21.11.2024
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Dokument-Nr. 29635

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Beschluss23.12.2020Bundesverfassungsgericht1 BvR 2756/20, 1 BvR 2775/20, 1 BvR 2777/20
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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.12.2020

Rundfunkbeitrag: Bundes­ver­fas­sungs­gericht lehnt Eilanträge von ARD, ZDF und Deutsch­landradio abBegründung reichte dem Bundes­ver­fas­sun­gericht nicht

Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Eilanträge von ARD, ZDF und Deutsch­landradio zur Erhöhung des Rundfunk­beitrags abgelehnt. Damit bleibt er auch nach dem Jahreswechsel bei 17,50 Euro monatlich. Die Öffentlich-Rechtlichen wollten durch eine einstweilige Anordnung die Erhöhung der Rundfunk­ge­bühren zum 1. Januar vorläufig erreichen.

Die Anträge hatten sich gegen die Entscheidung Sachsen-Anhalts gewandt, dem neuen Rundfunkstaats­vertrag vorerst nicht zuzustimmen. Es geht um eine Beitrags­er­höhung von 86 Cent.

Sachverhalt

Die Beschwer­de­führer rügen mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden unter Verweis auf die Senats­recht­sprechung zur Rundfunk­fi­nan­zierung (BVerfGE 90, 60; 119, 181) eine Verletzung ihrer Rundfunk­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Mit dem Unterlassen der Zustimmung zum Ersten Medien­än­de­rungs­staats­vertrag (1. MÄStV) und in dessen Folge der unterlassenen Hinterlegung der Ratifi­ka­ti­o­ns­urkunde durch den Minis­ter­prä­si­denten des Landes Sachsen-Anhalt weiche der Landtag von Sachsen-Anhalt aus verfas­sungs­rechtlich unzulässigen programmlichen und medien­po­li­tischen Gründen von den durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunk­an­stalten (KEF) überprüften und korrigierten Bedarfs­an­mel­dungen der Rundfunk­an­stalten ab. Damit werde der Grundsatz der Programm­neu­tralität und Programm­ak­zes­so­rietät der Finan­zie­rungs­ent­scheidung verletzt. Nachprüfbare Gründe für die Abweichung von den Feststellungen der KEF habe der Landtag Sachsen-Anhalt weder erörtert noch seien sie sonst ersichtlich. Art. 1 des 1. MÄStV sei einstweilen in Geltung zu setzen. Die Verfallsklausel des Art. 2 Abs. 2 des 1. MÄStV müsse vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Kraft gesetzt werden, um dem Land Sachsen-Anhalt auf Anordnung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts gemäß § 35 BVerfGG ein Inkraftsetzen des geänderten Rundfunk­fi­nan­zie­rungs­staats­vertrags auch nach Ablauf des Jahres 2020 zu ermöglichen.

Zu dem Antrag der Beschwer­de­führerin im Verfahren 1 BvR 2756/20 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben Stellung genommen: die Bundesregierung; in einer gemeinsamen Stellungnahme die Regierungen der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein; die Regierungen Bremens und des Saarlands. Die Regierung des Landes Sachsen-Anhalt hält den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, jedenfalls aber für unbegründet.

Die Verfas­sungs­be­schwerden sind weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet (vgl. zu diesen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung BVerfGE 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts erscheint eine Verletzung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Rundfunk­freiheit zumindest möglich.

Sender haben keine schweren Nachteile dargelegt, die eine einstweilige Anordnung begründen könnten

Die Beschwer­de­führer haben jedoch nicht in der den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise dargelegt, dass ihnen durch ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahrens schwere Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG entstehen. Auf eine Folgenabwägung kommt es daher nicht an.

Die Beschwer­de­führer legen nicht näher dar, dass eine verfas­sungs­widrige Verzögerung des Inkrafttretens der Änderung des Rundfunk­fi­nan­zie­rungs­staats­vertrags irreversibel zu schweren Nachteilen führte.

