24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil22.02.2011

BVerfG: Flughafenverbot aufgrund von Protest­ver­an­stal­tungen stellt Verletzung des Grundrechts auf Meinungs- und Versamm­lungs­freiheit darVersamm­lungs­freiheit gilt auch im Frankfurter Flughafen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass ein von den Zivilgerichten bestätigtes Verbot der Fraport AG hinsichtlich des Verteilens von Flugblättern im Frankfurter Flughafen ohne vorher hierfür eine Erlaubnis einzuholen, unver­hält­nismäßig ist. Ein solches Verbot verletzt die Veranstalter in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Versamm­lungs­freiheit.

Der Flughafen Frankfurt am Main wird von der Fraport Aktien­ge­sell­schaft (Fraport AG) betrieben. Ihre Anteile stehen mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand, aufgeteilt zwischen dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt am Main. Der Flughafen umfasst neben der für die Abwicklung des Flugverkehrs bestimmten Infrastruktur zahlreiche Einrichtungen zu Zwecken des Konsums und der Freizeit­ge­staltung, die der Öffentlichkeit allgemein zugänglich sind.

Fraport AG erteilt Beschwer­de­führerin wegen Verteilens von Flugblättern gegen Abschiebungen Flughafenverbot

Die Beschwer­de­führerin ist Mitglied einer „Initiative gegen Abschiebungen“, die sich gegen die Abschiebung von Ausländern unter Mitwirkung privater Flugge­sell­schaften wendet. Nachdem sie mit fünf weiteren Mitgliedern in der Abflughalle des Frankfurter Flughafens im März 2003 an einem Abfer­ti­gungs­schalter Flugblätter verteilt hatte, die sich gegen eine Abschiebung richteten, erteilte ihr die Fraport AG ein „Flughafenverbot“ mit dem Hinweis, dass gegen sie ein Strafantrag wegen Hausfrie­dens­bruchs erstattet werde, sobald sie erneut „unberechtigt“ auf dem Flughafen angetroffen werde. Mit einem erläuternden Schreiben wies sie die Beschwer­de­führerin unter Bezugnahme auf ihre Flugha­fen­be­nut­zungs­ordnung darauf hin, dass Sammlungen, Werbungen sowie das Verteilen von Flugblättern ihrer Einwilligung bedürfen und dass sie „nicht abgestimmte Demonstrationen im Terminal aus Gründen des reibungslosen Betrie­b­s­ab­laufes und der Sicherheit grundsätzlich nicht“ dulde.

Beschwer­de­führerin fühlt sich in Grundrechten der Meinungs­freiheit und der Versamm­lungs­freiheit verletzt

Die von der Beschwer­de­führerin vor den Zivilgerichten gegen die Fraport AG erhobene Klage auf Feststellung, dass das erteilte Demonstrations- und Meinungs­kund­ga­be­verbot für das Gelände des Flughafens Frankfurt rechtswidrig sei, blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin - unter anderem - eine Verletzung ihrer Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit durch die angegriffenen zivil­ge­richt­lichen Entscheidungen.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht bestätigt Verletzung der Grundrechte und weist Sache zurück ans Amtsgericht

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen zivil­ge­richt­lichen Entscheidungen die Beschwer­de­führerin in ihren Grundrechten der Meinungs­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Versamm­lungs­freiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzen, und hat diese daher aufgehoben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen worden.

Fraport AG ist unmittelbar an die Grundrechte gebunden

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Fraport AG ist gegenüber der Beschwer­de­führerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Nutzung zivil­recht­licher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischt­wirt­schaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grund­rechts­bindung.

Gemäß der geltenden Grundrechte ist Bürger prinzipiell frei und der Staat prinzipiell gebunden

Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufga­ben­wahr­nehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Dabei liegt Art. 1 Abs. 3 GG eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Dementsprechend ist der Bürger seinerseits durch die Grundrechte nicht unmittelbar gebunden, sondern findet durch sie gegenüber dem Staat Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbst verantwortlich ist. Seine Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und prinzipiell begrenzt; der Staat schafft hierbei auch einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Grund­recht­s­trägern und bringt damit zwischen diesen die Grundrechte mittelbar zur Geltung. Demgegenüber handelt der Staat in treuhän­de­rischer Aufga­ben­wahr­nehmung für die Bürger und ist ihnen rechen­schafts­pflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend und unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufga­ben­wahr­nehmung auf das Zivilrecht zurückgreift.

