21.11.2024
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Dokument-Nr. 30183

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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.04.2021

Anträge auf Aussetzung der Regelungen zu Unterstützungs­unterschriften oder Absenkung der Quoren bei der Bundestagswahl unzulässigAnträge mangels ausreichender Begründung unzulässig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die Anträge der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands und der Bayernpartei e. V. gegen den Deutschen Bundestag auf Feststellung, dass dieser die Rechte der Antrag­stel­le­rinnen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat, indem er es unterließ, die Vorschriften des Bundes­wahl­ge­setzes zur Vorlage von Unterstützungs­unterschriften wegen der durch die COVID-19-Pandemie geänderten tatsächlichen Umstände auszusetzen oder durch Absenkung der Quoren anzupassen, mangels ausreichender Begründung verworfen. Die Antrag­stel­le­rinnen haben jeweils die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf Chancen­gleichheit durch das Unterlassen einer Aussetzung der Anwendbarkeit von §§ 20 Abs. 2 Satz 2, 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG oder einer Absenkung der Zahl der nach diesen Vorschriften für die Zulassung eines Kreis­wahl­vor­schlags oder einer Landesliste beizubringenden Unterstützungs­unterschriften bei der Bundestagswahl 2021 durch den Antragsgegner nicht hinreichend substantiiert dargelegt. In seiner Begründung hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber unter den tatsächlichen Bedingungen der Covid-19-Pandemie zur Überprüfung der geltenden Unterschriften­quoren verpflichtet ist.

Parteien, die nicht im Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, können gemäß § 18 Abs. 2 BWahlG nur dann an der Bundestagswahl teilnehmen, wenn der Bundes­wahl­aus­schuss ihre Partei­ei­gen­schaft festgestellt hat. Fällt eine Partei in den Anwen­dungs­bereich dieser Norm, benötigt sie zudem Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften für Kreis­wahl­vor­schläge sowie für die Aufstellung von Landeslisten. Kreis­wahl­vor­schläge politischer Parteien benötigen die Unterstützung von 200 Wahlbe­rech­tigten des Wahlkreises, die den Kreis­wahl­vor­schlag persönlich und handschriftlich unterzeichnen müssen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 BWahlG). Landeslisten politischer Parteien sind von 1 vom Tausend der Wahlbe­rech­tigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl, höchstens jedoch von 2.000 Wahlbe­rech­tigten, persönlich und handschriftlich zu unterzeichnen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG).

Antrag­stel­le­rinnen fordern pandemiebegingt die gesetzlichen Regelungen der Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften auszusetzen oder zu ändern

Die Antrag­stel­le­rinnen sind politische Parteien, die derzeit weder in einem Landtag noch im Deutschen Bundestag vertreten sind. Sie wenden sich im Wege des Organ­streit­ver­fahrens dagegen, dass der Deutsche Bundestag es bislang unterlassen habe, wegen der geänderten Rahmen­be­din­gungen politischer Kommunikation infolge der COVID-19-Pandemie die gesetzlichen Regelungen der Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften im Hinblick auf die Bundestagswahl 2021 auszusetzen oder zu ändern.

