21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.02.2007

Begrenzung der gesetzlichen Rechts­an­walts­ver­gütung bei besonders hohen Streitwerten verfas­sungsgemäßGrundrecht der Berufsfreiheit wird nicht verletzt

Die zum 1. Juli 2004 mit dem Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­gesetz eingeführte Begrenzung der Rechts­an­walts­ge­bühren bei besonders hohen Streitwerten ist verfas­sungsgemäß. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Es wies die Verfas­sungs­be­schwerden einer Rechts­an­walts­ge­sell­schaft und einer Rechts­an­walts­so­zietät ab.

Mit Wirkung zum 1. Juli 2004 wurde die Bundes­rechts­an­walts­ge­büh­ren­ordnung durch das Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­gesetz (RVG) ersetzt. Wie bereits nach der früheren Regelung berechnen sich die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nach dem Gegenstandswert der Angelegenheit, dem bestimmte Gebührensätze zugeordnet werden. Welche Gebühren im Einzelnen anfallen, hängt von der Art der vom Rechtsanwalt vorgenommenen Tätigkeit ab. Die Vereinbarung einer höheren Vergütung ist grundsätzlich zulässig.

Niedrigere Vergütungen können nur in außer­ge­richt­lichen Angelegenheiten vereinbart werden. Nach den früheren Bestimmungen war die Höhe des Gegen­standswerts – und damit die Höhe der gesetzlichen Vergütung – nach oben nicht begrenzt, während das nunmehr geltende Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­gesetz eine Begrenzung vorsieht: Nach § 22 Abs. 2 RVG beträgt der Gegenstandswert höchstens 30 Millionen Euro, bei mehreren Auftraggebern insgesamt höchstens 100 Millionen Euro. Damit beläuft sich bei einem Auftraggeber eine Gebühr auf maximal 91.496 €. Kommt es zum Rechtsstreit vor den Zivilgerichten, fallen im ersten Rechtszug bei einer 1,3-Verfah­rens­gebühr und einer 1,2-Terminsgebühr also maximal netto 228.740 € an. Demgegenüber betrug nach früherem Recht bei einem Rechtsstreit vor den Zivilgerichten mit einem Streitwert beispielsweise von 50 Millionen Euro die Vergütung netto 302.992 €, bei 200 Millionen Euro Streitwert netto 1.202.992 €.

Die Verfas­sungs­be­schwerden einer aus Rechtsanwälten bestehenden Partner­ge­sell­schaft und einer Rechts­an­walts­so­zietät gegen die gesetzliche Kappungsgrenze waren ohne Erfolg. Die Begrenzung der gesetzlichen Gebühren für Rechtsanwälte bei Streitigkeiten mit besonders hohen Gegen­stands­werten ist mit dem Grundgesetz vereinbar, insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht verletzt. Dies entschied der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts.

Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen. Richter Gaier hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. In der angegriffenen Änderung des bestehenden Systems der Anwalts­ho­no­rierung durch die Einführung von Wertgrenzen für die Bestimmung der gesetzlichen Vergütung liegt weder ein Eingriff in die Berufsfreiheit noch eine Maßnahme mit eingriffs­gleicher Wirkung.

Die gesetzliche Vergü­tungs­re­gelung dient dem Schutz der Rechtsuchenden, indem in genera­li­sie­render Form für alle anwaltlichen Leistungen Pauscha­l­ver­gü­tungssätze vorgesehen sind. Die gesetzlichen Gebühren geben dem Rechtsuchenden Rechts­si­cherheit bei der Kalkulation der möglichen Kosten. Die gesetzliche Regelung geht typisierend vor und sichert daher nicht in jedem Einzelfall, dass die Gebühr genau dem Wert und dem Umfang der anwaltlichen Leistung entspricht. Bestimmend ist insofern das gesetz­ge­be­rische Ziel, den Anwälten für ihre Tätigkeit insgesamt eine angemessene Vergütung zu ermöglichen. Darüber hinaus steht dem Rechtsanwalt der Weg einer Honora­r­ver­ein­barung offen. Der gesetzlichen Gebüh­ren­re­gelung kommt daher insoweit nur dispositive Wirkung zu.

