23.11.2024
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Dokument-Nr. 31904

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Bundesverfassungsgericht Beschluss25.05.2022

Erfolgloser Eilantrag zur vorläufigen Einsetzung von AfD-Aus­schuss­vorsitzende im BundestagAfD-Fraktion im Bundestag muss vorerst weiter auf den Vorsitz in drei Ausschüssen verzichten

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einen Antrag der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag (im Folgenden: Antragstellerin) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antrag war darauf gerichtet, die von der Antragstellerin benannten Kandidaten bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig als Vorsitzende mehrerer Ausschüsse im Deutschen Bundestag einzusetzen.

Nachdem sich die Fraktionen des 20. Deutschen Bundestages zu Beginn der Wahlperiode im Ältestenrat nicht auf die Verteilung der Ausschuss­vorsitze verständigen konnten, wurden diese unter den Fraktionen im sogenannten Zugriffs­ver­fahren verteilt. Die Antragstellerin griff im Rahmen dieses Verfahrens auf die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu. In den konsti­tu­ie­renden Sitzungen dieser Ausschüsse am 15. Dezember 2021 schlug die Antragstellerin jeweils einen Kandidaten für die Ausschuss­vorsitze vor. Auf Antrag der Regie­rungs­frak­tionen wurden daraufhin in den drei Ausschüssen geheime Wahlen zur Bestimmung der Ausschuss­vor­sit­zenden durchgeführt, bei denen keiner der von der Antragstellerin benannten Kandidaten die erforderliche Mehrheit erhielt. Auch in den Sitzungen der Ausschüsse am 12. Januar 2022 verfehlten die Kandidaten der Antragstellerin bei erneuten geheimen Wahlen die erforderlichen Mehrheiten. Aktuell werden die Ausschüsse von den stell­ver­tre­tenden Vorsitzenden geleitet.

Antragstellerin sieht sich Grundrechten verletzt

Die Antragstellerin wendet sich in der Hauptsache im Wege des Organstreits gegen die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden der betroffenen Ausschüsse. Im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin, die von ihr benannten Kandidaten vorläufig als Ausschussvorsitzende einzusetzen. Durch die „Veranstaltung einer ungebundenen Mehrheitswahl“ zur Besetzung der ihr zustehenden Ausschuss­vorsitze sieht sie sich in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) auf Gleich­be­handlung und auf faire und loyale Anwendung der Geschäfts­ordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) sowie in einem aus dem Rechts­s­taats­prinzip, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, folgenden Recht auf effektive Opposition verletzt.

Im Hauptverfahren zu klären - ob freie Wahl der Vorsitzenden zulässig ist“

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat den Eilantrag abgelehnt. Zwar ist der Antrag in der Hauptsache weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere erscheint eine Verletzung der von der Antragstellerin geltend gemachten organ­schaft­lichen Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht von vornherein völlig ausgeschlossen. Die Antragstellerin ist als Fraktion im Deutschen Bundestag ein Zusammenschluss von Abgeordneten, dessen Rechtsstellung sich – ebenso wie der Status der Abgeordneten – aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ableitet. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das Recht auf gleich­be­rechtigte Mitwirkung der Abgeordneten beziehungsweise ihrer Zusam­men­schlüsse auch den Zugang zu einem Leitungsamt wie dem Ausschuss­vorsitz erfasst. Gemäß § 12 GO-BT, nach dem die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen ist, stehen der Antragstellerin drei Vorsit­zen­den­po­si­tionen auch grundsätzlich zu. Im Haupt­sa­che­ver­fahren wird zu klären sein, ob § 58 GO-BT, wonach die Ausschüsse ihre Vorsitzenden bestimmen, eine freie Wahl der Ausschuss­vorsitze zulässt, ob hiermit eine Beein­träch­tigung von Rechts­po­si­tionen der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verbunden sein kann und ob eine solche im Hinblick auf den Zweck der Wahl zulässig wäre. Vor diesem Hintergrund kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, ob darüber hinaus auch eine Verletzung der behaupteten Rechte der Antragstellerin auf effektive Opposition sowie auf faire und loyale Anwendung der Geschäfts­ordnung in Betracht kommt. Die wegen des offenen Verfah­rens­ausgangs zu treffende Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags.

Mitwirkung im Ausschuss „in vollem Umfang“ möglich

Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch die einstweilige Vorenthaltung der Ausschuss­vorsitze daran gehindert wäre, an der politisch-parla­men­ta­rischen Willensbildung im engeren Sinn in den betroffenen Ausschüssen mitzuwirken. Nach den Vorschriften der Geschäfts­ordnung sind mit dem Amt des Ausschuss­vor­sitzes insbesondere Geschäfts­leitungs- und Organi­sa­ti­o­ns­be­fugnisse verbunden, die durch weitgehende Kontroll- und Korrekturrechte der Ausschuss­mit­glieder begrenzt sind (vgl. §§ 59 - 61 GO-BT). Auch ohne dieses Funktionsamt mit entsprechend eingeschränktem Handlungs­spielraum kann die Antragstellerin durch ihre Mitglieder in den drei betroffenen Ausschüssen ihr Recht auf Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Deutschen Bundestages in vollem Umfang wahrnehmen. Eigenständige parla­men­ta­rische Kontrollrechte sind mit dem Ausschuss­vorsitz nicht verbunden.

Einstweilige Anordnung widerspräche Mehrheitswillen des jeweiligen Ausschusses

Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung und erwiese sich die Nichtwahl der von der Antragstellerin vorgeschlagenen Kandidaten für den Ausschuss­vorsitz als verfas­sungsgemäß, würden die drei betroffenen Ausschüsse bis zum Abschluss des Haupt­sa­che­ver­fahrens jeweils von einer Person geleitet, die das Vertrauen der Ausschuss­mehrheit offensichtlich nicht besitzt. Das könnte die Arbeits­fä­higkeit dieser Ausschüsse gefährden, weil das fehlende Vertrauen des jeweiligen Ausschusses in den Vorsitz eine erhebliche Einschränkung der Ausschussarbeit zur Folge haben kann, nicht zuletzt durch die sich aus der Geschäfts­ordnung ergebenden Möglichkeiten der Ausschuss­mehrheit, Leitungs­hand­lungen des Vorsitzenden zu konterkarieren. Dabei ist nicht auszuschließen, dass sich eine solche Beein­träch­tigung der Arbeit der betroffenen Ausschüsse wegen ihrer unverzichtbaren Vorarbeit für das Plenum auch auf die Funkti­o­ns­fä­higkeit des Bundestages insgesamt auswirken kann. Zudem griffe eine vorläufige Einsetzung von Ausschuss­vor­sit­zenden durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht schwerwiegend in die von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Geschäfts­ord­nungs­au­tonomie des Bundestages ein. Hierzu ist das Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Eilverfahren nur unter sehr strengen Voraussetzungen befugt. Schließlich beeinträchtigte die Einsetzung der von der Antragstellerin benannten Kandidaten als Ausschuss­vor­sitzende das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte freie Mandat der Mehrheit der Ausschuss­mit­glieder, das auch ihr Recht auf Beteiligung an den im Parlament stattfindenden Abstimmungen umfasst. Die begehrte einstweilige Anordnung widerspräche damit dem im Wahlergebnis zum Ausdruck gekommenen Mehrheitswillen des jeweiligen Ausschusses.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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