BVerfG weist Anträge als unzulässig wegen fehlender Antragsbefugnis ab

Das BVerfG hat die Anträge als unzulässig abgewiesen. Die Antrag­stel­le­rinnen sind nicht antragsbefugt, da sie die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf Chancen­gleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in einer den Begrün­dungs­an­for­de­rungen von § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG genügenden Weise dargelegt haben. Sie legen zwar hinreichend dar, dass das Erfordernis von Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG einen Eingriff in ihr Recht auf Chancen­gleichheit beinhaltet. Auch weisen sie zutreffend darauf hin, dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in ständiger Rechtsprechung wahlrechtliche Unter­schrif­ten­quoren für sachlich gerechtfertigt erachtet hat, wenn und soweit sie dazu dienen, den Wahlakt auf ernsthafte Wahlvorschläge zu beschränken und so der Gefahr der Stimmen­zer­split­terung vorzubeugen. Die Antrag­stel­le­rinnen haben hinreichend erläutert, dass die pande­mie­be­dingten, auf nicht absehbare Zeit fortbestehenden Kontaktverbote und -beschränkungen eine Veränderung der tatsächlichen Rahmen­be­din­gungen für das Sammeln der erforderlichen Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften darstellen. Es ist offenkundig, dass die Beibringung der Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften unter erheblich erschwerten Bedingungen stattfinden muss, da die herkömmliche Art des Sammelns von Unterschriften im öffentlichen Raum (direkte Ansprache, Infostände, Versammlungen) nur deutlich weniger effizient durchgeführt werden kann.

Antragsbegehren unzureichend begründet

Soweit die Antrag­stel­le­rinnen aus der Veränderung der tatsächlichen Rahmen­be­din­gungen für die Beibringung von Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften eine Verpflichtung ableiten, die Anwendbarkeit von § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG nicht nur zu überprüfen, sondern auszusetzen oder zumindest die Höhe der Unter­schrif­ten­quoren für die kommende Bundestagswahl abzusenken, genügen ihre Darlegungen den Begrün­dungs­an­for­de­rungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG jedoch nicht. Zwar stellen die pande­mie­be­dingten Kontakt­be­schrän­kungen und die damit verbundenen Rückwirkungen auf die politische Kommunikation im öffentlichen Raum eine wesentliche Veränderung der tatsächlichen Ausgangslage dar, die der Gesetzgeber beim Erlass der Regelungen zur Beibringung von Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften zugrunde gelegt hat. Der Gesetzgeber ist daher gehalten zu prüfen, ob eine unveränderte Beibehaltung der Unter­schrif­ten­quoren zum Nachweis der Ernsthaftigkeit der Wahlteilnahme einer nicht in den Parlamenten vertretenen Partei weiterhin erforderlich ist oder ob deren Wahlteilnahme hierdurch übermäßig erschwert wird. Daraus folgt indes nicht ohne Weiteres, dass der Antragsgegner auch verpflichtet ist, bei der Bundestagswahl 2021 die Anwendbarkeit von § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG vollständig auszusetzen. Dass es verfas­sungs­rechtlich geboten ist, bei der bevorstehenden Bundestagswahl auf das Erfordernis der Beibringung von Unterschriften vollständig zu verzichten, wird von den Antrag­stel­le­rinnen nicht nachvollziehbar dargelegt und ist auch in sonstiger Weise nicht ersichtlich. Ebenso genügen die Ausführungen der Antrag­stel­le­rinnen nicht, um zumindest die Verengung des Gestal­tungs­spielraums des Antragsgegners auf eine Verpflichtung zur Absenkung der Zahl der für eine Teilnahme an der Bundestagswahl erforderlichen Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften zu begründen. Die Antrag­stel­le­rinnen legen nicht ausreichend dar, dass der Antragsgegner aufgrund der pande­mie­be­dingten Veränderungen der Rahmen­be­din­gungen politischer Kommunikation zu einer solchen Anpassung der Regelungen zur Wahlteilnahme nicht im Parlament vertretener Parteien verpflichtet ist.

