afghanistan parallel zu und in vielfältiger Verbindung mit der Operation Enduring Freedom stattfinde und damit gegen das Friedensgebot des Art. 24 Abs. 2 GG verstoße. Diese Kooperation von ISAF mit der Operation Enduring Freedom, insbesondere in Form der Weitergabe von im Rahmen der ISAF-Mission gewonnenen Aufklä­rungs­er­geb­nissen, überschreite zudem das ISAF-Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Die Anträge sind zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt. Sie hat hinreichend dargelegt, dass der Deutsche Bundestag durch die angegriffenen Maßnahmen in Rechten verletzt sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind.

Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln, bedürfen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung der Gesetz­ge­bungs­kör­per­schaften in Form eines Bundesgesetzes. Mit der Zustimmung zu einem Vertragsgesetz bestimmen Bundestag und Bundesrat den Umfang der auf dem völker­recht­lichen Vertrag beruhenden Bindungen der Bundesrepublik und tragen dafür fortdauernd die politische Verantwortung gegenüber dem Bürger. Wesentliche Abweichungen von der Vertrags­grundlage sind deshalb von dem ursprünglichen Zustim­mungs­gesetz nicht mehr gedeckt. Betreibt die Bundesregierung die Fortentwicklung eines Vertrags jenseits der ihr erteilten Ermächtigung, wird der Bundestag in seinem Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt verletzt.

Der Fortentwicklung eines völker­recht­lichen Vertrags, der die Grundlage eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG bildet, ist eine weitere Grenze gesetzt. Nach Art. 24 Abs. 2 GG kann sich der Bund „zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen“. Verfas­sungs­rechtlich sind die Einordnung der Bundesrepublik in ein solches System und die fortdauernde Teilnahme daran damit unter den Vorbehalt der Friedenswahrung gestellt. Auch die Umwandlung eines ursprünglich den Anforderungen des Art. 24 Abs. 2 GG entsprechenden Systems in eines, das nicht mehr der Wahrung des Friedens dient, ist verfas­sungs­rechtlich untersagt und kann deshalb nicht vom Inhalt des Zustim­mungs­ge­setzes gedeckt sein.

II. Die Anträge sind unbegründet. Der Deutsche Bundestag ist nicht in seinem Recht aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 GG verletzt.

1. Der NATO-geführte ISAF-Einsatz in Afghanistan dient der Sicherheit des euro-atlantischen Raums. Er bewegt sich damit innerhalb des Integra­ti­o­ns­pro­gramms des NATO-Vertrags, wie es der Deutsche Bundestag im Wege des Zustim­mungs­ge­setzes zu diesem Vertrag mitverantwortet.

a) Der regionale Bezug als Kernelement des Integra­ti­o­ns­pro­gramms des NATO-Vertrags bedeutete von Beginn an nicht, dass militärische Einsätze der NATO auf das Gebiet der Vertragsstaaten beschränkt sein müssten. Mit dem Zweck der NATO als System mehrerer Staaten zur gemeinsamen Abwehr militärischer Angriffe von außen waren abwehrende militärische Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets, nämlich auch auf dem Territorium eines angreifenden Staates, von vornherein impliziert. Insofern entspricht neben der militärischen Verteidigung gegen einen Angriff auch ein damit sachlich und zeitlich in Verbindung stehender komplementärer Krisen­re­ak­ti­o­ns­einsatz auf dem Gebiet des angreifenden Staates noch der regionalen Begrenzung des NATO-Vertrags.

b) Eine Lösung der NATO von ihrem regionalen Bezugsrahmen kann in dem ISAF-Einsatz in Afghanistan nicht gesehen werden. Denn dieser Einsatz ist ersichtlich darauf ausgerichtet, nicht allein der Sicherheit Afghanistans, sondern auch und gerade der Sicherheit des euro-atlantischen Raums auch vor künftigen Angriffen zu dienen. Der ISAF-Einsatz hat von Beginn an das Ziel gehabt, den zivilen Wiederaufbau Afghanistans zu ermöglichen und zu sichern, um dadurch ein Wiedererstarken von Taliban, Al-Qaida und anderen friedens­ge­fähr­denden Gruppierungen zu verhindern. Die Sicher­heits­in­teressen des euro-atlantischen Bündnisses sollten dadurch gewahrt werden, dass von einem stabilen afghanischen Staatswesen in Zukunft keine aggressive und friedens­störende Politik zu erwarten ist, sei es durch eigenes aktives Handeln dieses Staates, sei es durch duldendes Unterlassen im Hinblick auf terroristische Bestrebungen auf dem Staatsgebiet. Die Verant­wort­lichen im NATO-Rahmen durften und dürfen davon ausgehen, dass die Sicherung des zivilen Aufbaus Afghanistans auch einen unmittelbaren Beitrag zur eigenen Sicherheit im euro- atlantischen Raum leistet.

2. Der ISAF-Einsatz in Afghanistan liefert danach, wie er sich tatsächlich vollzieht und in den diesbezüglichen Passagen der Gipfe­l­er­klä­rungen von Riga politisch fixiert wird, auch keine Anhaltspunkte für eine strukturelle Abkopplung der NATO von ihrer friedens­wah­renden Zweckbestimmung (Art. 24 Abs. 2 GG). Der Charakter des NATO-Vertrags ist durch den ISAF-Einsatz in Afghanistan und das dortige Zusammenwirken mit der Operation Enduring Freedom ersichtlich nicht verändert worden. ISAF und die Operation Enduring Freedom haben getrennte Zwecksetzungen, unter­schiedliche Rechts­grundlagen und klar abgegrenzte Verant­wor­tungs­sphären. Während die Operation Enduring Freedom vornehmlich der unmittelbaren Terro­ris­mus­be­kämpfung gilt, dient ISAF der Aufrecht­er­haltung der Sicherheit in Afghanistan, um eine Grundlage für den zivilen staatlichen Aufbau zu schaffen. Durch Kooperationen zwischen den Einsätzen, die die Sicherheit in Afghanistan erhöhen sollen, sind diese rechtlichen und tatsächlichen Trennungen nicht aufgehoben worden. Dass von integrierten Kampfeinsätzen nicht gesprochen werden kann, ergibt sich bereits aus dem Beschluss der Bundesregierung zur Entsendung der Tornado-Aufklä­rungs­flugzeuge. Danach sollen die Tornado- Flugzeuge Aufklä­rungs­arbeit leisten, die Fähigkeit zur Luftna­hun­ter­stützung ist nicht vorgesehen, und die Flugzeuge sind nur zu Eigen- und Selbst­schutz­zwecken bewaffnet. Was die Weitergabe von Aufklä­rungs­er­geb­nissen an die Operation Enduring Freedom betrifft, so ist diese nach dem genannten Beschluss auf der Basis des ISAF-Operationsplans der NATO nur dann vorgesehen, „wenn dies zur erforderlichen Durchführung der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist“.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 37+72/07 des BVerfG vom 30.03.2007 und 03.07.2007

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