An dieser Rechtslage hat sich durch die Neuregelung im Grundsatz nichts geändert. Der Grundsatz der Vertrags­freiheit bleibt unberührt. Dass potentielle Mandanten möglicherweise eine anwaltliche Betreuung unter Anwendung der gesetzlichen Gebühr bevorzugen, widerspricht dem Gedanken der Vertrags­freiheit nicht. Gelingt es dem Anwalt nicht, ein höheres Honorar zu vereinbaren, realisiert sich das allgemeine Risiko, das mit der wirtschaft­lichen Verwertung einer beruflich erbrachten Leistung am Markt verbunden ist. Die frühere Gebüh­ren­re­gelung, die jenseits der Wertgrenze höhere Gebühren vorsah und daher für die Rechtsanwälte einen geringeren Anreiz für Honora­r­ver­ein­ba­rungen enthielt, hat keinen Vertrau­ens­schutz­tat­bestand geschaffen und den Rechtsanwälten das Risiko eines Misslingens von Honora­r­ver­hand­lungen nicht mit der Wirkung abgenommen, dass eine Veränderung der gesetzlich geschaffenen Anreizstruktur als Grund­recht­s­eingriff oder Maßnahme mit eingriffs­gleicher Wirkung anzusehen wäre.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch die dispositive Gebüh­ren­fest­legung für Großverfahren jenseits der Wertgrenze eine Gebüh­ren­ver­ein­barung so stark erschwert wird, dass darin eine Beein­träch­tigung der Berufsfreiheit liegt. In den vorliegend maßgebenden Großverfahren ist aus Sicht der am Streit Beteiligten die absolute Summe des Anwaltshonorars im Verhältnis zu dem absoluten Wert der im Streit befindlichen Angelegenheit regelmäßig nicht von maßgebender Bedeutung für die Bereitschaft zur Führung eines Prozesses. Dementsprechend wird das Interesse der Beteiligten an einem kompetenten, gegebenenfalls durch eine Mehrzahl spezialisierter Anwälte geleisteten rechtlichen Beistand in vielen Fällen so groß sein, dass sie bereit sein werden, dafür auch ein ausgehandeltes Honorar zu zahlen.

2. Selbst wenn ein Eingriff oder – wie Richter Gaier in seinem Sondervotum meint – eine eingriffs­gleiche Beein­träch­tigung der Berufsfreiheit anzunehmen wäre, ist die Neuregelung verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Bestimmungen werden dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit gerecht. Ziel der angegriffenen auf die Sicherung einer ordnungsgemäß funkti­o­nie­renden Rechtspflege ausgerichteten Regelung ist es, im Interesse effektiver Justizgewähr bei hohen Streitwerten das Entstehen unver­hält­nismäßig hoher Gebühren zu vermeiden. Darüber hinaus dient die Regelung gesetzlicher Gebühren für anwaltliche Tätigkeiten, insbesondere die Festlegung der Mindestgebühr, die im Falle einer Honora­r­ver­ein­barung nicht unterschritten werden darf, auch dem Schutz der wirtschaft­lichen Interessen der Rechts­an­walt­schaft. Bei Abwägung der Vor- und Nachteile für die jeweils betroffenen Rechtsgüter der Rechtsanwälte einerseits und der Rechtsuchenden andererseits begegnet es keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, dass der Gesetzgeber durch die veränderte Gebüh­ren­re­gelung den Zugang zum Gericht erleichtert und dadurch den Schutz der rechtsuchenden Bürger verstärkt hat, ohne den Anwälten ein angemessenes Honorar zu verweigern. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Anwälten mit der Begrenzung auf Gebühren, die bei einem Streitwert von 30 Millionen Euro entstehen, ein im Verhältnis zu ihrer Leistung angemessenes Honorar verweigert wird und es ihnen dann, wenn der Aufwand eine höhere Honorierung erfordert, grundsätzlich nicht möglich ist, dies durch Honora­r­ver­ein­barung zu sichern.

Sondervotum des Richters Gaier

Nach Auffassung des Richters Gaier stellt die gesetzliche Regelung eine eingriffs­gleiche Beein­träch­tigung der Berufsfreiheit dar. Sie hindere den Berufsträger an der privatautonomen Vereinbarung seines Honorars. Die Möglichkeit der Vereinbarung einer höheren als der gesetzlich geregelten Vergütung ändere hieran nichts Entscheidendes. Denn die Regelung der gesetzlichen Gebühren schwäche die Position der Rechtsanwälte bei Verhandlungen über Honora­r­ver­ein­ba­rungen insbesondere deshalb, weil in Rechtss­trei­tigkeit nur die gesetzlichen Gebühren, nicht aber ein höheres vereinbartes Honorar zu erstatten sei. Darüber hinaus entspreche die Begrenzung der gesetzlichen Vergütung der Rechtsanwälte nicht dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz. Es fehle an einem angemessenen Ausgleich zwischen den wider­strei­tenden Interessen von Rechtsanwälten und Mandanten. Die Regelung belaste einseitig die betroffenen Rechtsanwälte, weil ein kostendeckendes Honorar insbesondere bei aufwändigen und langwierigen Verfahren mit extrem hohen Streitwerten nicht sichergestellt sei. Sie würden zur Subven­ti­o­nierung der Rechts­ver­folgung leistungs­starker Mandanten und insbesondere großer Wirtschafts­un­ter­nehmen herangezogen, während die breite Masse der Rechtsuchenden mit einem vergleichsweise deutlich höheren Kostenrisiko belastet bleibe. Ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der Rechtsuchenden und den Interessen der Rechtsanwälte könne nur durch eine Gebüh­ren­struktur ohne Kappungsgrenze erfolgen, die jedoch bei hohen Streitwerten zu einem erheblich geringeren Honorar als nach früherem Recht führen müsse.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 54/07 des BVerfG vom 15.05.2007

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