Nur unzureichende Ausein­an­der­setzung mit angegriffenen Regelungen

Mit den in der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts entwickelten Maßstäben für die verfas­sungs­rechtliche Unbedenk­lichkeit von Unter­schrif­ten­quoren für parlamentarisch nicht vertretene Parteien setzen sich die Antrag­stel­le­rinnen nicht substantiiert auseinander. Es fehlt an einer substantiierten Darlegung, dass der Antragsgegner davon ausgehend aufgrund der pande­mie­be­dingten Veränderungen der Rahmen­be­din­gungen politischer Kommunikation überhaupt zur Anpassung der Regelungen zur Wahlteilnahme von nicht in den Parlamenten vertretenen Parteien verpflichtet ist. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts, wonach die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integra­ti­o­ns­vorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und das sich daraus ergebende Erfordernis des Nachweises der Ernsthaftigkeit der Wahlteilnahme unter normalen Umständen Unter­schrif­ten­quoren bis zu ,25 % der Wahlbe­rech­tigten zu rechtfertigen vermögen, bleibt die gesetzliche Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG deutlich hinter dieser Obergrenze zurück. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG bedürfen Landeslisten lediglich der Unterstützung von 1 vom Tausend, höchstens von 2.000 der Wahlbe­rech­tigten des jeweiligen Landes bei der letzten Bundestagswahl. Auch § 20 Abs. 2 Satz 2 BWahlG ist mit dem Erfordernis der Unterstützung durch mindestens 200 Wahlberechtigte des Wahlkreises an dieser Größenordnung orientiert, da sich die durch­schnittliche Zahl der Wahlbe­rech­tigten pro Bundes­tags­wahlkreis auf 206.000 beläuft und gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 BWahlG die Bevöl­ke­rungszahl eines Wahlkreises nicht um mehr als 15 vom Hundert von der durch­schnitt­lichen Bevöl­ke­rungszahl der Wahlkreise abweichen soll.

Geltende Quoren wegen Pandemie nicht unbedingt unzulässig

Damit hat der Gesetzgeber den Gestal­tungs­spielraum, der ihm von der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts für die Festsetzung der Höhe der Unter­schrif­ten­quoren unter normalen Umständen eingeräumt wird, bei weitem nicht ausgeschöpft. Folglich kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass bei einer Erschwerung der Beibringung der erforderlichen Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften die Beibehaltung der gesetzlichen Quoren die Grenze des verfas­sungs­rechtlich Zulässigen überschreitet. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, nachvollziehbar zu begründen, dass aufgrund der pande­mie­be­dingten Veränderungen der Rahmen­be­din­gungen für das Sammeln von Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften die Wahlteilnahme der nicht im Parlament vertretenen Parteien hierdurch praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird und dass daher der Antragsgegner von Verfassungs wegen zur Absenkung der gesetzlichen Unter­schrif­ten­quoren verpflichtet ist.

Unmöglichkeit der Unter­schrif­ten­bei­bringung beruhen im Wesentlichen nur auf bloße Behauptungen

Das kann dem Vortrag der Antrag­stel­le­rinnen nicht in ausreichendem Maße entnommen werden. Sie beschränken sich insoweit im Wesentlichen auf die bloße Behauptung, aufgrund der angeordneten Kontaktverbote und -beschränkungen sei die Beibringung der erforderlichen Unterschriften „massiv erschwert, wenn nicht gar im Einzelfall unmöglich“. Dies ist nicht ohne Weiteres plausibel. So trägt eine der beiden Antrag­stel­le­rinnen vor, sie verfüge in Bayern über 5.000 Mitglieder. Warum es ihr angesichts dessen nicht möglich sein soll, die gesetzlichen Unter­schrif­ten­quoren zu erfüllen, erschließt sich nicht. In diesem Zusammenhang fehlt es auch an einer Ausein­an­der­setzung mit dem für die Beibringung von Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften zur Verfügung stehenden Zeitraum von mehr als einem Jahr und an einer Darlegung, ob bei deutlicher Absenkung des Quorums der Nachweis der Ernsthaftigkeit der Wahlteilnahme noch als geführt angesehen werden kann. Selbst bei Annahme einer dem Grunde nach bestehenden Pflicht zur Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die pande­mie­be­dingten Einschränkungen der politischen Kommunikation im öffentlichen Raum hätte es einer gesonderten Begründung für die Verengung des Gestal­tungs­spielraums des Gesetzgebers auf eine Pflicht zur Absenkung der Unter­schrif­ten­quoren gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2, § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG bedurft. Auch daran fehlt es.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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