Grund­rechts­bindung betrifft auch gemischt­wirt­schaftliche Unternehmen mit großem Eigentumsanteil in öffentlicher Hand

Die unmittelbare Grund­rechts­bindung trifft nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischt­wirt­schaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Die Annahme einer unmittelbaren Grund­rechts­bindung nicht nur der Anteilseigner, sondern auch des betreffenden Unternehmens selbst entspricht seinem Charakter als verselb­stän­digter Handlungs­einheit und stellt eine effektive Grund­rechts­bindung unabhängig davon sicher, ob, wieweit und in welcher Form der oder die Eigentümer gesell­schafts­rechtlich auf die Leitung der Geschäfte Einfluss nehmen können und wie bei Unternehmen mit verschiedenen öffentlichen Anteilseignern eine Koordination der Einflussrechte verschiedener öffentlicher Eigentümer zu gewährleisten ist. Die Rechte der privaten Anteilseigner erfahren hierdurch keine ungerecht­fertigte Einbuße: Ob diese sich an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich die Mehrheits­ver­hältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen wie bei der Änderung von Mehrheits­ver­hält­nissen sonst frei, hierauf zu reagieren. Ohnehin unberührt bleibt ihre Rechtsstellung als Grund­recht­s­träger insbesondere des Eigen­tums­grund­rechts unmittelbar gegenüber den öffentlichen Anteilseignern oder sonst gegenüber der öffentlichen Gewalt.

Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit ist nicht auf öffentlichen Straßenraum begrenzt

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­führerin in ihrer Versamm­lungs­freiheit. Der Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit ist eröffnet. Die Versamm­lungs­freiheit gewährleistet den Grund­recht­s­trägern unter anderem das Recht, über den Ort der Veranstaltung frei zu bestimmen. Sie verschafft ihnen damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere können Versammlungen nicht ohne Weiteres auf frei gewählten Privat­grund­s­tücken durchgeführt werden. Allerdings ist die Versamm­lungs­freiheit auch nicht auf den öffentlichen Straßenraum begrenzt. Vielmehr verbürgt sie die Durchführung von Versammlungen auch an anderen Orten, wo ein öffentliches Unternehmen einen allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffnet hat. Wenn heute die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­funktion der öffentlichen Straßen zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren oder sonstige Begeg­nungs­stätten ergänzt wird, kann die Versamm­lungs­freiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grund­rechts­bindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infra­s­truk­tu­r­ein­rich­tungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind.

Von Beschwer­de­führerin beabsichtigte Zusammenkünfte fallen in Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit

Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Zum anderen beantwortet sich die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommu­ni­ka­ti­o­nsraum zu beurteilen ist, nach dem Leitbild des öffentlichen Forums. Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommu­ni­ka­ti­o­ns­ge­flecht entsteht. Die von der Beschwer­de­führerin beabsichtigten Zusammenkünfte fallen in den Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit, da sie auch Bereiche des Frankfurter Flughafens betreffen, die als Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet sind.

Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs stellen Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG dar

Die angegriffenen Entscheidungen greifen in die Versamm­lungs­freiheit ein. Grundsätzlich finden als Rechts­grundlagen für Eingriffe durch die Versamm­lungs­be­hörden und die Vollzugspolizei auch im Frankfurter Flughafen die Vorschriften des Versamm­lungs­ge­setzes Anwendung. Daneben können Eingriffe durch die Flugha­fen­be­treiberin aber auch auf das privat­rechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB als ein die Versamm­lungs­freiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG gestützt werden. Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG. Dies gilt unabhängig davon, ob die der Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publi­kums­verkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind.

Untersagung einer Versammlung nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr zulässig

Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil das von den Zivilgerichten bestätigte Verbot unver­hält­nismäßig ist. Grundsätzlich können die zivil­recht­lichen Befugnisse nicht so ausgelegt werden, dass sie über die den Versamm­lungs­be­hörden verfas­sungs­rechtlich gesetzten Grenzen hinausreichen. Danach kommt die Untersagung einer Versammlung nur dann in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versamm­lungs­freiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Dies hindert indes nicht, dass dem besonderen Gefah­ren­po­tential von Versammlungen in einem Flughafen in spezifischer Weise begegnet und die Rechte anderer Grund­recht­s­träger berücksichtigt werden können. Hierbei rechtfertigt die besondere Störan­fäl­ligkeit eines Flughafens in seiner primären Funktion als Stätte zur Abwicklung des Luftverkehrs auch Einschränkungen, die nach Maßgabe der Verhält­nis­mä­ßigkeit im öffentlichen Straßenraum nicht hingenommen werden müssen. Auch kann die Flugha­fen­be­treiberin nach Maßgabe der verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen für die Wahrnehmung des Versamm­lungs­rechts im Flughafen transparente Regeln schaffen, die an die räumlichen Gegebenheiten und insbesondere an die spezifischen Funkti­o­ns­be­din­gungen wie Gefahrenlagen angepasst sind. Solche Regeln lassen die hoheitlichen Befugnisse der Versamm­lungs­be­hörden und der Einsatzkräfte der Vollzugspolizei vor Ort unberührt.

