18.10.2024
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Dokument-Nr. 29780

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Bundesverfassungsgericht Beschluss09.12.2020

Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde einer Verlegerin gegen Verpflichtung zur Veröf­fent­lichung einer Gegen­dar­stellungBeanstandeter Text ist nicht als Tatsa­chen­be­hauptung sondern als freie Meinung­s­äu­ßerung einzustufen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat der Verfassungs­beschwerde einer Verlegerin eines Magazins stattgegeben, die sich gegen zivil­ge­richtliche Entscheidungen richtet, die die Beschwer­de­führerin zum Abdruck einer Gegen­dar­stellung verurteilen.

Die Beschwer­de­führerin veröffentlichte einen Artikel, der sich mit Steuer­spa­r­mo­dellen im Zusammenhang mit maltesischen Gesellschaften deutscher Unternehmen und Privatpersonen befasst. Es wird unter anderem darüber berichtet, dass der Antragsteller des Ausgangs­ver­fahrens eine Firma im Firmenregister in Malta eintragen ließ, deren Geschäftszweck insbesondere der Kauf, Betrieb, Verleih und Bau von „Schiffen jeder Art“ sei. Zudem wird unter anderem erklärt, dass es ein „paar naheliegende Gründe [gebe], nach Malta zu gehen, wenn die Firma das Wort „Yachting“ im Namen trägt“.

Instanzgerichte verlangten Gegen­dar­stellung

Die Beschwer­de­führerin wurde daraufhin von den Fachgerichten zur Veröf­fent­lichung einer Gegen­dar­stellung verurteilt. Nach zuvor ablehnender Entscheidung des Landgerichts entschied das Oberlan­des­gericht im einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren auf Antrag des Antragstellers des Ausgangs­ver­fahrens, dass die Beschwer­de­führerin zur Veröf­fent­lichung einer Gegen­dar­stellung verpflichtet sei. Auf den von der Beschwer­de­führerin eingelegten Widerspruch erging das den Erlass der einstweiligen Verfügung bestätigende Urteil des Landgerichts. Das Oberlan­des­gericht wies die von der Beschwer­de­führerin eingelegte Berufung zurück. Es handele sich bei der wiedergegebenen Aussage nicht um eine erkennbar subjektive Einschätzung der Beschwer­de­führerin, sondern um eine Tatsachenbehauptung. Unter Mitteilung objektiver Tatsachen werde der tatsächliche Verdacht zum Ausdruck gebracht, der Antragsteller habe die Gesellschaft auf Malta gegründet, um Mehrwertsteuer zu sparen. Damit treffe die Beschwer­de­führerin eine Aussage über die angebliche Motivation des Antragstellers, die dem Beweis zugänglich sei. Die Beschwer­de­führerin druckte daraufhin die Gegen­dar­stellung ab.

Verletzung der Pressefreiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat der Verfas­sungs­be­schwerde stattgegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­führerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil die Fachgerichte die Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend berücksichtigt haben. Gegen­dar­stel­lungsfähig ist nur eine Tatsa­chen­be­hauptung, die die Presse zuvor aufgestellt hat. Die Pressefreiheit ist deshalb verletzt, wenn eine Gegen­dar­stellung abgedruckt werden müsste, obwohl es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsa­chen­be­hauptung handelt. Tatsa­chen­be­haup­tungen sind durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich. Bei einer Meinung handelt es sich um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist.

Weites Verständnis des Meinungs­be­griffs

Für die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Grundsätzlich ist dabei von einem weiten Verständnis des Meinungs­be­griffs auszugehen. Eine Äußerung fällt auch dann in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsa­chen­mit­teilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungs­freiheit wesentlich verkürzt werden. Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grund­rechts­schutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinung­s­äu­ßerung handelt.

Beanstandeter Text keine Tatsa­chen­be­hauptung

Dem beanstandeten Text ist keine Tatsa­chen­be­hauptung dahin zu entnehmen, der Antragsteller des Ausgangs­ver­fahrens habe eine maltesische Gesellschaft gegründet, um Mehrwehrsteuer zu sparen beziehungsweise und habe dort Steuern gespart. Es handelt sich um eine Meinung­s­äu­ßerung der Beschwer­de­führerin dahin, dass unstreitig in Malta bestehende Steuervorteile bei der unstreitig vom Antragsteller in Malta gegründeten Gesellschaft eine Rolle gespielt haben können. Jedenfalls könne ein Zusammenhang zwischen unstreitigen Steuervorteilen und dem Umstand bestehen, dass der Antragsteller des Ausgangs­ver­fahrens Haupt­ge­sell­schafter einer maltesischen Limited ist, die den Begriff „Yachting“ im Gesell­schaftsnamen führt. Die gegenständliche Passage ist von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt. Die Beschwer­de­führerin leitet aus den konkret dargelegten Umständen und der Nähe zu Gesell­schafts­gründung und Steuervorteilen diese Vermutung ab. Dass ihr unbekannt war, ob die Gesellschaft für den Erwerb einer Jacht und damit für „ein Steuer­schnäppchen“ gegründet wurde, teilt sie offen mit.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/aw)

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