21.11.2024
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Dokument-Nr. 32364

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Beschluss16.05.2022Bundesverfassungsgericht1 BvR 98/21 und 1 BvR 564/19
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Bundesverfassungsgericht Beschluss16.05.2022

Verfassungs­beschwerden gegen die Nennung in Verfassungs­schutz­berichten erfolglosNennung beider Organisationen in den Verfassungs­schutz­berichten ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden

Das Bundes­verfassungs­gericht hat zwei Verfassungs­beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Der aktive Teil einer Studen­ten­ver­bindung und ein bundesweit tätiger Verein wandten sich erfolglos gegen ihre Nennung in Verfassungs­schutz­berichten. Damit sind zwar Grundrechts­eingriffe verbunden. Doch sind diese auch zu rechtfertigen. Jedenfalls ist nicht zu beanstanden, dass die Verwal­tungs­ge­richte in beiden Fällen davon ausgegangen sind, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorlagen und die Vereinigungen daher im Verfassung­sschutz­bericht genannt werden konnten.

Im Verfahren 1 BvR 98/21 wendet sich ein Zusammenschluss der zur aktiven Beteiligung Verpflichteten einer burschen­schaftlich organisierten Studen­ten­ver­bindung gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 des Freistaates Bayern im Abschnitt „Recht­s­ex­tre­mismus“. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stützte sich auf das Auftreten der Burschenschaft in der Öffentlichkeit, politische Aktivitäten und Veranstaltungen mit bestimmten eingeladenen Personen sowie auf die personelle Vernetzung der Studen­ten­ver­bindung mit Mitgliedern der Natio­na­l­de­mo­kra­tischen Partei Deutschlands (NPD). Nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts reichten diese dokumentierten Aktivitäten als tatsächliche Anhaltspunkte für die Nennung im Bericht aus. Der Beschwer­de­führer des Verfahrens 1 BvR 564/19 wendet sich als bundesweit tätiger Verein gegen seine Nennung im Verfas­sungs­schutz­bericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 im Abschnitt „Autonome Links­ex­tre­misten“. An mehreren Stellen wird dort über Verbindungen des Vereins zu einer als verfas­sungs­feindlich eingestuften politischen Partei berichtet. Dabei wird in Fußnoten jeweils darauf hingewiesen, dass lediglich Anhaltspunkte für den Verdacht der Verfolgung verfas­sungs­feind­licher Bestrebungen bestünden. Ein fachge­richt­lichen Eilverfahren und eine Verfassungsbeschwerde waren zunächst erfolglos. Doch entschied das Oberver­wal­tungs­gericht, dass die Art der Darstellung in einzelnen Passagen des Verfas­sungs­schutz­be­richts rechtswidrig sei und diese entfernt werden müssen. Die Nennung im Bericht als solche sei jedoch nicht zu beanstanden.

BVerfG hält beide Nennungen für gerechtfertigt

Die gegen die Entscheidungen der Oberver­wal­tungs­ge­richte gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden haben – soweit sie zulässig sind – in der Sache keinen Erfolg. Die Nennung der Beschwer­de­füh­renden in den Verfas­sungs­schutz­be­richten ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Sie greift zwar jeweils in ihre grundrechtlich geschützten Freiheiten ein. Diese Eingriffe sind jedoch verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Nennung als ein Eingriff in die von Art. 9 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Verei­ni­gungs­freiheit, in die Meinungs­freiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder in die allgemeine Handlungs­freiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) zu sehen ist. Denn aus den unter­schied­lichen Grundrechten ergibt sich hier kein unter­schied­liches Schutzniveau.