Vorgaben für Versammlung nicht mit Versamm­lungs­freiheit vereinbar

Das vorliegende Verbot untersagt der Beschwer­de­führerin jedoch ohne konkrete Gefah­ren­prognose auf unbegrenzte Zeit die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich freien Entscheidung von der Fraport AG erlaubt werden. Dies ist mit der Versamm­lungs­freiheit nicht vereinbar.

Ausübung der Meinungs­freiheit bedarf keines besonderen Raumes

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwer­de­führerin auch in ihrer Meinungs­freiheit. Auch die Meinung­s­äu­ße­rungs­freiheit ist dem Bürger allerdings nur dort gewährleistet, wo er tatsächlich Zugang findet. Anders als im Fall des Art. 8 Abs. 1 GG ist dabei die Meinungs­kundgabe aber schon ihrem Schutzbereich nach weiter und nicht auf öffentliche, der Kommunikation dienende Foren begrenzt. Denn im Gegensatz zur kollektiv ausgeübten Versamm­lungs­freiheit impliziert die Ausübung der Meinungs­freiheit als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf und eröffnet auch nicht einen eigenen Verkehr, der typischerweise mit Belästigungen verbunden ist. Als Individualrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort zu, wo er sich jeweils befindet.

Beschränkungen für Meinungs­kundgabe hinsichtlich Ort und Zeitpunkt zur Verhinderung von Störungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen

Das von den Zivilgerichten bestätigte Verbot (BGH, Urteil v. 20.01.2006 - V ZR 134/05 -), das der Beschwer­de­führerin untersagt, ohne die vorab einzuholende Erlaubnis der Fraport AG im Flughafen Flugblätter zu verteilen, ist unver­hält­nismäßig. Als legitimer Zweck zur Einschränkung der Meinungs­freiheit kann nicht der Wunsch herangezogen werden, eine „Wohlfühl­at­mo­sphäre“ in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesell­schaft­lichen Ausein­an­der­set­zungen frei bleibt. Ausgeschlossen sind gleichfalls Verbote, die dem Zweck dienen, bestimmte Meinung­s­äu­ße­rungen allein deshalb zu unterbinden, weil sie von der Flugha­fen­be­treiberin nicht geteilt, inhaltlich missbilligt oder wegen kritischer Aussagen gegenüber dem betreffenden Unternehmen als geschäfts­schä­digend beurteilt werden. Demgegenüber kann die Nutzung der Flugha­fen­flächen für die Verbreitung von Meinungen nicht anders als im öffentlichen Straßenraum auch nach Maßgabe funktionaler Gesichtspunkte zu Zwecken des Rechts­gü­ter­schutzes begrenzt und geordnet werden. Dabei müssen die Einschränkungen allerdings dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz entsprechen. Dies schließt es jedenfalls aus, das Verteilen von Flugblättern im Flughafen allgemein und damit auch für die als öffentliche Foren ausgestalteten Bereiche zu verbieten oder generell von einer Erlaubnis abhängig zu machen. Demgegenüber sind Beschränkungen, die sich auf bestimmte Orte, Arten oder Zeitpunkte der Meinungs­kundgabe im Flughafen beziehen, zur Verhinderung von Störungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen jedoch nicht.

Abweichende Meinung eines Richters des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Die Annahme einer unmittelbaren Grund­rechts­bindung der Fraport AG ist im Ergebnis richtig, die gegebene Begründung jedoch nicht hinreichend differenziert. Die unmittelbare Grund­rechts­bindung der Fraport AG als einer so genannten gemischt­wirt­schaft­lichen Aktien­ge­sell­schaft aufgrund einer Beherrschung durch verschiedene Träger staatlicher Gewalt, die je für sich - neben privaten Anteilseignern - nur Minder­heits­ge­sell­schafter sind, lässt sich nur dann begründen, wenn die öffentlichen Anteils­ei­gentümer ihre addierten Anteile am Grundkapital einer rechtlich verbindlichen Koordination ihrer Einfluss­po­tentiale unterworfen haben oder sonst ein Inter­es­sen­gleichlauf sichergestellt ist. Diese Voraussetzung für die Annahme einer Beherrschung wird hier mit dem Konsor­ti­a­l­vertrag zwischen der Bundesrepublik, dem Land und einer Betei­li­gungs­ge­sell­schaft der Stadt erfüllt sein. Der Senat sieht indessen vom Erfordernis einer Koordinierung der Einfluss­po­tentiale ab, die im Gesell­schaftsrecht für die Annahme einer Beherrschung anerkannt ist, obwohl die „öffentlichen Anteils­ei­gentümer" - je nach politischer Mehrheit - hinsichtlich des Flughafens divergierende, möglicherweise sogar gegenläufige Interessen verfolgen können. Weiter erzeugt die Senatsmehrheit mit ihrer Annahme, gesell­schafts­rechtliche Einwir­kungs­be­fugnisse allein seien auch bei einer summierten Anteilsmehrheit von mehr als 50 % nicht geeignet, die Grund­rechts­bindung solcher Gesellschaften zu ersetzen, einen Widerspruch: Bestünden tatsächlich Einwir­kungs­de­fizite, dürfte gerade deshalb die Aktien­ge­sell­schaft selbst nicht der vollziehenden Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) zugeordnet werden. Zudem ist die vollziehende Gewalt als ausgeübte Staatsgewalt an die Legitimation durch das Volk gekoppelt (Art. 20 Abs. 2 GG), was bei unzureichenden Einwir­kungs­mög­lich­keiten der staatlichen Träger nicht genügend gewährleistet wäre.