Der Senat hat früher ausgeführt, dass sich eine möglicherweise durch das Fehlen hinreichender Mittel ausgelöste Verschlech­terung des Programm­an­gebots angesichts der Zeitge­bun­denheit der Wirkungen des Rundfunks nicht schlicht durch eine entsprechende finanzielle Mehrausstattung in späteren Zeiträumen kompensieren lasse (vgl. BVerfGE 119, 181 <241>). Ist in vergangenen Zeiträumen ein verschlech­tertes Angebot ausgestrahlt worden, kann dies durch spätere Mehrausstattung tatsächlich nicht mehr ausgeglichen werden. Daraus geht die Irrevisibilität der Folgen eines verspäteten Inkrafttretens des geänderten Rundfunk­fi­nan­zie­rungs­staats­vertrags jedoch nicht ohne Weiteres hervor. Dies hätten die Beschwer­de­führer vielmehr näher aufzeigen müssen. Denn wenn das Programmangebot tatsächlich erbracht wird, ist nach den genannten Grundsätzen eine kompensierende Mehrausstattung in späteren Zeiträumen durchaus nicht ausgeschlossen. Sofern die Beschwer­de­führer also geltend machen wollen, eine verfas­sungs­widrige Verzögerung des Inkrafttretens der Änderung des Rundfunk­fi­nan­zie­rungs­staats­vertrags löse eine Verschlech­terung des Programm­an­gebots aus und verletzte irreparabel ihre Rundfunk­freiheit, hätten sie substantiiert darlegen müssen, bei Nichtin­kraft­treten ab dem 1. Januar 2021 mangels Beitrags­er­höhung zu dem von der KEF geprüften Programmangebot nicht in der Lage zu sein, obwohl im Fall des Obsiegens im Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren eine kompensierende Mehrausstattung in späteren Zeiträumen in Betracht kommt. Zwar ist ohne Weiteres plausibel, dass die Beschwer­de­führer trotz der Aussicht auf spätere finanzielle Mehrausstattung nicht auf unbegrenzte Zeit in der Lage wären, das Programmangebot gewissermaßen in eigener „Vorleistung“ zu realisieren. Nicht ohne Weiteres plausibel ist hingegen, dass dies – mit Blick auf entsprechende spätere Mehrausstattung – nicht für eine gewisse Zeit möglich sein sollte. Insofern hätte es genauerer Angaben bedurft. Der Hinweis der Beschwer­de­führer auf eine Deckungslücke bis Ende des Jahres 2024 oder aber jedenfalls bis Ende des Jahres 2022 reicht schon deshalb nicht aus, weil nicht nachvollzogen werden kann, warum im Falle eines Abwartens der Entscheidung über die Verfas­sungs­be­schwerden der Finanzbedarf bis Ende des Jahres 2022 oder sogar bis Ende des Jahres 2024 ungedeckt bleiben sollte.

Im Übrigen wäre den Anstalten nach der bereits genannten Senat­s­ent­scheidung jedenfalls ein Ausgleich zu gewähren, falls ihnen auf der Grundlage einer verfas­sungs­widrigen Festsetzung des Beitrags Mittel – etwa für nötige Investitionen – entgangen sein sollten, deren Bezug nach ihren früheren Bedarfs­an­mel­dungen und den Feststellungen der KEF erforderlich war, um die Erfüllung des Rundfunk­auftrags sicherzustellen (vgl. BVerfGE 119, 181 <242>). Auch insofern hätten die Beschwer­de­führer darlegen müssen, warum ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung gleichwohl irreversible Nachteile eintreten sollten. Hierzu tragen die Beschwer­de­führer ebenfalls nicht substantiiert vor.

Die Beschwer­de­führer tragen auch hinsichtlich der Verfallsklausel in Art. 2 Abs. 2 des 1. MÄStV, deren einstweilige Außer­kraft­setzung sie beantragen, die in § 32 BVerfGG vorausgesetzte Dringlichkeit nicht substantiiert vor. Sie begründen nicht näher, inwiefern die Verfallsklausel nach dem 31. Dezember 2020 einer Realisierung der angestrebten Beitrags­er­höhung rechtlich oder tatsächlich im Wege stehen sollte. Sie legen auch nicht dar, weshalb es für den Fall, dass eine einstweilige Außer­kraft­setzung der Verfallsklausel in Art. 2 Abs. 2 des 1. MÄStV in dem vorliegenden Eilverfahren unterbleibt, nicht möglich sein sollte, dem Rechts­schutz­be­gehren der Beschwer­de­führer in der Hauptsache zu entsprechen. Insbesondere erläutern sie nicht weiter, warum die Verfallsklausel – wie sie behaupten – vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Kraft gesetzt werden müsste, um dem Land Sachsen-Anhalt – etwa auf Anordnung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts gemäß § 35 BVerfGG – ein Inkraftsetzen der Änderung des Rundfunk­fi­nan­zie­rungs­staats­vertrags auch nach Ablauf des Jahres 2020 zu ermöglichen

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (vt/pt)

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