"Freiheitlich demokratische Grundordnung" verfas­sungs­rechtlich geklärt

Soweit die Fachgerichte die Nennung der Studen­ten­ver­bindung im Verfahrens 1 BvR 98/21 im Verfas­sungs­schutz­bericht 2015 des Freistaates Bayern für gerechtfertigt hielt, haben sie grundrechtliche Schutzgehalte nicht verkannt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat insofern allein die Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen auf die Verletzung von Verfas­sungsrecht zu überprüfen. Ein Grund­rechts­verstoß durch die Gerichte liegt nur dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der jeweils anwendbaren Vorschriften überhaupt Grundrechte zu beachten waren, wenn deren Schutzbereich unrichtig oder unvollkommen bestimmt wurde oder wenn ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist. Das ist hier nicht der Fall. Die Nennung der Beschwer­de­führerin im Verfas­sungs­schutz­bericht stützte sich auf eine landes­rechtliche Bestimmung, nach welcher der Verfas­sungs­schutz die Öffentlichkeit über tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten von Gruppierungen oder Einzelpersonen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind, unterrichtet. Hier ist nicht erkennbar, dass die Fachgerichte in der Auslegung und Anwendung des Landesrechts die Grundrechte der Beschwer­de­führerin verkannt hätten. Die Einwände der Beschwer­de­führerin, die Rechtsgrundlage für die Arbeit des Verfas­sungs­schutzes sei zu unbestimmt oder die Auslegung der Gerichte vage und daher nicht verfas­sungsgemäß, greifen nicht durch. Verfas­sungs­rechtlich ist geklärt, was als „freiheitlich demokratische Grundordnung“ geschützt ist. Desgleichen ist geklärt, dass sich recht­s­ex­tre­mis­tische Bestrebungen, insbesondere der NPD, aber auch des Vereins M., mit dem die Beschwer­de­führerin kooperiert, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. Ebenso wenig trägt der Einwand, bei der Nennung im Verfas­sungs­schutz­bericht werde nicht an Tatsachen angeknüpft, sondern ihre Gesinnung verfolgt. Insofern ist die Arbeit des Verfas­sungs­schutzes an Sachlichkeit und weltanschaulich-politische Neutralität gebunden; er darf nicht an bloße Kritik an der bestehenden Ordnung anknüpfen oder politisch einseitig vorgehen. Die Berich­t­er­stattung ist daher auf Aktivitäten begrenzt, die eine aktiv-kämpferische Haltung indizieren und letztlich auf die Beseitigung der verfas­sungs­mäßigen Ordnung gerichtet sind. Diese Maßgaben haben die Fachgerichte hier auch zugrunde gelegt. Sie haben als konkrete Anhaltspunkte für eigene verfas­sungs­feindliche Bestrebungen der Beschwer­de­führerin einen Vortrag eines Funktionärs der NPD gewertet, die Veranstaltung von Messen, die der NPD und einer mit dieser Partei verbundenen Gruppierung sowie einem verfas­sungs­widrigen Verein ein Forum zur Selbst­dar­stellung und Werbung boten, deren zunächst positive Begleitung in den sozialen Medien durch die Beschwer­de­führerin und die Mitgliedschaft eines Verant­wort­lichen des Hausvereins der Burschenschaft in der NPD. Dabei haben die Gerichte auch ausdrücklich berücksichtigt, dass die NPD eine legale politische Partei ist, die den Schutz des Art. 21 GG genießt. Zugleich stellten sie aber darauf ab, dass es sich auch ausweislich der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts über den gegen sie gerichteten Verbotsantrag um eine Partei handelt, die klar verfas­sungs­feindliche Positionen vertritt. Art. 21 GG schließt es zwar aus, diese Partei zu verbieten, untersagt aber dem Verfas­sungs­schutz nicht, über Vereinigungen zu berichten, die mit ihr kooperieren.

Grundrechte des Vereins nicht verkannt

Auch im Verfahren 1 BvR 564/19 hat das OVG die Grundrechte des Vereins nicht verkannt, soweit es seine Nennung im Verfas­sungs­schutz­bericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen für gerechtfertigt hielt. Die Nennung stützte sich ebenfalls auf eine landes­rechtliche Regelung, die es den Verfas­sungs­schutz­be­hörden erlaubt, Verfas­sungs­schutz­be­richte zu veröffentlichen. Dafür ist nach der Auslegung des OVG erforderlich, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorliegen. Auch hier hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht zu bewerten, ob die angegriffene Entscheidung zwingend war, denn die fachliche Prüfung obliegt den Fachgerichten. Verfas­sungs­rechtlich ist allein entscheidend, ob Grund­rechts­gehalte verkannt worden sind. Hier hat das OVG nicht verkannt, dass es nicht ausreichend wäre, wenn sich eine Vereinigung lediglich nicht von verfas­sungs­feind­lichen Organisationen distanzierte, zu denen Berüh­rungs­punkte bestehen, oder wenn allein personelle Überschnei­dungen mit einem verfas­sungs­feind­lichen Perso­nen­zu­sam­men­schluss vorlägen. Vielmehr müssen auch nach der fachge­richt­lichen Wertung verfas­sungs­feindliche Bestrebungen in der Sache bedeutsam unterstützt werden. Insofern darf die Gründungs­ge­schichte einer Vereinigung in die Gesamtschau ebenso eingehen wie ein Grußwort auf einer Wahlkampf­ver­an­staltung einer als verfas­sungs­feindlich eingestuften politischen Partei, ein Stand auf deren Feier zum Gründungs­ju­biläum und eine gemeinsame Veranstaltung sowie die personelle Präsenz auf deren Wahllisten oder Wahlbündnissen, und das Fehlen jeglicher Anzeichen einer Distanzierung. Im Einklang mit den Anforderungen der Verhält­nis­mä­ßigkeit nimmt das OVG zudem an, dass der Aussagewert dieser Anhaltspunkte umso geringer ist, je weiter sie in der Vergangenheit liegen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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