Abfer­ti­gungs­hallen eines Großflughafens sind vom Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit auszunehmen

Die Senatsmehrheit erweitert den Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit und damit das Zutrittsrecht für Versammlungen auf so genannte „öffentliche (gemeint: öffentlich zugängliche) Foren“. Diese grenzt sie von Stätten ab, die der Allgemeinheit den äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen. Schon aufgrund dieser Definition wären die Abfer­ti­gungs­hallen eines Großflughafens vom Schutzbereich auszunehmen gewesen, weil sie ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, nämlich der Abfertigung von Flugreisenden. Soweit sie zugleich Einkaufs­mög­lich­keiten zur Deckung von Reisebedarf bieten, bleibt die „Funktion Flughafen“ gleichwohl absolut dominant. Der Senat führt für die Ausweitung des Schutzbereichs im Kern nur die Erwägung an, es werde „heute die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­funktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze“ zunehmend durch öffentliche Foren im Sinne der Definition der Senatsmehrheit „ergänzt“. Derzeit rechtfertigen die tatsächlichen Gegebenheiten indessen diese Wertung nicht. Seit langem sind großen Bahnhöfen oder Flughäfen Ladenpassagen und Gastro­no­mie­be­triebe eingegliedert, ohne dass sie bislang als eine beachtliche „Konkurrenz" zum öffentlichen Straßenraum als Versammlungsort angesehen worden wären oder gar zu einer Entwertung des öffentlichen Straßenraums als Versammlungsort geführt hätten. Gegenwärtig besteht daher kein Anlass zu befürchten, die Kommu­ni­ka­ti­o­ns­funktion der herkömmlich im Allge­mein­ge­brauch befindlichen öffentlichen Straßenräume werde durch die Schaffung „öffentlicher Foren“ im Sinne der Urteilsgründe ausgehöhlt oder gar systematisch zurückgeführt. Die Urteilsgründe befördern zudem ein Verständnis, das die Einbeziehung auch ausschließlich privat getragener Foren in den von der Senatsmehrheit ausgedehnten Schutzbereich der Versamm­lungs­freiheit nahe legt. Damit würde die Kollisionslage zwischen Eigentums- und Versamm­lungs­grundrecht von vornherein auf der Schutz­be­reich­sebene zugunsten des Art. 8 GG vorentschieden.

Großflughafen bedarf eines besonderen Schutzes

Bei der Verhält­nis­mä­ßig­keits­prüfung zu Art. 8 GG erkennt der Senat zwar die besondere Sensibilität des von ihm eröffneten Versamm­lungsraums. Die von ihm hieraus gezogenen Schlüsse gehen jedoch nicht weit genug. Eine bloß geringfügige Beein­träch­tigung kann in den Abfer­ti­gungs­hallen eines Großflughafens schnell in eine erhebliche, weitgreifende Betriebsstörung umschlagen, die dann zumal beim Erfor­der­lich­werden der Schließung bestimmter Bereiche wegen der dichten Vernetzung des Luftverkehrs auf viele andere Flughäfen und deren Passagiere überwirken kann. Flugreisende, die von ihrer Freizügigkeit und allgemeinen Handlungs­freiheit Gebrauch machen wollen, können durch Störungen der Funkti­o­ns­a­bläufe und etwaige Schließungen nach Zahl und Intensität weit empfindlicher getroffen werden, als das bei Versammlungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen regelmäßig der Fall ist. Gerade wegen dieser Besonderheiten bedarf der Großflughafen besonderen Schutzes. Der Senat hätte Anlass gehabt, konkretere Hinweise zu ortss­pe­zi­fischen Einschrän­kungs­mög­lich­keiten bei der Durchführung von Versammlungen (etwa zahlenmäßige Begrenzungen auf Kleingruppen und den Ausschluss von Umzügen in den Flugha­fen­ge­bäuden) zu geben. Auch wäre die Befugnis des Gesetzgebers zu verdeutlichen gewesen, für solche fragilen „Foren“ im Versamm­lungsrecht restriktivere Regeln einführen zu können.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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